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Urinieren mit Zielscheibe: Kasseler erforscht Verhaltensbeeinflussung

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Von: Peter Dilling

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Gezielt Verhalten steuern: Auf beim Toilettengang können sanfte Beeinflussungen hilfreich sein. Foto: Picture Alliance
Gezielt Verhalten steuern: Auf beim Toilettengang können sanfte Beeinflussungen hilfreich sein. Foto: Picture Alliance

Kassel. Im Amsterdamer Flughafen ärgerten sich die Betreiber der Toiletten, dass die Pissoirs regelmäßig verschmutzt wurden. Eine Zielscheibe soll Abhilfe schaffen.

Anstatt Schilder mit dem Gebot „zielgerichteten“ Urinierens aufzuhängen, malten die Betreiber in die Mitte der Becken Fliegen, die gewissermaßen als Zielscheibe beim Pinkeln dienten. Der Reinigungsaufwand ging schlagartig zurück.

Subtile, nicht mit finanziellen Anreizen versehene Methoden der sanften Überredung zu einem vernünftigen oder erwünschten Verhalten seien auch in Deutschland auf dem Vormarsch und gewönnen als Mittel der Politik zunehmend Aufmerksamkeit, sagt Dr. Christian Schubert, Gastprofessor für Wirtschafts- und Unternehmensethik an der Universität Kassel. Man spricht dabei von Nudges (Deutsch: Stups, kleiner Schubs). Schubert beschäftigt sich allerdings nicht mit banalen Themen wie dem Verhalten auf Männertoiletten. Er erforscht, wie diese „Stupse“ für ein umweltbewussteres Verhalten eingesetzt werden können. „Sie haben ein großes Potenzial.“ Regelmäßige Informationen über den Energieverbrauch von Nachbarn könnten beispielsweise Hausbesitzer zu bewussterem Verhalten veranlassen.

Schubert lotet aber auch deren Grenzen aus: Dabei geht es um die Frage, ob man Menschen mit solch einer Technik in ihrer

Christian Schubert
Christian Schubert

Wahlfreiheit einschränken und sie gewissermaßen unterschwellig zu ihrem Glück zwingen darf. „In Deutschland wird Nudging von vielen Volkswirtschaftlern noch vehement abgelehnt“, sagt Schubert. Sie unterstellen, der Mensch wisse im Wirtschaftsleben grundsätzlich, was für ihn gut sei und handle danach.

In der Realität sei das aber häufig anders: In den USA kümmerten sich beispielsweise Arbeitnehmer häufig viel zu wenig um ihre Altersversorgung, sagt Schubert. Dieses Problem habe man dort mit einem „Stups“ erfolgreich angegangen. Mitarbeiter erhielten mit ihrem Arbeitsvertrag automatisch einen integrierten Rentenversicherungsvertrag, dessen Beiträge erst aus künftigen Lohnerhöhungen gezahlt werden müssen. Wer das nicht will, kann ohne Weiteres aussteigen. In Deutschland haben sich jüngst Ökonomen für ein ähnliches System einer integrierten Zusatzrentenversicherung ausgesprochen.

Wenn es allerdings um widerstreitende Interessen oder existenzielle Fragen geht, hält Schubert den Einsatz solcher Nudges für fragwürdig. Die etwa in Österreich geltende Regelung, wonach jeder Mensch von Geburt an Organspender ist, sofern er nicht ausdrücklich widerspricht, zählt er dazu. Schubert warnt auch davor, die Wirkung von Nudges zu überschätzen. Bestimmte politische Ziele, wie etwa der Umstieg auf Elektroautos, ließen sich nicht zum Nulltarif erreichen.

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