Bekommt Kassel ein Zentrum für Kreativwirtschaft?

Architekten, Werber und Software-Firmen sind ein wichtiger Wirtschaftsfaktor in Kassel. Nun soll es ein Zentrum für die Kreativwirtschaft geben. Nur der Standort ist offen.
Kassel – Die Erkenntnis, die Johannes Gerstenberg am Dienstag im städtischen Kulturausschuss verkündete, dürfte man in Kassel sehr gern registrieren. Der Architekt des Frankfurter Büros BB22 stellte dort eine Konzeptstudie für ein Zentrum für Kreativwirtschaft in Kassel vor und beschrieb nebenbei auch den Unterschied bei den Rahmenbedingungen zwischen Frankfurt und Kassel.
Für die Main-Metropole diagnostizierte Gerstenberg eine Stagnation in der Kreativwirtschaft, weil es keine räumlichen Möglichkeiten mehr gebe, sich zu entfalten. Dagegen gebe es in Nordhessen viel Raum: leer stehende Fabriken sowie Kaufhäuser und noch viel mehr: „Das sollte man selbstbewusst und freudig aufgreifen.“
Womöglich bekommt Kassel bald tatsächlich ein Zentrum für Kreativwirtschaft. Die vom Kulturdezernat in Auftrag gegebene Studie wurde von den Ausschussmitgliedern einstimmig zur Kenntnis genommen. Am Montag werden vermutlich auch die Stadtverordneten der Vorlage zustimmen, die den Magistrat beauftragt, weitere Planungs- und Umsetzungsschritte zu prüfen. Aber was ist eigentlich die Kreativwirtschaft?
Ein nicht zu unterschätzender Teil der heimischen Ökonomie, wie Gerstenberg mit Zahlen belegte. In Kassel erwirtschafteten vor allem Architekten, der Werbemarkt sowie Software-Firmen 2021 einen Umsatz von 860 Millionen Euro. Zur Branche werden fast 1200 Unternehmen mit mehr als 6000 Beschäftigten gezählt. Der Anteil der Kreativwirtschaft am deutschen Bruttoinlandsprodukt beträgt immerhin 2,8 Prozent. Damit liegt die Branche vor dem Maschinenbau und Finanzdienstleistern. Hier geht es also nicht um Hobbykünstler.
Bei Workshops und Arbeitsgruppen mit Kasseler Kreativen erfuhren die Planer von BB22, dass der Wunsch nach einem weiteren Zentrum für die Branche neben dem Science Park der Universität groß ist. Mit der Standortfrage beschäftigt sich die Studie nicht. Dafür schlägt sie vor, mit einem Pop-up-Prototypen einfach mal loszulegen. Etwa 900 Quadratmeter werden benötigt, um Coworking-Büros, Seminarräume und Werkstätten zu realisieren, die neudeutsch Makerspace heißen. Kulturdezernentin Susanne Völker sagte der HNA: „Wir suchen einen kurzfristigen Standort, der kleiner sein kann, sowie einen langfristigen Standort.“ Mögliche Immobilien gibt es viele.
So ist die Zukunft des Ruruhauses immer noch offen. Nach dem Ende der documenta war dort das Impfzentrum untergebracht. Nun findet im Erdgeschoss noch bis zum 23. Mai eine Kunstausstellung statt. Die Obergeschosse sind für eine Zwischennutzung vermietet, wie ein Stadtsprecher auf Anfrage mitteilt. Für die Zeit danach gebe es unterschiedliche Vorstellungen. Stadtbaurat Christof Nolda kann sich dort etwa gut die Stadtbücherei vorstellen. Auch das documenta-Zentrum ist immer noch eine Option. Ein Zentrum für Kreativwirtschaft im Ruruhaus könnte die Innenstadt ebenfalls beleben.
Offen ist auch, wie es mit dem Roten Palais gegenüber weitergeht, wo bislang noch das Modekaufhaus Sinn residiert, ehe es in die Königs-Galerie umzieht. Der ehemalige documenta-Standort WH 22 in der Werner-Hilpert-Straße soll mit Kultur belebt werden. Eine Initiative von Kreativen bemüht sich ebenso um den Kauf wie andere Interessenten. Und schließlich gibt es außerhalb am Rand der Unterneustadt noch das Areal Hafenstraße 76, das vorigen Sommer ebenfalls von der documenta bespielt wurde, sowie die Henschel-Hallen in Rothenditmold, die eigentlich als Ersatzspielstätte für das Staatstheater angedacht waren.
In Frankfurt wäre man glücklich über so viele Optionen. Fachmann Gerstenberg empfiehlt den Kasselern darum, „sich auf den Weg zu machen. Die Zeit ist reif.“ (Matthias Lohr)