„In unseren Bunker an der Gräfestraße muss sich im Ernstfall niemand mehr retten“, sagt Joachim Groger vom Architekturbüro Groger, Grund, Schmidt, das den Bunker umbaute und dort auch sein Büro hat. Dafür wurden große Fensteröffnungen in den Beton geschnitten, Drucktüren und Bunkertechnik ausgebaut.
Rainer Mielke vom Bremer Architekturbüro Mielke und Freudenberg, das den Bunker am Dormannweg in Bettenhausen zu einem Musikbunker umgebaut hat, kritisiert die „Panikmache mancher Politiker“, die sich aufregten, dass Schutzräume verkauft wurden. Der Verkauf sei nicht im Geheimen erfolgt. „Als wir anfingen, Bunker zu kaufen, wusste das Bundesamt, dass die Dinger einem echten Krieg nicht mehr standhalten“, so Mielke.
Die Bauwerke stammen allesamt aus dem Zweiten Weltkrieg und wurden zuletzt in den 70er- und 80er-Jahren modernisiert. Im Angriffsfall hätten sie nur wenigen Tausend Menschen Platz geboten. Der Bunker am Dormannweg war für 1600 Menschen gedacht und hat der Schutzklasse III entsprochen. „Bei bürgerkriegsähnlichen Zuständen wäre ich heute trotzdem lieber dort als anderswo“, so Mielke.
Wer in diesen Zeiten Fragen zum Thema Bunker und Zivilschutz stellt, der stößt mitunter auf dicke Mauern. Die Stadt Kassel etwa teilte auf HNA-Anfrage mit, dass sie bei der Zivilverteidigung aktuell „alle denkbaren Möglichkeiten“ prüfe. Aufgrund des Krieges in der Ukraine würden darüber hinaus aber sicherheitsrelevante Informationen öffentlich nicht kommuniziert.
Eine Sprecherin des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) lässt zumindest wissen: „Der Bund führt derzeit gemeinsam mit den Ländern und Kommunen eine vollständige Bestandsaufnahme der verbliebenen öffentlichen Schutzräume durch.“ Die weitere Entwidmung der verbliebenen Bunker sei deshalb ausgesetzt worden. Über das weitere Vorgehen werde anschließend entschieden.
In Kassel sind alle sechs Hochbunker bereits verkauft: Der Bunker am Dormannweg (Bettenhausen) beherbergt Proberäume für Bands, den Bunker an der Agathofstraße (Bettenhausen) lässt die Stadt derzeit zu einem Kulturzentrum umbauen und die Bunker an Gräfestraße (Wehlheiden) und Hafenstraße (Unterneustadt) sind zu Wohnungen und Büros umgebaut worden.
Ein Wohnprojekt plant auch der Investor AS Kapital aus Niestetal, der den ehemaligen Führungsbunker an der Ahrensbergstraße (Brasselsberg) erworben hatte.
Ebenfalls von Investoren gekauft wurde der größte Kasseler Hochbunker am Marienkrankenhaus (Rothenditmold), in dem im Ernstfall 4000 Menschen Schutz finden sollten. Die Planungen für den Umbau zu 60 Wohnungen seien zwar nicht vom Tisch, lägen aber derzeit auf Eis, sagt Architekt Joachim Groger, dessen Büro Groger, Grund, Schmidt die Entwicklung vorantreiben sollte.
Unterirdische Anlagen wie der Atombunker unter dem Hauptbahnhof und der Weinbergbunker dienen ohnehin schon seit Jahrzehnten nur noch als Besichtigungsziele für Gruppen, die sich für die Bunkerhistorie interessieren. Der Feuerwehrverein bietet entsprechende Führungen an – zum Teil gemeinsam mit dem Verein Vikonauten.
Die Vikonauten, die so ziemlich jede unterirdische Anlage in Kassel erforscht haben, wollen den Zustand des Zivilschutzes ebenfalls nicht kommentieren. „Unser Thema ist die geschichtliche Bildung“, sagt Bernd Tappenbeck von den Vikonauten. Das BBK sei der einzig richtige Ansprechpartner.
Dessen Sprecherin teilt auf HNA-Anfrage mit: „Unabhängig von der Frage nach der aktuellen Verfügbarkeit und Nutzbarkeit der öffentlichen Schutzräume, verfügt die Bundesrepublik heute flächendeckend über eine durchaus solide Bausubstanz, die unter bestimmten Voraussetzungen einen signifikanten Schutz vor dem Einsatz von Kriegswaffen bieten kann.“ Dazu zählten U-Bahn-Stationen, Tiefgaragen und Keller. Diese böten einen „guten Grundschutz“ vor Explosionen, Trümmer- und Splitterflug und bedingt auch vor radioaktiver Umgebungsstrahlung – je nach Bauart und Tiefe.
„Im Notfall können auch Treppenhäuser oder innen liegende Räume, die zwar oberirdisch sind, aber keine Öffnungen nach außen haben, noch einen deutlichen Schutz vor Waffeneinwirkungen bieten“, so die Sprecherin abschließend. (Bastian Ludwig)