30. Todestag von Joseph Beuys: Wie ein Künstler Kassel prägte

Wenn ich an Beuys denke - so beginnen auf Twitter unter dem Hashtag #beuysheute seit Wochen zahlreiche Beiträge. In Kassel hat Beuys viele Spuren hinterlassen.
Der Schock war groß, als Joseph Beuys, an einem seltenen Lungenleiden erkrankt, heute vor 30 Jahren erst 64-jährig an Herzversagen starb. Kein Künstler ist in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts so einflussreich gewesen, kein Teilnehmer hat die documenta in Kassel geprägt wie er. Was also kommt einem in den Sinn, wenn man an Beuys denkt?
1. Fett und Filz: Beuys ließ einfache Materialien - auch Kupfer, Honig, Blei, Wachs - sehr direkt sprechen. Sie stehen für Wärme, Energie, Schutz, das Leben an sich. Als Beuys 1944 als Bordfunker eines Sturzkampffliegers über der Krim abgeschossen wurde, sollen ihn Tataren mit Fett und Filz gepflegt und auf einem Schlitten gezogen haben. Ob das so gewesen ist, wird inzwischen bezweifelt. Beuys wurde eine Silberplatte in den Schädel eingesetzt - der berühmte Hut war mehr als ein Markenzeichen, nämlich Ausdruck eines Schutzbedürfnisses.
2. Erweiterter Kunstbegriff: „Jeder Mensch ist ein Künstler“ - das meinte nicht, dass jeder malen oder zeichnen solle. Beuys appellierte an die schöpferische Kraft jedes Menschen. Das zielte aufs Politische: Jeder verfüge über die Möglichkeit, die Welt kreativ handelnd zu gestalten und zu verändern.
3. „Soziale Plastik“: „Plastik“ meint in der Kunst eigentlich ein dreidimensionales Objekt. Im Begriff Soziale Plastik fand Beuys’ Vorstellung einer die Gesellschaft verändernden Kunst ihren Ausdruck. Kunst sollte statt in einer Nische radikal in den gesellschaftlichen Raum hinein wirken.
4. Büro der Organisation für direkte Demokratie durch Volksabstimmung: 1972, während der documenta 5, diskutierte Beuys seine Vorstellungen 100 Tage lang mit Besuchern im Fridericianum. Hier warb er auch für seine „Freie Internationale Universität“. Fünfmal in Folge war Beuys bei der documenta vertreten, außerdem zweimal posthum.
5. 7000 Eichen: Von überragender Bedeutung sind die 7000 Bäume - jeweils mit Basaltstele versehen - im Kasseler Stadtgebiet. „Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung“: Beuys pflanzte trotz eines Proteststurms den ersten Baum am 16. März 1982, sein Sohn Wenzel den letzten am 12. Juni 1987.
6. Kunstakademie Düsseldorf: Beuys war auch ein ungewöhnlicher Hochschullehrer. 1972 nahm er entgegen den Zulassungsbeschränkungen 142 abgelehnte Bewerber als Studenten auf. Wissenschaftsminister Johannes Rau entließ ihn, erst nach Jahren wurde der Rechtsstreit beigelegt. Beuys nutzte den legendären „Raum 3“ weiter. Zu seinen Schülern zählen etwa Jörg Immendorff und Imi Knoebel.
7. Zarenkrone, Hase, Kojote: Beuys’ Performances erregten Aufsehen und Aufruhr - ob er in Kassel die Kopie einer Zarenkrone zum Hasen einschmolz, beklebt mit Blattgold einem toten Hasen Bilder erklärte oder vom New Yorker Flughafen in Filz gewickelt in eine Galerie gefahren wurde, wo er drei Tage und Nächte mit einem Kojoten verbrachte.
8. Blitzschlag mit Lichtschein auf Hirsch, Rudel, Honigpumpe am Arbeitsplatz: Berühmte Kasseler Beuys-Werke. Der durch einen Schlauch durchs Fridericianum gepumpte Honig symbolisierte nicht nur Nahrung, sondern den Austausch von Ideen und Energie, wie seine „Capri-Batterie“, die Verbindung einer Glühlampe mit einer Zitrone. Den Raum für „Das Rudel“ - ein VW-Bus und 24 Schlitten - richtete Beuys 1976 ein, er ist seither unverändert.
9. Rudolf Steiner: Beuys stilisierte sich selbst zur Ikone, zum Schamanen. Der Begründer der Anthroposophie war ein wichtiger Bezugspunkt für Beuys, der sich mit mythischen und magischen Riten und Symbolen auseinandersetzte. Aus welchen Quellen er schöpfte, ist noch Anlass zu Kontroversen. Für manche war er ein Scharlatan. Als ihm Biograf Hans Peter Riegel 2013 Nähe zu völkischem Gedankengut vorwarf, war die Aufregung groß.
10. Sonne statt Reagan: Diesen Song stimmte Beuys 1982 an - heute auf Youtube zu sehen. Er griff direkt ins politische Geschehen ein, nahm 1980 am Grünen-Gründungsparteitag teil und kandidierte erfolglos für die Europawahl.
Zur Person
Joseph Beuys, am 12. Mai 1921 in Krefeld geboren, aufgewachsen in Kleve, meldete sich 1941 freiwillig zur Luftwaffe. 1944 Absturz auf der Krim, Kriegsgefangenschaft. Studium der Bildhauerei an der Kunstakademie Düsseldorf, wo er ab 1961 als Professor unterrichtete. 1953 erste Einzelausstellung im Haus van der Grinten. Die Sammlung der Brüder bildete den Grundstock des Museum Schloss Moyland am Niederrhein, das über eine umfassende Beuys-Sammlung und sein Archiv verfügt. 1976/1980 Venedig-Biennale. Sieben documenta-Teilnahmen. 1979 als erster Deutscher Retrospektive im Guggenheim-Museum New York. Am 12. Januar 1986 sprach er zur Verleihung des Lehmbruck-Preises in Duisburg, Beuys starb am 23. Januar 1986 in Düsseldorf.
Ausstellungen und Symposium
Bis 31.1. ist in der Neuen Galerie in Kassel die Kabinettausstellung zu Beuys’ „7000 Eichen. StadtRaum und Zeit“ zu sehen.
Die Stiftung 7000 Eichen veranstaltet heute, 10-18 Uhr, im Hörsaal der Kasseler Kunsthochschule ein Symposium zu Beuys’ 7000 Eichen mit Filmen, Vorträgen und Diskussionen. Abschluss (16.15 Uhr) mit Filmemacher Andres Veiel, Grünen-Mitgründer Lukas Beckmann und Beuys-Vertraute Rhea Thönges-Stringaris. Beitrag: 20 Euro, Studierende 10 Euro. Infos: www.7000eichen.de
Heute, 17 Uhr: Vernissage Fotos von Bernhard Rüffert/Ellen Markgraf „Beuys weiterdenken“, Anthroposophisches Zentrum, Wilhelmshöher Allee 261, Kassel