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Gigantische Klimaschutz-Investitionen in Häuser nötig: Tragen letztlich auch Mieter die Kosten?

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Von: Bastian Ludwig

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Dachdämmung ist ein Beitrag zum Klimaschutz im Gebäudesektor: Um die Klimaziele der Bundesregierung zu erreichen, müssten jährlich 300 Millionen Euro in die Häuser in Stadt und Kreis Kassel investiert werden.
Dachdämmung ist ein Beitrag zum Klimaschutz im Gebäudesektor: Um die Klimaziele der Bundesregierung zu erreichen, müssten jährlich 300 Millionen Euro in die Häuser in Stadt und Kreis Kassel investiert werden. © dpa

Die Klimaschutzambitionen der Bundesregierung könnten für Mieter teuer werden. Denn der Investitionsbedarf bei energetischer Sanierung ist riesig. Wer trägt die Kosten?

Kassel – Es ist ein kaum lösbarer Konflikt: Bis 2045 will die neue Bundesregierung einen klimaneutralen Gebäudebestand erreichen und gleichzeitig bezahlbaren Wohnraum garantieren. Für die dafür nötigen energetischen Sanierungen sind allein in Stadt und Kreis Kassel nach Berechnungen des Pestel-Institutes aus Hannover Investitionen von 937 Millionen pro Jahr nötig. Mieterschutzorganisationen warnen, dass diese Kosten nicht auf Mieter abgewälzt werden dürften.

Der Verein Meinfairmieter, der Gütesiegel an vorbildliche Vermieter verleiht, hatte die Berechnung beim Pestel-Institut beauftragt. Dabei kam heraus, dass für die 224 000 Häuser und Wohnungen in Stadt und Kreis immense Investitionen anstehen, wenn die Klimaschutzziele erfüllt werden sollen. Auf aktueller Kostenbasis berechnet, beliefen sich die Kosten bis 2045 auf über 20 Milliarden Euro für unsere Region. Wobei diese Zahl auch von Eigentümern bewohnte Immobilien einschließt. Baupreissteigerungen sind aber nicht mitgerechnet.

Bezogen auf den Mietwohnungsmarkt sind für die 76 000 Einheiten in der Stadt und die 44 000 Einheiten im Kreis Kassel aber immer noch 300 Millionen Euro pro Jahr nötig, die nach geltendem Recht auf die Mieter umgelegt werden dürfen. Deshalb fürchten Meinfairmieter, aber auch der Mieterschutzbund Nordhessen in der Folge enorme Mietanstiege.

Mieterbund-Geschäftsführer Maximilian Malirsch rechnet vor, dass die Jahreskaltmiete nach aktueller Rechtslage um acht Prozent für Modernisierungen erhöht werden darf. In 12,5 Jahren könne also die Investition zu 100 Prozent auf Mieter umgelegt werden. Wobei der Vermieter Zuschüsse und ersparte normale Renovierungskosten von den umlegbaren Kosten abziehen müsse.

Während der Vermieter durch die Wertsteigerung seiner Immobilie und die erhöhten Mieten profitiere, so Malirsch, hätten Mieter bei derzeitiger Rechtslage das Nachsehen. Denn sie profitierten nicht in gleichem Maße von Energieeinsparungen. „Die Einsparungen betragen meist nur einen Bruchteil der Kaltmieterhöhung“, so Malirsch. Inflation und steigende CO2-Bepreisung ließen Heiz- und Betriebskosten steigen.

Der Ampelkoalition sei dieses Problem bewusst. Derzeit werde an einem Modell gearbeitet, wie einerseits die Vermieter zu einer möglichst effektiven energetischen Sanierung bewegt werden können, ohne dass die Kosten für Mieter ausufern.

Mieterschutzbund und Haus & Grund haben verschiedene Standpunkte

Die Klimaschutzambitionen der neuen Bundesregierung lösen beim Mieterschutzbund Nordhessen Bedenken aus. Große Sorge ist, dass die hohen Kosten für die notwendigen energetischen Sanierungen der Gebäude auf die Schultern der Mieter verteilt werden. Deshalb fordert der Mieterbund ein Modell, bei dem trotz Klimaschutz-Investitionen eine Wohnkostenneutralität erreicht wird.

„Das heißt, dass die Kaltmiete nur im selben Umfang erhöht werden darf, in dem die Mieter Energiekosten einsparen“, so Geschäftsführer Maximilian Malirsch.

Die bevorstehenden Aufgaben sind gigantisch, um – wie im Koalitionsvertrag vereinbart – bis 2045 Klimaneutralität im Gebäudesektor zu erreichen. Das Pestel-Institut aus Hannover geht davon aus, dass 80 Prozent der Wohnfläche in den 240 000 Häusern und Wohnungen in Stadt und Kreis Kassel energetisch ertüchtigt werden müssen, um die Ziele der Regierung zu erreichen. Das restliche Fünftel sei entweder bereits auf einem hohen Klimaschutz-Niveau oder die Bausubstanz lasse technisch oder wirtschaftlich eine sinnvolle Sanierung nicht zu.

Um einen Interessenausgleich zu erreichen, sind laut Malirsch mehrere Optionen in der politischen Diskussion. Als Optionen stünden etwa die Einführung einer festen Warmmiete (Heizkosten enthalten) und eine Teilwarmmiete, bei der sich Mieter und Vermieter die Heizkosten teilen, zur Wahl. Dieses Modell habe den Vorteil, dass energetische Sanierungen auch für Vermieter wirtschaftlich Sinn ergeben, sagt Malirsch. Bisher sei es ihnen ökonomisch betrachtet egal, wie viel Energie ihr Gebäude verbrauche, weil die Kosten die Mieter zahlten.

Malirsch lässt keinen Zweifel daran, dass die Sanierungen notwendig seien. Sie dürften die Mieter aber nicht überfordern. Der Energiekostenanstieg werde sich ohnehin bald deutlich bemerkbar machen. Mit den Betriebs- und Heizkostenabrechnungen für 2021 und 2022 sei mit erheblichen Nachzahlungen zu rechnen. „Nach unserer Schätzung dürften mehrere Hundert Euro pro Jahr eher die Regel als die Ausnahme sein. Daher ist der Gesetzgeber gefragt, die Rechtslage schnellstmöglich zu ändern, um eine Kostenexplosion zu verhindern“, so Malirsch.

Bei Haus & Grund in Kassel, wo die Interessen der Eigentümer vertreten werden, zieht man andere Schlüsse. Die Zahlen des Pestel-Institutes seien seriös und nachvollziehbar, so Geschäftsführer Wolfram Kieselbach. Insofern seien ohne Frage hohe Kosten zu erwarten – auch aufgrund steigender Material- und Arbeitspreise. „Zum Klimaschutz müssen wir alle unseren Beitrag leisten und nicht nur die Immobilieneigentümer. So betrachtet ist es eine logische Folge, dass auch Mieter ihren Teil dazu beitragen. Alles andere wäre unlauter“, so Kieselbach. Aufschläge auf die Miete seien unvermeidbar, um die Herausforderung für die Gesellschaft zu schultern.

Ursprünglich seien sich Haus & Grund und Mieterbund auch einig gewesen, dass der Preis für die klimaschützenden Investitionen zu je einem Drittel durch Staat, Vermieter und Mieter zu tragen sei. Erst später sei der Mieterbund umgeschwenkt.

Das Neidargument, mit den Investitionen steige der Wert der Immobilie, verfange, weil sich dieser erst im Verkaufsfalle auswirke. Bis dahin fielen Investitionskosten, Unterhaltskosten und Instandsetzungen an. Mieterhöhungsmöglichkeiten wegen energetischer Sanierungen seien bereits von 14 auf 8 Prozent reduziert worden, so Kieselbach. Um die Kosten für Mieter zu reduzieren, fordere sein Verband seit Langem, die CO2-Einnahmen an die Bürger zurückzugeben.

„Klimaschutz kostenneutral zu bekommen, hieße: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass, das gilt auch für Mieter“, so der Geschäftsführer weiter. (Bastian Ludwig)

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