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Fall Lübcke: Unterstützung für den CDU-Politiker gab es erst nach dem Mord

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Von: Matthias Lohr

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Hier tagt der Ausschuss seit zehn Monaten: Im hessischen Landtag sollen offene Fragen im Mordfall Lübcke beantwortet werden.
Hier tagt der Ausschuss seit zehn Monaten: Im hessischen Landtag sollen offene Fragen im Mordfall Lübcke beantwortet werden. © Matthias Lohr

Im Untersuchungsausschuss zum Mord an Walter Lübcke erzählt sein Ex-Pressesprecher von den Drohungen gegen seinen Chef. Die Linke überrascht mit einer Enthüllung.

Wiesbaden – Michael Conrad war zehn Jahre lang Pressesprecher des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke. Über die Ermordung seines Chefs am 1. Juni 2019 hat er praktisch nie öffentlich gesprochen. Gestern sagte er mit zwei anderen Zeugen im Untersuchungsausschuss des hessischen Landtags in Wiesbaden zum Lübcke-Mord aus und schilderte, wie sehr der CDU-Politiker nach der Bürgerversammlung im Oktober 2015 in Lohfelden bedroht wurde.

Untersuchungsausschuss im Fall Lübcke: Der Pressesprecher

Bereits im Vorfeld der Versammlung zur Flüchtlingsunterkunft in Lohfelden hatte Conrad damit gerechnet, dass es dort unruhig werden könnte. Während vergleichbare Veranstaltungen anderswo konfliktfrei über die Bühne gegangen seien, hatte sich kurz vor dem Termin in Lohfelden bereits eine Frau bei ihm gemeldet, die panische Angst vor Flüchtlingen gehabt habe.

In den ersten Reihen des bis auf den letzten Platz gefüllten Bürgerhauses saßen damals Besucher, die sonst Stammgäste bei den Veranstaltungen des rechtspopulistischen Pediga-Ablegers Kagida waren. Sie riefen „Scheiß Staat“ und andere Beschimpfungen. Irgendwann sagte Lübcke, der sich trotz eines fiebrigen Infekts auf die Bühne gestellt hatte, dass es sich lohne, „in unserem Land zu leben“, dass man für Werte eintreten müsse. Und: „Wer diese Werte nicht vertritt, der kann jederzeit dieses Land verlassen, wenn er nicht einverstanden ist.“

Mordfall Walter Lübcke: Massive Drohungen im Oktober 2015

Conrad fand den Satz super, wie er zu seinem Chef sagte: „Am liebsten hätte ich ihn in den Arm genommen.“ Doch am nächsten Tag begann ein Shitstorm mit zahlreichen Drohungen. Markus H., Neonazi-Kumpel des späteren Lübcke-Mörders Stephan Ernst, hatte einen verkürzten Mitschnitt der Rede ins Netz gestellt. Bereits am nächsten Morgen kamen im Regierungspräsidium fast 400 böse Mails an.

Lübcke bekam Polizeischutz, habe die Gefahr jedoch heruntergespielt, wie Conrad sagt. Als die Grünen-Abgeordnete Eva Goldbach sagte, es habe doch auch Riesenunterstützung für Lübcke und seinen Satz gegeben, korrigierte Conrad: „Ja, aber erst nach seiner Ermordung.“

Dass die ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete Erika Steinbach, die gerade in die AfD eingetreten ist, das Video wenige Monate vor dem Mord erneut verbreitete, hat Conrad damals nicht mitbekommen, wie er sagte. Heute ist er im Ruhestand. Von Social Media hält er immer noch nichts: „Es war ein Segen, dass das Regierungspräsidium damals nicht auf Facebook und Instagram war.“

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Aussage im Fall Lübcke: Der Staatsanwalt

Zuvor hatte Staatsanwalt Dieter Killmer ausgesagt. Der Ankläger der Bundesanwaltschaft im Lübcke-Prozess am Frankfurter Oberlandesgericht ist nach wie vor überzeugt, dass Ernst nicht allein gehandelt hat. „Die Tatwaffe“, sagte der 51-Jährige, „ist beschafft worden, mit dem Ziel, Walter Lübcke zu ermorden.“ Den Kontakt zu Ernsts Waffenhändler soll Markus H. hergestellt haben. Der wurde jedoch freigesprochen. Zudem glaubt Killmer, dass Ernst auch für den Messerangriff auf den Iraker Ahmed I. verantwortlich ist. Davon war das Gericht nicht überzeugt. Im Ausschuss, der ein Behördenversagen untersuchen soll, lobte der Staatsanwalt ausdrücklich den Verfassungsschutz. Er habe nie einen „derart intensiven und transparenten Informationsfluss“ erlebt.

Neu war für Killmer ein Hinweis des Linken-Landtagsabgeordneten Torsten Felstehausen auf einen Zeugen, mit dem sich die Ermittler im Zuge von Ernsts Waffengeschäften beschäftigten. Der Mann betreibt die Security-Firma, dessen Mitarbeiter 2019 für die Sicherheit auf der Kirmes in Istha sorgen sollten – an dem Wochenende, an dem Lübcke erschossen wurde.

Der Name des Zeugen taucht auch in den NSU-Akten auf, weil er in den 90er-Jahren Mitglied der militanten Neonazi-Gruppe Sauerländer Aktionsfront gewesen sein soll. Killmer nahm den entsprechenden Aktenhinweis dankend mit nach Karlsruhe.

Fall Lübcke: Der Polizist

Dass es Markus H. war, der das Video aus Lohfelden ins Netz gestellt hatte, wurde erst nach dem Lübcke-Mord bekannt. Cihan Bilgic, ehemaliger Staatsschutz-Leiter im Polizeipräsidium Kassel, erklärte, dass es zuvor keinen Anlass gegeben habe, den Urheber zu ermitteln, da keine Straftat vorgelegen habe. Der Regierungspräsident habe keine Anzeige wegen der Droh-Mails stellen wollen. Lübcke, urteilt Bilgic, „hat sich in keinster Weise bedroht gefühlt“.

Die Reaktionen: Waffenhandel im Lübcke-Mord „vollständig unaufgeklärt“

Für Felstehausen ist nach der Sitzung klar, dass der Waffenhandel rund um den Lübcke-Mord „vollständig unaufgeklärt“ ist: „Für die Zukunft heißt das: Der gesamte Sumpf aus Waffen in der Hand von Militaria und Neonazis muss endlich entschieden ausgetrocknet werden.“

Und für den SPD-Fraktionschef Günter Rudolph stellt sich die Frage, „weshalb der florierende Waffenhandel in der rechten Szene den Sicherheitsbehörden nicht frühzeitig aufgefallen ist“. Um ähnliche Fragen wird es auch bei der nächsten Sitzung des Ausschusses am 4. März gehen. (Matthias Lohr)

Michael Lacher, ein Schulfreund Lübckes, beobachtet die Sitzungen des Untersuchungsausschusses in Wiesbaden bereits seit April. Im Interview mit unserer Zeitung fällt er ein deutliches Urteil.

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