Drogensüchtig oder ausgeglichen: Das sagt Ihre Handschrift über Sie aus

Je schöner die Schrift, desto ordentlicher der Schreiber? Ganz so einfach ist es nicht. Graphologe Olivier Netter liest aus Handschriften Persönlichkeiten ab. Wir haben mit ihm gesprochen.
Tatsächlich lassen sich an Handschriften Persönlichkeiten ablesen und sogar Depressionen erkennen. Olivier Netter macht das seit über 30 Jahren beruflich – er ist Graphologe. Zum heutigen Tag der Handschrift, der auf den Geburtstag von John Hancock (1736-1793), dem ersten Unterzeichner der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung zurückgeht, haben wir mit ihm gesprochen.
Herr Netter, was ist ihr Job als Graphologe?
Olivier Netter: Meine Kunden sind überwiegend Personaler, die herausfinden wollen, ob ein Kandidat zu der ausgeschriebenen Position passt, ob er kreativ ist, durchsetzungsfähig oder flexibel. Ich berate aber auch Paare.
Was hat Graphologie denn mit Paartherapie zu tun?
Ein Graphologe wird meist dann bemüht, wenn ein Partner ein schlechtes Bauchgefühl hat und wissen möchte, was los ist. Dann schickt er die Schrift des Partners zu mir. Das Problem dabei ist, dass der andere damit einverstanden sein muss, damit keine Persönlichkeitsrechte verletzt werden. Kommt aber eine Mutter zu mir und möchte herausfinden, ob ihr Kind Drogen nimmt, dann bin ich da nicht so streng.
Und so etwas lässt sich an einem Schriftbild ablesen?
Ja, manchmal jedenfalls. Schreiben ist ein Teil einer Person und sehr stark mit dem Körper des Schreibers verbunden. Es ist das Produkt einer muskulären Anstrengung und bedarf einer Steuerung. Die Schrift sagt also sehr viel über das Körperbefinden eines Menschen aus.
Wie es jemandem geht, lässt sich also an einem spitz oder rund geschriebenen „n“ erkennen?
Nein, das ist ein großer Irrtum. Man bewertet nicht einzelne Zeichen, sondern zuerst ein Gesamtbild. Genauso, wie wir einigen Menschen am Gesicht ablesen können, dass es ihnen nicht gut geht. Dann hängt das nicht mit einem einzelnen Zeichen wie einem Stirnrunzeln, sondern mit der Gesamterscheinung zusammen. Und das macht die Graphologie auch. Feststellen, wie die Grundstimmung ist. Erst dann schaut man sich einzelne Merkmale an und überlegt, was da im Einzelnen los sein könnte.
Was sind denn Stimmungsmerkmale?
Wenn der Strich ein bisschen aufgelöst ist, es Dunkelzonen auf dem Papier gibt und das Schriftbild fleckig wirkt, ist das ein Merkmal für extreme Niedergeschlagenheit und kann sogar auf Depressionen hindeuten.
Auch wenn die Schrift erschlafft ist, also zum Beispiel der Bogen zwischen dem „a“ und „n“ in die nächste Zeile durchhängt, kann man davon ausgehen, dass der Person auch sonst die Spannkraft fehlt. Ist die Schrift dagegen sehr eckig, zackig und unrhythmisch, deutet das auf starke Anspannung hin, die sich negativ äußern kann. Wird dagegen sehr hell und locker geschrieben, steht das für Ausgeglichenheit. Es gibt aber auch Leute, die sich sehr gut verstellen können – und das sollte dem Graphologen auffallen.
Inwiefern verstellen sich Menschen denn durch ihre Schrift?
Das ist wie beim normalen menschlichen Kontakt: Der eine zeigt sich offen, der andere trägt eine Maske, tritt besonders förmlich auf und versucht, so wenig wie möglich über sich preiszugeben. So verhält sich das bei den Schriften auch. Als guter Graphologe sollte ich erkennen können, ob jemand einfach nichts über sich preisgeben will oder ob er einfach nicht aus sich herauskommt. Eine ordentliche Schrift bedeutet nicht immer, dass dahinter auch eine organisierte, aufgeräumte Person steckt. Das kann auch ein Zeichen dafür sein, dass jemand nicht aus sich herauskommt.
Wie wir schreiben, ist aber doch auch situationsabhängig?
Auf jeden Fall. Es gibt aber auch Leute, die in jeder Situation relativ gleich schreiben. Das spricht für viel Selbstdisziplin. Bei Leuten, die weniger selbstdiszipliniert sind, unterscheiden sich die Schriften je nach Tagesform und Gelegenheit sehr stark.
Sie werden von Personalern in Unternehmen gebucht: Welche Charaktereigenschaften können Sie in einer Schrift alles erkennen?
Man kann herauslesen, ob jemand stur ist, gerne anderen Leuten sagt, wo es langgeht oder ob er sehr offen ist und sich vielleicht beeinflussen lässt. Generell gilt: Je angespannter die Schrift, desto unflexibler ist auch der Schreiber. Ganz wichtig ist auch der Raum: Jemand, der auf einem leeren DINA4-Blatt klein oben links anfängt und nur wenig Platz einnimmt, ist meist bescheiden oder gehemmt.
Lässt sich an einer Schrift Intelligenz ablesen?
Das erfordert etwa 15 Jahre Erfahrung. Aber es geht. Wir unterscheiden da zwischen einheitlichen und uneinheitlichen Schriften. Die Schrift von einem Genie wie Beethoven zum Beispiel sieht erst einmal aus wie das reinste Chaos, ist total unregelmäßig und folgt keinem Schema. Bei näherem Hinsehen aber fällt auf, dass das Schriftbild trotzdem wie aus einem Guss ist. Ist eine Schrift also zugleich unregelmäßig und einheitlich, hat man meist einen hochbegabten Menschen vor sich. Eine uneinheitliche und unregelmäßige Schrift dagegen deutet eher auf Verwahrlosung hin.
Zur Person
Olivier Netter (64) hat Philosophie, Linguistik und Literaturwissenschaft studiert und anschließend eine Ausbildung zum Graphologen (Schriftpsychologen) gemacht. Der gebürtige Badener ist außerdem Heilpraktiker für Psychotherapie und bietet systemische Paartherapien an. Netter führt eine eigene Praxis in Berlin.
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