Kassel: Jetzt kommen Hunderte von Fahrradbügeln

In Kassel werden vielerorts neue Fahrradbügel installiert. In den Stadtteilen sind Radstellplätze ein kontroverses Thema.
Kassel – Zum Thema „Förderung des Radverkehrs im Gebiet der Stadt Kassel“ hatte die Stadtverordnetenversammlung im September 2019 beschlossen, bis 2022 im Kasseler Stadtgebiet zu den bestehenden noch 900 Fahrradbügel für insgesamt 1800 öffentlich nutzbare Radabstellplätze aufzustellen.
Mit Verspätung ist das Straßenverkehrs- und Tiefbauamt jetzt dabei, dies umzusetzen. Die Arbeiten, die ein externes Unternehmen übernommen hat, laufen auf Hochtouren. Laut Auskunft eines Stadtsprechers sind von der ersten Fördertranche mit 900 Fahrradabstellbügeln rund 200 errichtet worden; 620 befinden sich im Bau.
In der Detailabstimmung befänden sich noch 171 Bügel. Das Projekt wird von Hessen Mobil aus dem Programm der Nahmobilität gefördert. Pro Fahrradbügel kalkuliert das Straßenverkehrsamt Kosten von 500 Euro. Sie werden zu 80 Prozent gefördert.
Es handelt sich um im Boden verankerte feuerverzinkte oder pulverbeschichtete Metallbügel, an die Räder angeschlossen werden können. Sie werden am Fahrbahnrand installiert, auf Bürgersteigen und auf Autoparkplätzen. Bei den Standorten hatten die Ortsbeiräte Mitspracherecht. Sie legten in allen Stadtteilen Plätze für die Bügel fest. Zurzeit werden sie verstärkt im Vorderen Westen aufgestellt: insgesamt 146 an 42 Standorten.
Das kommt in einem Stadtteil mit hohem Parkdruck nicht bei allen Anwohner gut an. „Wer hier sein Auto parkt, macht das doch nicht zum Spaß“, sagt Leserin Wiebke Ludwig. Es macht für sie „keinen Sinn, Fahrradständer anzubringen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht genutzt werden, da die Gefahr zu hoch ist, dass das Fahrrad hier in kürzester Zeit einem Diebstahl zum Opfer fällt“.
Es sei für die Umwelt wichtig, Wege zu Fuß und auf dem Fahrrad zu erledigen oder auf den ÖPNV umzusteigen, aber: Es gibt genügend Möglichkeiten, Fahrradständer dort anzubringen, wo sie niemanden stören.“ Ortsvorsteher Steffen Müller (Grüne) sagt: „Es gibt auch positive Resonanz auf die Fahrradbügel.“ Von 9600 Parkplätzen im Stadtteil fiel für die Bügel gerade mal ein Prozent weg. Das sei verkraftbar.

Soweit möglich werden die Wünsche der Ortsbeiräte hinsichtlich der Anzahl und der Standorte für die Fahrradbügel erfüllt, heißt es aus dem Rathaus. Der Beschluss der Stadtverordnetenversammlung zur Förderung des Radverkehrs sieht als Zielmarke vor, dass auf 100 Pkw-Parkplätze etwa 40 Fahrradabstellmöglichkeiten, also 20 beidseitig nutzbare Anlehnbügel, kommen sollen. Von dieser Quote sei man in den meisten Straßen von Kassel derzeit noch weit entfernt.
An vielen Orten im Stadtgebiet sind die Fahrradständer Thema. Allerdings ist die Situation sehr unterschiedlich. Ein Blick in einzelne Stadtteile:
Jungfernkopf
Im Stadtteil Jungfernkopf waren im vergangenen Sommer Fahrradbügel an acht Standorten montiert worden, unter anderem an der Kita „Wilde Kerle“ am Fichtenrain, an an der Grundschule, der Kirche, am Einkaufszentrum und am Seniorenheim.
Seither machen sich viele im Stadtteil lustig darüber, dass so gut wie nie Räder an den Ständern angeschlossen sind. Der Jungfernkopf ist neben Nordshausen und Brasselsberg einer der Stadtteile mit den meisten Autos pro Kopf. Auf je 1000 Menschen (mitgezählt sind auch Kinder und Jugendliche) kommen dort 571 Fahrzeuge. Wegen der mäßigen Erreichbarkeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln haben am Jungfernkopf viele Paare und Familien sogar zwei Autos vor dem Haus stehen.
Neben der Tatsache, dass viele die Fahrradbügel für überflüssig halten, sorgte bei einigen Anwohnern für Ärger, dass an mehreren Standorten die Ständer am Rand der Fahrbahn angebracht wurden. So werde der Autoverkehr unnötig behindert.
Südstadt
In der Südstadt gibt es 224 öffentliche Bügel zum Abstellen von Fahrrädern. Spätestens Anfang 2023 sollen an 26 Standorten 114 weitere hinzugekommen sein. Zuvor hatte der Ortsbeirat Vorschläge für die neuen Fahrradständer-Standorte gemacht. „Aufgrund der großen Anzahl von Anfragen von allen 23 Ortsbeiräten könnten gegebenenfalls nicht alle Vorschläge berücksichtigt werden“, erklärte Georg Förster, der Leiter des Straßenverkehrsund Tiefbauamts den Stadtteilvertretern.
Ortsbeiratsmitglied Jutta Gonnermann (CDU) ist mit der Dichte und Anzahl von 34 neuen Fahrradständern im Philosophenweg nicht einverstanden: „Das sind einfach zu viele“, sagt sie. „Ich finde Fahrradbügel nur dort gut, wo sie auch gebraucht werden.“
Bei drei weiteren Standorten im Stadtteil, etwa in der Tischbeinstraße, ist sie skeptisch, ob hier Fahrradabstellplätze benötigt werden. Ortsbeiratsmitglied Oliver Claves (Grüne) meint: „Es dauert immer eine Zeit, bis neue Abstellmöglichkeiten genutzt werden.“
Philippinenhof
Im Stadtteil Philippinenhof-Warteberg waren sich die Mitglieder des Ortsbeirats von Anfang an nicht einig, an welcher Stelle die neuen Fahrradständer von der Stadt Kassel montiert werden sollen. Vier Bügel stehen jetzt zum Beispiel auf der Gahrenbergstraße gegenüber einer Bushaltestelle auf der Fahrbahn – und verengen diese dadurch, ähnlich wie eine Verkehrsinsel.
„Wenn ein Bus an dieser Haltestelle steht, gibt es kein Durchkommen mehr, auch nicht für Rettungsfahrzeuge“, kritisiert Ortsvorsteher Maximilian Bathon (CDU). Nicht selten bilden sich lange Autoschlangen. Das wird auch von den Anwohnerinnen und Anwohnern bemängelt. Maximilian Bathon wünscht sich die Fahrradständer etwa 150 Meter weiter unterhalb des aktuellen Standorts. „Dann stehen sie gegenüber vom Spielplatz. Hier hätte die Verkehrsberuhigung mehr Sinn für die Kinder, die über die Straße gehen müssen“, sagt er.
Unterneustadt
An der Blücherstraße in der Unterneustadt war vor dreieinhalb Jahren der Ärger von Anwohnern hochgekocht, als Pläne für den weiteren Ausbau der dortigen Fahrradstraße bekannt wurden. Das Viertel leidet seit jeher unter Fremdparkern, die dort ganztägig die kostenfreien innenstadtnahen Parkmöglichkeiten blockieren.
Erheblichen Unmut gab es, als sich herumsprach, dass jeder sechste Autostellplatz am Straßenrand wegfallen soll, um die Fahrradstraße zu verbreitern und zusätzlich zu den reichlich vorhandenen Anschließmöglichkeiten 26 weitere Fahrradständer aufzustellen.
Der Ärger um Autostellplätze hat sich längst gelegt, zumal die für Anwohner reservierten Parkbereiche ausgeweitet wurden. Der größte Teil der vielen neuen Fahrradbügel bleibt allerdings die meiste Zeit ungenutzt.
Vorderer Westen
Im Vorderen Westen, wo zurzeit eine Vielzahl an Fahrradbügeln aufgestellt wird, wächst der Unmut der Anwohner. „Hier wird völlig am Bedarf vorbei gebastelt“, sagt Rolf Golinski aus der Goethestraße. Die Fahrradbügelparade von zwei mal zehn Bügeln vor seiner Haustüre sei „nie auch nur annähernd ausgelastet“.
Während eines Festes in der Goetheanlage hätten da mal sieben Räder gestanden. Das sei der Rekord gewesen. Zur „Fehlplanung“ gehöre, dass sich zwischen den Bügeln Asphalt befinde, statt eines wasserdurchlässigen Untergrunds. „Ich fahre selber Fahrrad, aber diese Bügel sind ohne Sinn und Verstand aufgestellt worden. Und so geht es jetzt weiter.“