Unternehmer: Künstliche Intelligenz wird unser Leben mehr verändern als das Internet

Unternehmer Jörg Lamprecht ist fasziniert von Künstlicher Intelligenz - ob in selbstfahrenden Taxis oder bei Chat GPT. In Deutschland sehe man die Chancen nicht, sondern nur die Gefahren.
Kassel – Jörg Lamprecht ist einer der erfolgreichsten Unternehmer Kassels. Gerade hat der Gründer des Drohnenabwehrspezialisten Dedrone drei Monate im kalifornischen Silicon Valley verbracht – in San Francisco hat seine Firma ihren Hauptsitz. Im Zentrum der Technologie-Branche findet laut Lamprecht gerade die nächste Revolution statt. Wir sprachen mit ihm über Künstliche Intelligenz und selbstfahrende Taxis.
Haben Sie im Silicon Valley erlebt, wie die Zukunft aussieht?
Ja, das Silicon Valley ist immer im Umbruch. Google zum Beispiel hat gerade 15 000 Mitarbeiter entlassen. Allerdings wird oft vergessen, dass der Konzern während Corona allein in einem Quartal 13 000 Leute eingestellt hatte. Alles ist hier wir vor der Pandemie. Die Büros sind voll, die Start-ups blühen. Beeindruckt haben mich vor allem die selbstfahrenden Taxis. Bei meinem letzten Besuch hier vor drei Jahren hat man nur darüber geredet. Damals hieß es, das wird vielleicht nicht klappen. Jetzt muss man sagen: Es funktioniert tadellos.
Auf Facebook posteten Sie ein Video von Ihrer Fahrt im selbstfahrenden Taxi. Wie ungewöhnlich war diese Erfahrung?
Das ist revolutionär. Per App ruft man ein Taxi, sagt, wo man hin will und setzt sich auf die Rückbank. Das Handy zeigt den Fahrtweg an, und das Auto fährt komplett von allein, hält Abstand und lässt die Menschen am Zebrastreifen über die Straße gehen. In den ersten drei Minuten ist das noch ein komisches Gefühl und scary. Danach ist es nicht mehr gruselig, sondern ganz normal und nicht anders als bei einer Fahrt mit einem Menschen am Steuer. Wenn man das gesehen hat, weiß man, was in den nächsten Jahren alles passieren kann.
Welche Entwicklungen wird dies denn nach sich ziehen?
In Städten bräuchte man nur noch 20 Prozent der Autos. Man ruft eins und schickt es dann wieder weg, damit es andere Menschen transportiert. Ich würde mir so ein Auto sofort kaufen. Man kann hinten sitzen und arbeiten oder Instagram checken. In San Francisco gibt es bereits 35 Firmen, die eine Lizenz für selbstfahrende Autos haben.
Durch das Programm Chat GPT, das ebenso gut wissenschaftliche Texte wie Liebesbriefe schreiben kann, ist Künstliche Intelligenz nicht mehr nur etwas für Informatikexperten. Erleben wir gerade einen Moment wie bei der Erfindung des Buchdrucks und des Internets?
Die Veränderungen jetzt sind noch viel größer. Künstliche Intelligenz wie Chat GPT wird unser Leben noch mehr beeinflussen als das Internet. Bereits jetzt gibt es bei Amazon 250 Bücher mit Künstlicher Intelligenz als Co-Autor. Das alles ist unglaublich beeindruckend und wird jede Menge Berufe verändern. Meinen Kindern würde ich nicht mehr empfehlen, Jura zu studieren. Wozu braucht man noch einen Anwalt oder einen Steuerberater, wenn eine Maschine den Job viel besser kann? Unsere Werbeagentur fertigt jetzt schon alle Texte mit Chat GPT an.
Mein Job wird dann auch überflüssig.
Zumindest werden im Journalismus deutlich weniger Arbeitsplätze nötig sein. Chat GPT ist bislang nur eine Beta-Version. Und schon jetzt kann ich sagen: Schreib mir eine Mail an andere Unternehmen, um Partnerschaften für Drohnengeschäfte anzubahnen – ob auf Koreanisch oder in jeder anderen Sprache. Die Ergebnisse sind unglaublich gut. Wenn der Computer bessere Texte schreibt als ein Mensch, ist es mir egal, von wem ein Roman stammt. Dafür werden neue Arbeitsplätze in Bereichen entstehen, die sich mit Künstlicher Intelligenz beschäftigen.
Im Kasseler OB-Wahlkampf haben Sie die Themen Technologie und Start-ups vermisst. Gibt es in Deutschland und Nordhessen kein gutes Klima für innovative Unternehmen?
Ich glaube nicht. Hierzulande beschäftigen wir uns zu sehr mit dem, was man gegen die nötigen Veränderungen verteidigen muss. Oft geht es um Gender, Rassismus und den Klimawandel. Aber wo ist das nächste große Ding? Ob ein Super-Computer oder der Flug zum Mars.
Was können wir vom Silicon Valley lernen?
In Deutschland geht es oft nur um Angst und Verbote. Gasheizungen sollen verboten und Häuser gedämmt werden. Die Veränderung wird kaum als Chance gesehen. In Nordhessen gibt es die Universität, das Fraunhofer-Institut und SMA. Das alles ist gut, aber wir brauchen weitere Unternehmen, die Arbeitsplätze schaffen. Auch andere europäische Länder wie Estland haben uns bei der Digitalisierung den Rang abgelaufen. Selbstfahrende Autos könnte auch das Autoland Deutschland bauen. Als leidenschaftlicher Überzeugungseuropäer frage ich mich: Warum machen wir es dann nicht? (Matthias Lohr)