Trinkraum im Hansa-Haus ist etabliert

Kassel. Über 50 Menschen halten sich am Montag im Trinkraum im Hansa-Haus auf. Manche unterhalten sich, andere spielen Billard, rauchen, hören Musik, trinken Kaffee oder Bier.
„Im Winter kommen 80 bis 90 Frauen und Männer am Tag zu uns. Je kälter es wird, desto mehr“, sagt Bärbel Ackermann, Geschäftsführerin des Trinkraums, der vom Verein „Szene Direkt“ seit drei Jahren betrieben wird.
„Der Standort hat sich mittlerweile etabliert“, sagt Ackermann. Bis zum Juni dieses Jahres laufe der aktuelle Mietvertrag, aber Ackermann ist zuversichtlich, dass dieser so lange verlängert wird, wie die Stadt auch Mieter des Gebäudes sei. Im Hansa-Haus an der Kurt-Schumacher-Straße sind Teile des Jugendamtes und das Ordnungsamt untergebracht.
Traum von Freifläche
Zudem habe sie gehört, dass die Stadt mit dem Gedanken spiele, die Immobilie zu übernehmen. Sollte dieser Fall eintreten, so Ackermann, „dann spekulieren wir darauf, in die leerstehenden Räumlichkeiten der früheren Disko beziehungsweise Spielothek umzuziehen“. „Das wäre genial.“ Denn diese Räumlichkeiten verfügen über eine Terrasse.
Und an einer Freifläche ist der Trinkraum seit langer Zeit interessiert, damit sich die Klienten im Sommer auch draußen aufhalten können. In den Sommermonaten kämen nämlich nur 30 bis 40 Klienten pro Tag. Viele Mitglieder der Trinkerszene zögen es vor, sich bei Sonne auf dem Friedrichsplatz in der Innenstadt aufzuhalten, woran sich dann wieder Geschäftsleute und Passanten störten. Da könnte ein Außenbereich direkt am Trinkraum Abhilfe schaffen.
Bärbel Ackermann wird von zehn ehrenamtlichen Helfern (aus der Szene und Studenten), aber auch von Menschen unterstützt, die vom Gericht zu Sozialstunden verurteilt worden sind. Die verkaufen alkoholfreie Getränke, machen sauber und kümmern sich bei Bedarf auch um die alkoholkranken Gäste.
Die 55-jährige Biggi, ehrenamtliche Helferin, ist seit fünf Jahren trocken. Fast 25 Jahre sei sie von Heroin abhängig gewesen, danach noch einige Jahre vom Alkohol. Es mache ihr nichts aus, trotz Abstinenz im Trinkraum zu arbeiten. Die Gäste dürfen hier Bier, Wein und Sekt trinken, harte Sachen und illegale Drogen sind tabu.
Ab und an habe man Diskussionen mit den Gästen, sagt Biggi. Es komme vor, dass jemand so betrunken ist, dass er verbotenerweise seinen Schnaps auspacke. Wenn man die Betreffenden daraufhin weise, seien sie in der Regel über sich selbst so erschrocken, dass sie die Flasche gleich wieder wegsteckten.
„Wenn einer unserer Gäste total betrunken ist, wird sich um ihn gekümmert. Wir bringen ihn dann auch nach Hause“, sagt der ehrenamtliche Helfer Salvatore (35).
Einmal in der Woche, am Samstagabend findet ein Gottesdienst im Trinkraum statt, sagt Ackermann. Auch daran würden viele Besucher teilnehmen. „Das ist ganz lustig.“
Das sagt die Stadt
Die Entwicklung des Hansa-Hauses an der Kurt-Schumacher-Straße liege der Stadt Kassel besonders am Herzen, sagt Stadtbaurat Christof Nolda. Schließlich sei die Stadt ein wichtiger Nutzer der Liegenschaft. Ob man allerdings plane, die Immobilie zu kaufen, darüber spreche man nicht. „Solche Prozesse werden nicht öffentlich diskutiert“, so Nolda.
Hintergrund: 76 500 Euro pro Jahr von der Stadt
Der Trinkraum ist ein Angebot, das aus einer „ordnungspolitischen Maßnahme“ entstanden ist, sagt Geschäftsführerin Bärbel Ackermann. „Es ging darum, die Trinkerszene in der Stadt zu entzerren.“ Es handele sich um ein niederschwelliges Angebot für alkoholkranke Menschen, vordergründig nicht um ein therapeutisches. Allerdings habe der Trinkraum auch therapeutische Aspekte. Straffällig gewordene Menschen aus der Szene könnten hier zum Beispiel ihre Sozialstunden ableisten, was in vielen anderen Einrichtungen für diese Menschen nicht möglich ist. Seit Bestehen sind hier 6000 Sozialstunden geleistet worden, das entspreche 1000 Tagen Gefängnis, so Ackermann. Gehe man davon aus, dass ein Gefängnisplatz den Staat 180 Euro am Tag koste, habe man durch den Trinkraum quasi 180.000 Euro eingespart.
Die Stadt unterstützt den Verein mit 76.500 Euro pro Jahr, davon werden alle Kosten beglichen. Zudem erhält der Verein Spenden. Neben Geld- und Sachspenden gehören dazu auch Lebensmittel. Vom Klinikum Kassel gibt es zum Beispiel jeden Samstag Suppe.