Auch bei einer Diskussion über „Mobilität im Vorderen Westen“ waren Radbügel zuletzt Thema. Dort verteidigte der Stadtplaner Andreas Schmitz das Vorgehen der Stadt. Dezentral verteilte Abstellanlagen seien wichtig. Sie sollten auf Kfz-Parkplätzen und nicht auf Gehwegen entstehen. Letzteres bezeichnete Schmitz als Kannibalismus.
Derweil fordert die SPD-Fraktion eine Evaluation der Radbügel. Zwar seien die Ortsbeiräte bei der Planung einbezogen worden, aber viele Bürger seien unzufrieden. Laut Lars Koch, verkehrspolitischer Sprecher, gebe es „bei der derzeitigen Praxis des Aufstellens noch Verbesserungsbedarf“.
Nolda verweist darauf, dass die Überprüfung der Standorte bereits 2019 beschlossen wurde – auch mit Stimmen der SPD: „Man kann das auch ein zweites oder drittes Mal beschließen.“ Mit der Evaluation werde man vor den Sommerferien beginnen. Allerdings gab er zu bedenken, dass die Bügel mehr Radverkehr generieren sollen: „Das geht nicht von heute auf morgen. Vielleicht werden einige Radbügel erst etwas später genutzt.“
Rund um das Auestadion sind Radbügel noch Mangelware. Bei Heimspielen des KSV Hessen sind meist alle Abstellmöglichkeiten voll. Stadtbaurat Christof Nolda sagt: „Offensichtlich wurde das Auestadion auf der Ortsbeiratsliste nicht so weit oben geführt. Wir sind jedoch jederzeit offen für Vorschläge.“ Die kann man seit Kurzem auch auf der Internetseite der Stadt angeben, wo es nun auch eine digitale Kartenansicht über alle Standorte gibt.
Herr Nolda, wollen Sie Autofahrern das Leben so schwer wie möglich machen?
Nein, wir wollen eine Stadt, die für alle lebenswert ist und in der Ziele mit allen Verkehrsmitteln gut erreichbar sind. Ich bin hocherfreut, dass es aktive Einzelhändler wie den Fleischermeister Jens Jonsson gibt, der seine Waren in der Frankfurter Straße anbietet, sodass man keinen zusätzlichen Weg zurücklegen muss. Warum soll jemand aus der Südstadt ins Dez fahren, wenn er ein gutes Angebot direkt um die Ecke hat? So wird unnötiger Verkehr vermieden. Auch ich kaufe immer wieder in seinen Geschäften ein.
Jens Jonsson ist sauer auf die Stadt, weil Auto-Parkplätze vor seinem Geschäft gesperrt wurden, um etwas weiter Radständer aufzubauen.
Lassen Sie mich zunächst noch etwas anderes sagen. 56 Prozent aller Strecken, die in der Stadt zurückgelegt werden, haben eine Entfernung von drei Kilometern. Hier dominiert der Fuß- und Radverkehr; 26 Prozent dieser Strecken werden mit dem Auto zurückgelegt. Hier haben wir einen einfachen Hebel, etwas für den Klimaschutz zu tun. In jedem Fall müssen wir für alle Verkehrsarten Möglichkeiten schaffen, das entsprechende Fahrzeug abzustellen. Darum haben wir den politischen Auftrag, den Radverkehr zu fördern. Insgesamt haben wir in Kassel über 100 000 Pkw-Stellplätze. Von denen werden für insgesamt 950 Radbügel weniger als 300 wegfallen. In der Nähe der Metzgerei in der Frankfurter Straße entstehen auf zwei Auto-Parkplätzen zwölf Fahrradstellplätze.
Trotzdem häufen sich die Beschwerden. Ist es sinnvoll, sechs Radständer an der Frankfurter Straße zu installieren, auf der kaum jemand Rad fährt, weil es lebensgefährlich ist?
Das sollte man andersherum sehen. Es ist sinnvoll, dort Radbügel zu installieren, wo es Ziele gibt, die man mit dem Rad erreichen kann – auch wenn man das Rad am Ende auf dem Gehweg schiebt. Die Frankfurter Straße ist ein zentraler Ort der Südstadt. Hier gibt es Geschäfte, Gastronomie und eine Post. All das kann man bequem mit dem Rad über die Menzel- und etwa die Landaustraße erreichen. Deswegen ist es auch hier besonders sinnvoll, Radbügel an Kreuzungen aufzustellen.
Der SPD-Bundestagsabgeordnete Timon Gremmels sagt, man hätte den lokalen Einzelhandel einbeziehen sollen. Warum sucht die Stadt nicht das Gespräch mit einem Metzger, wenn vor seiner Haustür Autoparkplätze wegfallen?
Ich muss Timon Gremmels eindeutig widersprechen. Er schrieb davon, dass dem Einzelhandel Fahrradbügel zwischen die Beine geworfen würden. Wir arbeiten doch nicht gegen den Einzelhandel. Einige tun so, als würden Radfahrer nicht beim Metzger einkaufen. Wir schaffen Stellplätze für Menschen, die dort einkaufen oder im Restaurant daneben essen wollen – ob die mit dem Auto oder mit dem Rad kommen. Insgesamt haben wir 4000 Baustellenanordnungen im Jahr. Da kann man nicht für jeden Radständer einen großen Beteiligungsprozess starten, zumal hier kein substanzieller Eingriff in die Infrastruktur vorgenommen wurde. Trotzdem hätten wir hier vielleicht im Vorfeld stärker auf die Baumaßnahme hinweisen können. Dafür entschuldige ich mich. Dennoch glaube ich, dass die Metzgerei eher vom umliegenden Verkehr als vom Durchgangsautoverkehr lebt.
Die Vorschläge für die Standorte der Radbügel kamen aus den Ortsbeiräten. Aber selbst manche Grünen-Ortsvorsteher geben zu, dass der eine oder andere Standort nicht optimal sei.
Das mag sein. Die Ortsbeiräte haben uns Vorschläge gemacht, weil sich die Mitglieder vor Ort am besten auskennen. So haben wir es in allen 14 Stadtteilen gemacht, in denen dieses Jahr Radbügel aufgestellt werden. Die Kommunikation liegt jedoch maßgeblich bei der Stadt, also bei uns. Darum finde ich es unsäglich, dass Ortsvorstehende zuletzt verbal angegriffen wurden. Die machen alle eine ordentliche Arbeit. Ohne ihr ehrenamtliches Engagement hätten wir riesige Probleme.
Der neue Oberbürgermeister Sven Schoeller sagt, dort, wo Radständer nicht genutzt werden, haben sie nichts zu suchen. Welche Standorte fallen Ihnen ein, wo Radbügel überflüssig sind?
Mir fallen da keine ein, die ich als sicher deplatziert bezeichnen könnte. Am Zebrastreifen an der Goetheanlage werden die Bügel bislang noch nicht so stark genutzt, aber auch hier muss man abwarten. Manches ist ein Gewöhnungsprozess. Wir werden auch darüber nachdenken, warum manche Radständer schlechter genutzt werden als andere. Ein Grund könnte sein, dass die Besitzer an dunklen Ecken Angst vor Diebstählen haben. Hier könnten digital buchbare Boxen für einen Sicherheitsgewinn sorgen.
Viele Leute werden weiter auf das Auto angewiesen sein. Was planen Sie gegen den immer größer werdenden Parkdruck in manchen Quartieren?
Wir sind politisch aufgefordert, das Verhältnis zwischen den Verkehrsarten zu verändern. Auch weil der ÖPNV ein wichtiges Verkehrsmittel ist, ist man in der Stadt sehr oft in der Lage, ohne Auto ans Ziel zu kommen. Trotzdem wächst die Anzahl der privaten Fahrzeuge. Zugleich sinkt die Anzahl der pro Fahrzeug zurückgelegten Kilometer. Diese Entwicklung ist in einer Stadt nur schwer zu ertragen und sorgt für erhebliche Konflikte, da unsere Stadtfläche natürlich nicht wächst. In dicht besiedelten Bereichen wird es künftig nicht mehr Stellplätze geben. Auch Quartiersgaragen, die wir gerade prüfen, werden die Anzahl der Stellplätze nicht erhöhen gegenüber dem Ist-Zustand.
In den 90ern gab es in der Stadt eine große Unzufriedenheit über die Lollies, die die SPD damals die Macht kosteten. Wie groß ist Ihre Sorge, dass die Radständer den Grünen ähnlich schaden werden?
Parteipolitische Fragen kann ich Ihnen als Stadtbaurat nicht beantworten. Allgemein würde ich sagen, dass es nicht einfach ist, dass sich bei einem flächendeckenden Projekt wie der Verkehrswende alle mitgenommen fühlen. Als Stadt unterschätzen wir das nicht. Und wir tun etwas dafür, dass die Kommunikation besser wird. Aber allen muss klar sein: Für ein lebenswertes Kassel ist es Verantwortung und Notwendigkeit, die Verkehrswende und damit die Klimakrise anzugehen. Radbügel sind dabei ein kleiner und doch elementarer Bestandteil einer funktionierenden Stadt. (Matthias Lohr)