Gemeinschaftliches Wohnprojekt in der Südstadt ging durch Tiefs und Hochs

Seit einem Jahr wohnen vier Parteien in der Südstadt in einem gemeinschaftlichen Wohnprojekt zusammen. Bau und gemeinsamer Alltag haben die Bewohner schon vor manche Herauforderung gestellt.
Südstadt – Gemeinschaftliches Wohnen ist auch in Kassel immer populärer: In der Harleshäuser Distelbreite, im Feldlager und im Martini-Quartier sind zuletzt Projekte entstanden, für die Menschen unterschiedlichen Alters sich zusammengefunden haben, um eine Immobilie und ihren Alltag zu teilen. Die Vision vom Leben in der Gemeinschaft, in der sich alle stets unterstützen und befruchten, entpuppt sich in der Praxis mitunter als allzu blauäugig. Dies zeigt auch eines der jüngsten gemeinschaftlichen Wohnprojekte in der Südstadt.
Wolfgang und Barbara Bahr hatten lange vom Leben mit Anderen geträumt. Bis vor einem Jahr lebte das Sozialarbeiter-Ehepaar in einem eigenen Haus. Schon 2017 gab es die ersten Überlegungen, Gleichgesinnte für ein gemeinschaftliches Bauvorhaben zu finden, erzählt Wolfgang Bahr. Seit einem Jahr steht der Neubau in der Frans-Hals-Straße/ Ecke Heckerstraße, in dem vier Parteien unter einem Dach zusammenleben. Doch die Bewohner haben viel Kraft benötigt, um ihren Traum zu realisieren – und für eine Bewohnerin hat er sich bis heute nicht eingelöst.
„Wir sind zu blauäugig herangegangen“, sagt Cornelia Keth. Die Finanzplanerin war wie Birgit Heintel kurz vor der Corona-Krise auf das Vorhaben des Ehepaars Bahr aufmerksam geworden. Untereinander kannte man sich zuvor nicht. Mit dem Kasseler Architekten Christoph Harney fanden die Bauwilligen einen erfahrenen Fachmann für gemeinschaftliche Bauprojekte. Zunächst war geplant, mit der Eigentümerin eines benachbarten Altbaus ein generationsübergreifendes Wohnprojekt in zwei Häusern zu realisieren. „Dieser Plan scheiterte bald an der Heterogenität der Beteiligten. Die Unterschiede ließen sich nicht wegidealisieren“, fasst Harney die aufgetretenen Konflikte um Eigentums- und Gestaltungsfragen diplomatisch zusammen. Gemeinschaftliches Leben sei eine Herausforderung, darüber müssten sich Bauwillige bewusst sein. „Erst braucht es ein Konzept, dann sollte man mit dem Bau starten.“
Übrig blieben also das Ehepaar und die beiden Frauen, die in den Neubau investierten. Aber auch das lief nicht reibungslos: Corona-Krise, Materialmängel und eine aufwendige Kampfmittelsondierung zehrten an den Nerven. Auch mithilfe von Supervision rauften sich die drei Parteien in der Bauphase immer wieder zusammen.
„Professionelle Hilfe selbstverständlich in Anspruch zu nehmen, beobachte ich nicht oft bei Gemeinschaftsprojekten. Dabei ist das gut angelegtes Geld und fällt im Verhältnis zu den Baukosten kaum ins Gewicht“, sagt Harney.
Vor einem Jahr konnten die Bewohner in die vier barrierefreien Wohnungen in der Südstadt einziehen. Im Neubau hat jede Partei ihre eigenen vier Wände, es gibt aber einen großen Gemeinschaftsraum mit Küche im Erdgeschoss. Weil sich für die vierte Wohnung bisher kein Käufer fand, wird sie aktuell an ein Paar „zur Probe“ für ein Jahr vermietet. Im Laufe des Jahres muss das Paar sich entscheiden, ob es die Wohnung kauft und damit dauerhaft in der Gemeinschaft lebt. „Wir hätten uns auch eine junge Familie gut vorstellen können, aber wegen der hohen Baukosten war das nicht realistisch“, sagt Wolfgang Bahr.
„Ich bin stolz, dass wir es trotz aller Schwierigkeiten geschafft haben. Und ich bin froh, einen Ort gefunden zu haben, an dem ich alt werden kann“, sagt Wolfgang Bahr. Während auch die anderen Bewohner im HNA-Gespräch ihre Entscheidung nicht bereuen, sieht es Wolfgangs Frau Barbara anders: „Ich bereue es. Zum heutigen Zeitpunkt würde ich sagen: Ich vermisse mein Leben im eigenen Haus.“ Sie will dem Zusammenleben aber noch eine Chance geben.
Barbara Bahrs Hoffnung ist, dass die Gemeinschaft nicht nur räumlich, sondern auch darüber hinaus zusammenwächst. Die Rentnerin wünscht sich mehr gemeinsame Aktivitäten. Weil nur sie und ihr Mann im Ruhestand sind, die anderen aber noch berufstätig, gibt es unterschiedliche Bedürfnisse.
„Es gab Tränen, wir haben uns angeschrien, aber auch oft gelacht. Das gemeinschaftliche Leben müssen wir noch einüben, das gemeinsame Bauen ist uns schon mal geglückt“, sagt Keth. Das macht offenbar auch Barbara Hoffnung. Sie lächelt. (Bastian Ludwig)