Wegen Partymeilen-Lärm: Anwohnerin zieht aus Wohnung an der Friedrich-Ebert-Straße

Der Lärm der Partymeile ist ihr zu viel geworden. Anwohnerin Christa Gieseler zieht aus ihrer Kasseler Wohnung aus.
Kassel – Christa Gieseler ist eine Kämpferin. Nicht aus Verbissenheit, sondern aus Lebensmut. Es lohne sich, seine Kraft für Lebensqualität einzusetzen, lautet ihr Motto. Immer wieder hat sich die heute 75-Jährige selber neu erfunden und negative Situationen aktiv gewendet.
Doch jetzt gibt die gebürtige Kasselerin – zum ersten Mal in ihrem Leben – auf. Schweren Herzens zieht sie aus ihrer GWH-Wohnung an der Friedrich-Ebert-Straße, wo sie seit über 20 Jahren wohnt. Die sogenannte Party-Meile vor ihrer Haustür, die sich in den zurückliegenden Jahren zu einem ausufernden Terror entwickelt habe, macht es ihr unmöglich, länger dort zu leben. Vor allem das – auch zunehmend kriminelle Treiben wie Drogenhandel, Gewalt und Prostitution – am Rande der Meile, sei für sie nicht mehr zu ertragen.
Kassel: Christa Gieseler wurde vor ihrem Haus bedroht
An den Wochenenden hielten sich nachts mehrere Hundert Menschen, verteilt über die neu gestaltete Grünanlage Grüne Banane und rund um die GWH-Wohnhäuser, auf. „Die machen dort mehr als nur Krach. Dieses Klientel geht ja nicht in die Kneipen, sondern bringt sich seinen Alkohol in Kühltaschen mit und konsumiert den und andere Drogen hier vor Ort.“ Einmal habe sich ein Taxifahrer mit Verweis auf die Szene geweigert vorzufahren. Ein anderes Mal kam ein Notarzt mit großer Verspätung, weil er nicht durch die Partymassen kam.
Christa Gieseler ist kein ängstlicher Mensch. Sie habe die jungen Menschen wiederholt freundlich angesprochen, etwa wenn ihr Horden den Eingang zu ihrem Haus versperrten. „Aber ansprechbar war keiner von denen.“ Stattdessen wurde die zierliche Frau mehrfach bedroht, sexuell belästigt und verhöhnt. Auch Heroin und Kokain seien ihr schon angeboten worden. „Vielleicht haben die mich ja falsch eingeschätzt, weil ich tätowiert bin“, sagt sie. Auf ihren Armen stehen neben Tattoos wie dem einer Friedenstaube die Wörter Respekt, Achtsamkeit und Toleranz. Seit Jahren nun versucht Christa Gieseler, mit allen möglichen Einrichtungen, auch der Polizei und dem Ortsbeirat, den sie regelmäßig besucht, etwas zu ändern.
Frau aus Kassel ist mit ihrer Kraft am Ende
Nun sei die Frau aus Kassel am Ende mit ihrer Kraft. In einem Brief, den sie jetzt an alle Ortsbeiratsmitglieder verteilt hat, verabschiedet sie sich: „Ich bin vor 22 Jahren bewusst in den Vorderen Westen gezogen: wegen der kulturellen Vielfalt, dem Einzelhandel, der Infrastruktur, dem regen und bunten Leben.“ Jetzt sage sie traurig adieu. In den nächsten Tagen beziehe sie eine Wohnung am Stadtrand.
Gieseler war 27 Jahre alt, als man bei ihr einen Hirntumor feststellte. Mehrfach wurde sie operiert. Im Alter von 37 Jahren sagten ihr die Ärzte: Sie werden nicht älter als 40. „Vielleicht ist es jetzt an der Zeit, mal mehr an mich zu denken“, hatte sie sich damals vorgenommen. Sie trennte sich von ihrem Mann und zog mit Tochter und zwei Hunden an den Ziegenberg in Harleshausen.
Nach über 20 Jahren an der Friedrich-Ebert-Straße: „Ich kann nicht mehr“
Aufgrund eines Gen-Defekts leidet Christa Gieseler an diversen Krebserkrankungen und Einschränkungen. Ihre Berufstätigkeit als Verwaltungsfrau im Klinikum musste sie aufgeben. Anschließend pflegte sie 25 Jahre lang ihre Mutter. Nach deren Tod habe sie erkannt: „Ich kann in Harleshausen alleine nicht gut alt werden.“ Bewusst habe sie sich für eine Wohnung in einer dichteren Infrastruktur entschieden.
Sie habe gerne im Westen gewohnt. Doch jetzt sei sie müde geworden. „Ich kann nicht mehr“, sagt die quirlige Frau und blickt auf die Umzugskartons in ihrer Wohnung. „Dass ich hier mal ausziehe, war nicht geplant.“ (Christina Hein)
Immer wieder beschweren sich Anwohner der Friedrich-Ebert-Straße über die Menschen, die auf Kassels Partymeile bis in den frühen Morgen feiern. Ein Ortsvorsteher forderte bereits mehr Polizeipräsenz.