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Nach hitziger Debatte: Stadt distanziert sich von Hindenburg als Ehrenbürger

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Von: Matthias Lohr

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Wird noch in der Liste Kasseler Ehrenbürger aufgeführt: Vor 90 Jahren, am 30. Januar 1933, ernannte Generalfeldmarschall und Reichspräsident Paul von Hindenburg (links) Adolf Hitler zum Reichskanzler. Das
Wird noch in der Liste Kasseler Ehrenbürger aufgeführt: Vor 90 Jahren, am 30. Januar 1933, ernannte Generalfeldmarschall und Reichspräsident Paul von Hindenburg (links) Adolf Hitler zum Reichskanzler. Das © IMAGO IMAGES/UNITED ARCHIVES INTERNATIONAL

Paul von Hindenburg wird in einer Liste Kasseler Ehrenbürger aufgeführt. Nun distanziert sich die Stadt vom Reichspräsidenten der Weimarer Republik. Vorausgegangen war eine denkwürdige Debatte.

Kassel – Die hitzigste Debatte des Abends entwickelte sich erst zum Schluss. Bis 20.30 Uhr diskutierten die Kasseler Stadtverordneten am Montagabend, wie man mit Paul von Hindenburg (1847 bis 1934) umgehen soll. Auf der Website der Stadt taucht der Reichspräsident der Weimarer Republik in einer Liste der Ehrenbürger auf. Dabei ist die historische Rolle des Generalfeldmarschalls klar: Er ernannte Hitler zum Reichskanzler und ebnete so den Weg in die NS-Diktatur.

Auf das Thema aufmerksam gemacht hatte vor wenigen Wochen der Publizist Michael Lacher in seinem Blog. Nach der Berichterstattung der HNA verfassten SPD und Linke Anträge. Zwar erlischt die Ehrenbürgerschaft mit dem Tod, aber diese Information findet sich nicht auf der Website der Stadt. Darum forderten SPD und Linke am Montag in einem gemeinsamen Antrag, sich von der Ehrenbürgerschaft zu distanzieren, wie es Frankfurt und andere Städte getan haben. Tatsächlich gab es dafür nach 45 Minuten eine Mehrheit.

Einstimmig votierte das Parlament für einen weitergehenden Antrag der Jamaika-Koalition, der betont, dass Ehrenbürgerschaften mit dem Tod enden und sich ein Gremium, das Straßennamen überprüfen soll, sich auch mit den Ehrenbürgern beschäftigen soll. Zudem wurde nach einer Unterbrechung ein Satz von SPD und Linken hinzugefügt, der klarmacht, dass man sich von der Person von Hindenburg und dessen Wirken distanziert. Dafür gab es am Ende lauten Applaus.

Zuvor wurde emotional diskutiert. Norbert Sprafke (SPD) kritisierte den Jamaika-Antrag, weil dort zunächst der Name von Hindenburg nicht auftauchte. Grüne, CDU und FDP wollten das Thema einfach weghaben: „Wer zu Hindenburg schweigt, soll auch zu Hitler schweigen.“ Holger Römer (CDU) warf SPD und Linken ein „sozialistisches Geschichtsbild“ vor.

Lediglich Thomas Volmer (Grüne) betonte die Gemeinsamkeiten aller Fraktionen jenseits der AfD. Der Antrag von SPD und Linken klinge, als wolle man die Fehler der Vergangenheit unsichtbar machen: „Wir wollen uns aber nicht verstecken vor den Fehlern, sondern daraus lernen.“ Zudem sei auch die Debatte im Parlament eine Distanzierung und ein Zeichen.

Eva Schulz-Jander hätte einen Verzicht auf eine Aberkennung problematisch gefunden. Die 87-Jährige, die lange Geschäftsführerin der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit war und 2020 zur Ehrenbürgerin ernannt wurde, verfolgte die Debatte auf der Tribüne. Zuvor hatte sie gesagt: „Solch ein Hickhack tut Kassel nicht gut.“ Eine Aberkennung der Ehrenbürgerschaft hält Schulz-Jander auch wegen der Antisemitismusdebatte um die documenta für wichtig – als Zeichen, denn: „Ich bin fest davon überzeugt, dass der Antisemitismus in Kassel nicht stärker ist als anderswo.“ Von der Debatte war sie begeistert: „Demokratie in Aktion.“ (Matthias Lohr)

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