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Kasseler Pfarrer über die Osterbotschaft: „Die Liebe ist nicht kleinzukriegen“

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Von: Katja Rudolph

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Pfarrer Stefan Nadolny im Garten des Pfarrhauses, im Hintergrund die Neue Brüderkirche und der bunte Container, in dem Räder für die Fahrradkurse für Geflüchtete stehen
Stefan Nadolny ist Pfarrer an der Neuen Brüderkirche, die zur evangelischen Hoffnungskirchengemeinde gehört © Katja Rudolph

Wie kann man in schweren Zeiten wie diesen hoffnungsvoll bleiben? Und was hat Hoffnung mit Ostern zu tun? Darüber sprachen wir mit einem Pfarrer aus Kassel.

Kassel – Ostern gilt als Fest der Hoffnung: als Sieg des Lebens über den Tod und des Lichts über das Dunkel. Wir sprachen mit Pfarrer Stefan Nadolny von der evangelischen Hoffnungskirchengemeinde über Zuversicht in schweren Zeiten und die Kraft der Osterbotschaft.

Zwei Jahre Pandemie, Klimawandel und Krieg in der Ukraine: Viele Menschen sind derzeit besorgt und bedrückt. Von Seelsorgern erhofft man sich, dass sie Trost und Hoffnung spenden – wie gelingt Ihnen das auch in so schweren Zeiten?

Bei uns an der Neuen Brüderkirche erwarten viele Menschen praktische Hilfe. Die versuchen wir zu organisieren, etwa in Form einer Lebensmittelverteilung, einer Kleiderkammer und Nachbarschaftshilfe. Immer wieder sagen mir Menschen, dass das für sie zugleich Zeichen der Hoffnung sind. Manchmal kommt noch eine Hoffnungsgeschichte aus der Bibel dazu, etwa von Elia, der auch fliehen musste, und neuen Mut geschöpft hat durch die Hilfe von Raben, Engeln und einer Witwe.

Wie schaffen Sie es trotz der Umstände, selbst hoffnungsvoll zu bleiben? Haben Sie als Pfarrer gewissermaßen einen besonderen Zugang zur Hoffnung?

Das könnte man so sagen. Wenn man nur auf die äußeren Umstände schaut, könnte man momentan in der Tat ziemlich verzweifeln. Aber dass da versteckt noch etwas anderes ist, – das gibt mir Hoffnung. Das Verrückte ist ja: Gott ist an Bord. Hinter allem und zwischen allem gibt es unsichtbare Strukturen, eine Art großes Netzwerk der Liebe, was sich aber nicht so einfach fassen lässt. Es ist mystisch, deswegen sprechen wir von Gott.

Im Einzugsgebiet Ihrer Kirche am Wesertor leben viele Menschen, die kaum das Nötigste zum Leben haben. Die Gemeinde ist seit einigen Jahren auch in der Geflüchtetenhilfe sehr engagiert. Welche Erfahrungen machen Sie dabei?

Das Interessante ist, dass viele Geflüchtete sich inzwischen selbst engagieren, um die Not anderer zu lindern. Ohne sie könnten wir viele Angebote gar nicht realisieren.

Zur Lebensmittelausgabe kommen jetzt auch viele Geflüchtete aus der Ukraine, und es sind Geflüchtete aus Syrien und anderen Ländern dabei, die verteilen.

In der Arbeit mit interkulturellen Teams gibt es manchmal Missverständnisse, aber auch viele schöne Momente. Zum Beispiel haben die muslimischen Mitarbeitenden der Lebensmittelverteilung unser Helferteam vor ein paar Tagen zum Ramadanessen eingeladen. Auch eine Gruppe von der Kunsthochschule war noch da, und es ist genau das passiert, worum es in dieser Arbeit vor allem geht: dass neue Verbindungen entstehen.

Sie sagen, die Menschen, die zu Ihnen kommen, erwarten vor allem praktische Hilfe. Geht es auch um seelsorgerischen und spirituellen Beistand?

Praktische Hilfe und menschliche Begegnung – beides ist wichtig. Die Hilfe ist ja nicht nur der reine Akt der Übergabe von Essen oder Kleidung. Es kommt auch darauf an, wie der menschliche Kontakt dabei ist. Da geht es um ganz normale Gespräche, die oft zwischen den Mitarbeitenden und den Hilfesuchenden entstehen. Manchmal sind keine großen Gespräche möglich, sei es, weil der Andrang groß ist oder weil es sprachlich nicht möglich ist. Aber auch durch eine Geste kann man etwas ausdrücken, zum Beispiel, indem man die Hand aufs Herz legt. Oder durch einen bewussten Blickkontakt und ein Lächeln. Dass Hilfesuchende auch nach einem Gebet fragen, kommt nur manchmal vor. Das ist dann aber auch wichtig.

Erleben Sie oft zutiefst verzweifelte Menschen?

Wir begegnen immer wieder Menschen, die verzweifelt sind, weil sie nichts mehr haben. Zum Beispiel, weil sie, aus welchen Gründen auch immer, keine Bezüge vom Jobcenter erhalten haben. Der Hinweis, dass man nicht verhungern muss und wohin man sich über unsere Angebote hinaus noch wenden kann, ist dann für viele schon ein Hoffnungszeichen: dass es Möglichkeiten gibt, irgendwie durchzukommen. Wirklich zutiefst verzweifelt erlebe ich aber vor allem Menschen, die von einer Abschiebung bedroht sind. Es ist sehr schwer, wenn man nicht helfen kann.

Was brauchen Menschen in Notsituationen? Was spendet Ihnen Kraft und Hoffnung?

Was jeder und jede Einzelne braucht, hängt natürlich von vielen Faktoren ab: den Persönlichkeiten, dem Alter, der konkreten Lebenssituation, dem Ausbildungsstand und den Erwartungen, die man an das Leben hat. Für alle ganz wichtig ist aber, dass sie so etwas wie Zusammenhalt oder Solidarität spüren, damit sie sich nicht verloren vorkommen.

Treibt Betroffene oft auch die Frage nach dem Sinn um?

Manchmal schon. Dahinter steht dann häufig die Frage nach Gott und warum er Leid zulässt, auch wenn diese Frage nicht immer in dieser religiösen Formulierung gestellt wird. Es geht dann darum, nicht sofort nach Erklärungen zu suchen, sondern diese Fragen und Gefühle erst mal auszuhalten mit den Betroffenen.

Und damit sind wir dann bei Karfreitag. Im Christentum gibt es die Besonderheit, dass der dreieinige Gott sich auf verschiedene Weise zeigen kann. An Karfreitag sehen wir Jesus am Kreuz hängen, da leidet Gott selbst.

Das ist zwar keine vollständige Antwort auf die Frage. Denn dann könnte man sich ja auch fragen: Warum musste Jesus das passieren? Aber es kann helfen, um rauszukommen aus dem Denken: Wenn es mir gut geht, ist Gott bei mir, und wenn es mir schlecht geht, hat er mich verlassen.

Inwiefern kann uns allen die Osterbotschaft mit dem Sieg des Lebens über den Tod Hoffnung geben?

Es ist immer nur die Rede von Ostern. Ostern kann ich aber nicht ohne Gründonnerstag und Karfreitag denken. Vor Ostern kommt die Nacht von Gethsemane und damit die Frage: Worauf hoffen wir denn? Jesus ahnt, dass bald die Soldaten kommen. Aber wie reagiert er? Er ruft seine Jünger eben nicht zu den Waffen. Jesu gewaltfreie Haltung ist eine Provokation, die gerade in diesen Tagen nicht leicht zu hören ist. Ich weiß nicht, ob sich diese Haltung auch eins zu eins auf den Krieg in der Ukraine übertragen lässt. Aber ich finde es auf jeden Fall wichtig, dass man sich Jesu Haltung gerade in diesen Tagen bewusst macht und wahrnimmt, wie sehr sie sich vom Mainstream unterscheidet. Was dann aus dieser Differenzerfahrung wird, liegt auch in Gottes Hand.

Zur Botschaft gehört aber auch die Auferstehung und die damit verbundene Hoffnung.

Natürlich. Mit der Kreuzigung war für die Jünger erst mal alles aus. Aber dann haben sie gesehen: Die Liebe ist nicht kleinzukriegen. Und diese Erfahrung trägt bis heute, wenn man sich darauf einlässt. Gott war bei Jesus. Und Gott ist immer bei denen, die zu Opfern gemacht werden.

Nicht jeder glaubt an die biblischen Erzählungen. Wie können Christen die Hoffnungsbotschaft auch an andere weitergeben?

Ich glaube, die Hoffnung auf das wiedererstehende Leben kann sich schon übertragen. Damit einher geht ja nicht nur so etwas wie eine Osterfreude, sondern eine grundsätzliche Haltung des Glaubens an eine Gerechtigkeit jenseits dessen, was im irdischen Leben passiert.

Viele fragen sich: Darf man auch fröhlich Ostern feiern oder den Urlaub genießen, wenn gleichzeitig Menschen in Europa in einem Krieg leiden und sterben?

Sich grämen bringt gar nichts. Eher schon, bewusst Energie zu tanken für alles Weitere, auch für das Helfen mit fröhlichem Herzen. Ganz neu ist die Situation ja nicht: Ob der Krieg in Europa tobt oder im Nahen Osten, macht eigentlich keinen großen Unterschied. Es ist immer furchtbar. Allerdings ist Bedrohungslage für uns jetzt eine andere. Aber wir sollten uns nicht von Ängsten bestimmen lassen. Bestimmt lohnt es sich, diesen Gründonnerstag, Karfreitag und Ostern ganz bewusst zu erleben und sich auch die Botschaft bewusst zu machen.

Was ist Ihre Hoffnung zu diesem Osterfest?

Ich hoffe, wie so viele, auf Frieden in der Ukraine. Und dafür hoffe ich auf das Wirken Gottes, das größer ist als alles menschliche Handeln und Wissen. Das Gut-Böse-Denken auf beiden Seiten, der Automatismus von Angriff, Verteidigung und Gegenangriff – das hat inzwischen etwas sehr Massives. Wie der Stein vor Jesu Grab etwas sehr Massives war. Ostern geht es darum, dass trotz der Realität des Todes in seiner Massivität eben nicht alles vorbei ist. Deshalb rechne ich auch im Krieg in der Ukraine trotz allem mit Überraschungen. Dass es doch möglich ist, aus der Massivität der Kriegslogik auszubrechen und dass sich Räume für Menschlichkeit, Verständnis und Vernunft auftun.

Zur Person

Stefan Nadolny (50) ist seit zehn Jahren als Pfarrer an der Neuen Brüderkirche tätig, die zur evangelischen Hoffnungskirchengemeinde gehört. Nadolny ist in Bad Godesberg geboren und in Bad Arolsen aufgewachsen. Er studierte Theologie in Marburg und Heidelberg, mit Auslandssemester in Brasilien. Vor seinem Vikariat in Waldau legte er eine Auszeit zum Theaterspielen und Musikmachen ein. 2003 trat er seine erste Pfarrstelle in Trendelburg an. Nadolny ist Vater von zwei Kindern und in zweiter Ehe verheiratet. Er spielt Trompete und Gitarre, unter anderem in den Bands „Mein Freund Paul“, „Kassel Hope“ und dem interkulturellen Ensemble „Palaver Rhababa“.

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