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Trauer um Sally Perel: Als der „Hitlerjunge Salomon“ Spuren in Kassel hinterließ

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Von: Marie Klement

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Sein Besuch beeindruckt seine damaligen Zuhörer bis heute: Sally Perel 2001 während seines Vortrags in der Aula der Albert-Schweitzer-Schule. Archi
Sein Besuch beeindruckt seine damaligen Zuhörer bis heute: Sally Perel 2001 während seines Vortrags in der Aula der Albert-Schweitzer-Schule. © Jörg Lantelmé

Sally Perel überlebte die Nazi-Zeit Dank einer falschen Identität - und setzte sich später für den Frieden ein. Auch in Kassel beeindruckte er seine Zuhörer. Ein persönlicher Nachruf.

Kassel – Sally Perel ist ein Mensch, der bleibt. Kennengelernt habe ich ihn vor 22 Jahren, als er in meiner damaligen Schule, der Albert-Schweitzer-Schule, aus seiner Autobiografie vorlas – und dabei Momente schaffte, an die ich bis heute oft zurückdenke. Nun ist der als „Hitlerjunge Salomon“ bekannt gewordene Holocaust-Überlebende im Alter von 97 Jahren gestorben.

Nicht nur in Kassel, auch in anderen Orten in der Region hat er seine Spuren hinterlassen, hat vor allem junge Menschen vor der „braunen Gefahr“ gewarnt. Ihm war es wichtig, auf Augenhöhe aufzuklären und niemals anklagend zu sein. Mit seiner ruhigen, aber zugleich packenden Art zu erzählen, schaffte Perel es mühelos, sonst nur schwer zu begeisternde Jugendliche in seinen Bann zu ziehen und mit auf eine Reise in seine Jugend zu nehmen. Auf eine Reise, als sich der Jude Sally Perel als Hitlerjunge Jupp Perjell ausgab. Als er die Ideologie der Nazis übernahm, mit ihnen „Heil Hitler“ rief, für seinen Einsatz für das Deutsche Reich ausgebildet wurde. Und gleichzeitig jeden Tag in Angst davor lebte, als Jude enttarnt zu werden.

Ich weiß noch genau, wie einige Klassenkameraden murrten, als es hieß, dass Perel mit uns über seine Erfahrungen sprechen wird. „Schon wieder das Nazi-Thema. Das waren wir nicht, wir sind nicht verantwortlich“, waren Sätze, die damals fielen. Sie lese ich auch heute in meinem Job als Social-Media-Redakteurin immer wieder in den Kommentaren unter Facebook- und Instagram-Posts. „Man kann nicht geschichtsfrei leben“, war Perels Appell, den er damals an uns Schüler richtete – und der es auch in den HNA-Bericht über den Vortrag schaffte.

Man hätte damals buchstäblich eine Stecknadel fallen hören können in der mit Hunderten Schülern voll besetzten Aula. Nicht wenige verdrückten bei Perels Erzählungen zwischendurch eine Träne. Mit ihm wurde die Geschichte, die wir im Unterricht behandelt hatten, lebendig. Sie wurde greifbar. Beängstigend.

Widmung von Sally Perel
Die Widmung von Sally Perel. © Marie Klement

Der Vater zweier Söhne, der nach dem Krieg in Israel lebte, wo er jetzt auch starb, nahm sich aber nicht nur während seines Vortrags Zeit. Auch danach durften wir all unsere Fragen loswerden. Wer wollte, bekam eine persönliche Widmung in sein Biografie-Exemplar. Ein besonderer Moment für uns.

Erst vor drei Jahren fischte ich das Buch wieder aus meinem Bücherregal und las es noch einmal. Es hatte auf mich dieselbe Wirkung wie als Jugendliche. Weil Sally Perel vermitteln konnte, dass Menschen, egal welcher Religion und Herkunft, alle gleich sind. „In jedem Kind ist der Drang zu leben, tief verwurzelt“, machte er uns etwa klar.

„So lange ich meine Schuhe trage, will ich darüber berichten“, sagte Perel 2001 über seine Erlebnisse. Das hat er getan. Nun ist der Botschafter für den Frieden verstummt. Sein Vermächtnis aber wird bleiben.

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