Steht der Kasseler Christopher Street Day vor dem Aus?

Kassel. Die Zukunft des Christopher Street Day (CSD) in Kassel, mit dem für die Rechte von Homosexuellen, Bisexuellen und Transgendern demonstriert wird, ist ungewiss.
Der Christopher Street Day (CSD) wird weltweit als Gedenktag und Demonstrationsveranstaltung für die Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgendern veranstaltet. Im Interview spricht der Vorsitzende des Kasseler CSD Vereins, Holger Alexis Ewen, über die Zukunft des Vereins und den politischen Gedanken des CSDs.
Herr Ewen, gibt es in diesem Jahr möglicherweise den letzten Christopher Street Day (CSD) in Kassel?
Holger Alexis Ewen: So wie es im Moment aussieht schon. Wir haben bereits im vergangenen Sommer bekannt gegeben, dass der derzeitige Vorstand sich aus privaten Gründen zurückziehen wird. Der Aufwand ist mit unserem Berufsalltag nicht mehr zu vereinen. Es geht ja nicht nur um den einen Tag, sondern darum ein gesamtes Jahresprogramm für den Verein CSD Kassel zu organisieren. Wir veranstalten auch Lesungen, Vorträge oder leisten Aufklärungsarbeit zur Homosexualität an Schulen. Bislang hat sich niemand gefunden, der zukünftig diese Vorstandsarbeit übernehmen würde.
Wenn sich niemand bereit erklärt, würde das dann die Auflösung des Vereins bedeuten?
Ewen: Im schlimmsten Fall schon. Nach dem CSD soll ein Vorstandstreffen stattfinden, wo dann über die Zukunft entschieden wird.
Bei vielen Vereinen ist Mitgliederschwund ein Problem. Ist das beim CSD ähnlich?
Ewen: Auch wir haben den vergangenen Jahren nur wenige neue Mitglieder gewinnen können. Gerade die Jüngeren sehen den CSD eher als Partymeile, aber eben nicht die politische Intention, die dahinter steckt. Aber das ist ein generelles Problem: Der jüngeren Generation fehlt vielfach das Interesse, sich politisch zu engagieren. Das ist schade. Wir haben die ganzen Jahre für die Rechte von Homosexuellen gekämpft. Es ist aber noch nicht alles erreicht, was wir erreichen wollen.
Fehlt die Initiative, weil Homosexualität präsenter ist und damit selbstverständlicher umgegangen wird?
Ewen: Das ist auch unser Gedanke. Aber das Leben von Homosexuellen ist noch nicht völlig unbeschwert. Es gibt noch jede Menge Anfeindungen. Die Akzeptanz ist noch nicht so, wie man es sich erwünschen würde. Da muss man weitermachen.
Trägt der Begriff „queer“ dazu bei, andere Formen der Sexualität selbstverständlicher zu machen?
Ewen: Dieser Begriff wird kontrovers diskutiert: Einige fassen darunter jegliche sexuelle Orientierung wie schwul, lesbisch, bi-, asexuell oder auch Transgender. Andere sagen, damit macht man es sich ein bisschen zu einfach. Generell gilt aber, dass der Begriff auch dazu beiträgt, andere Formen von Sexualität zuzulassen, sie in der Gesellschaft selbstverständlicher zu machen, und die Akzeptanz zu erhöhen.
Ist also ein CSD zukünftig gar nicht mehr notwendig?
Ewen: Wünschenswert wäre das auf jeden Fall, wenn man nicht mehr für die Rechte von Homosexuellen auf der Straße demonstrieren müsste. Für viele mag der CSD den Anschein eines Karnevalsumzugs haben, man darf aber nicht vergessen, dass es sich hierbei um eine politische Demonstration handelt. Natürlich wäre es schön, wenn man von einer Party sprechen und einfach zusammen feiern könnte – so weit sind wir aber noch lange nicht.
Hat der CSD denn in den vergangenen 15 Jahren in Kassel überhaupt etwas erreicht?
Ewen: Ich glaube schon, dass wir einiges erreicht haben. Der CSD an sich ist gewachsen. Dabei meine ich nicht nur die Teilnehmer, sondern auch Parteien und Vereine, die uns beim Straßenfest vor dem Kulturbahnhof unterstützen. Als Beispiel: Zu Beginn war der CSD auf den Anzeigetafeln der KVG eine Betriebsstörung – mittlerweile sind wir zumindest eine Demonstration. Auch ist es selbstverständlich, dass die Regenbogenfahne am Rathaus gehisst wird.
Macht es einen Unterschied, ob ein CSD in einer großen Stadt oder eher im ländlichen Raum stattfindet?
Ewen: In den größeren Städten sind die Veranstaltungen sehr kommerziell. Dort gibt es mehr Sponsoren, die den CSD unterstützen. Bei den kleineren Veranstaltungen ist es nicht so. Das ist ein wunder Punkt, der uns ein bisschen traurig macht. Kassel ist eine Großstadt, es wird für Vielfalt plädiert, aber man merkt wenig davon. Gerade bei den kleinen CSD-Veranstaltungen ist Unterstützung wichtig, die großen die ziehen sowieso, die kleinen haben zu kämpfen, und das ist das Problem.
Oftmals liegen CSD-Veranstaltungen parallel. Nimmt man sich da nicht gegenseitig das Publikum?
Ewen: Einige CSDs in Deutschland haben feste Termine, andere nicht. Natürlich nimmt man sich da auch gegenseitig Besucher weg, aber das ist nicht entscheidend. Für mich ist es egal, wo der CSD stattfindet, Personen, die mitmachen, finden sich überall. Nicht alle fahren in die großen Städte. Ich habe zuletzt beispielsweise auf einem Kirmeszug in Hann. Münden eine „Regenbogen“-Gruppe gesehen, die sich dort positioniert hat. Das finde ich super. Die Leute haben applaudiert und waren begeistert. Es macht keinen Unterschied, ob kleine oder große Veranstaltung.
Steht die politische Botschaft oft hinter der kommerziellen Veranstaltung zurück?
Ewen: Natürlich sind die Dragqueens ein Hingucker und deshalb auch besonders präsent in den Medien. Mein Gefühl ist, dass man aber irgendwie auch diese schrillen Menschen sehen will. Der politische Aspekt ist für die normale Bevölkerung wenig interessant. Den Schuh müssen wir uns aber in Kassel selbst anziehen. Aus der politischen Szene ist niemand bereit sich zu positionieren oder ein Statement abzugeben. In anderen Städten ist das anders.
Hintergrund: Kasseler CSD am 11. August
Der CSD findet in Kassel in diesem Jahr am Samstag, 11. August, statt. Beginn der Demonstration, die durch die Innenstadt zieht ist um 13 Uhr. Der Zug wird gegen 15 Uhr zurück am Kulturbahnhof erwartet. Dort gibt es ein buntes Straßenfest mit verschiedenen Informationsständen und einem bunten Programm. Nach der Ankunft der Demonstration ist gegen 15.15 Uhr eine Begrüßung durch den CSD Kassel sowie Gastredner geplant.
Außerdem wird es eine Schweigeminute der AIDS-Hilfe Kassel geben. Durch das weitere Programm führt die gayJet-Crew. Gäste sind: Steffi List, Benny Kieckhäben, Jordan Hanson, Michelle Glaus, Ross Alexander, Madonna Tribute - Melissa Totten. Der erste CSD in Kassel fand 1992 statt. Dann war es zehn Jahre ruhig. Seit 2002 findet der CSD jedes Jahr statt. Der Kasseler CSD Verein hat aktuell 60 Mitglieder. (kme)
Zur Person

Holger Alexis Ewen (48) ist seit 2012 im Vorstand des CSD Kassel. Ewen arbeitet im Hotel Gude und ist dort für Tagungen zuständig. Der 48-Jährige kommt gebürtig aus Pößneck in Thüringen, seit lebt er 1993 in Kassel. Mit der Gruppe gayJet ist er auf CSDs in ganz Europa unterwegs.