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Homosexuelle Katholiken aus Kassel zeigen sich: „Wir sind alle das Gesicht der Kirche“

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Von: Katja Rudolph

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Klinikseelsorger Jan Uhlenbrock sitzt in der Kapelle der Elisabethkrankenhauses, im Hintergrund ist der Altar zu sehen.
„Habe meine Nische gefunden“: Jan Uhlenbrock ist ausgebildeter Priester und mit einem Mann verheiratet. Er arbeitet als Klinikseelsorger im Krankenhaus St. Elisabeth, wo er in der Kapelle auch Andachten hält. © Andreas Fischer

In einer beispiellosen Aktion der Initiative „Out in Church“ haben sich bundesweit 125 haupt- und ehrenamtliche Mitarbeitende der Katholischen Kirche als queer geoutet. Wir haben mit zwei homosexuellen Katholiken aus Kassel gesprochen.

Kassel – Jan Uhlenbrock hat Tränen in den Augen. Er schaut die ARD-Dokumentation „Wie Gott uns schuf“, in der sich Priester und andere Kirchenbeschäftigte outen und über ihre Erfahrungen als queere Katholiken sprechen. „Da kommen auch ganz viele eigene Verwundungen wieder hoch“, sagt Uhlenbrock. Der 51-Jährige aus Kassel ist Klinikseelsorger im katholischen Krankenhaus St. Elisabeth und verheiratet mit seinem Partner Christian.

Dass er schwul ist, wusste Jan Uhlenbrock schon, als er sein Abitur ablegte. Dennoch entschied er sich für eine Priesterausbildung. Ihm sei bewusst gewesen, dass das nicht leicht wird, sagt der gebürtige Krefelder. Aber er wollte diesen Weg gehen – auch um zu einer Veränderung der Kirche beizutragen. Eigentlich spiele es bei einem zölibatären Leben ja keine Rolle, welche sexuelle Orientierung ein Priester habe, sagt Uhlenbrock. Das sieht die Katholische Kirche jedoch anders.

Homosexuelle Katholiken in Kassel: „Man hat mir deutlich gesagt, dass das eigentlich nicht geht“

Ein ins Vertrauen gezogener Mitstudent outete ihn damals. Uhlenbrock wurde zum Ausbildungsleiter und zum Bischof zitiert. „Man hat mir deutlich gesagt, dass das eigentlich nicht geht.“ Auch ein Einsatz in der Jugendarbeit blieb ihm zunächst verwehrt. Dennoch durfte er weiterstudieren und wurde 1999 zum Priester geweiht. Mit der Maßgabe, dass er seine Homosexualität nicht zeigen, geschweige denn praktizieren dürfe.

Warum er trotzdem für eine Institution arbeiten wollte, die einen wichtigen Teil von ihm ablehnt? „Kirche ist meine Heimat“, sagt Jan Uhlenbrock. Für ihn überwögen positive Erfahrungen mit Kirche. Damals wie heute leitet ihn der Gedanke: „Wenn ich rausgehe, kann ich nichts bewegen.“

Homosexuelle Katholiken in Kassel: Jan Uhlenbrock wollte kein Doppelleben führen

Während seiner Zeit als Kaplan in Duderstadt lernte Uhlenbrock bei einer Trauung, die der hielt, seinen heutigen Ehemann Christian kennen – ebenfalls ein gläubiger Katholik. „Die Kirche ist auch ein Fundament unserer Beziehung“, sagt Uhlenbrock. 2005 entschied er sich für die Partnerschaft und gegen das Priesteramt. Ein Doppelleben habe er nicht führen wollen. 2013 trat das Paar vor den Standesbeamten, seit 2017 ist die Verpartnerung als Ehe anerkannt – doch auf den kirchlichen Segen musste das Paar verzichten. „Wir hätten nicht gewollt, dass ein Priester unseretwegen Schwierigkeiten bekommt“, sagt Uhlenbrock.

Bei den Menschen vor Ort in der Kirche sei seine Homosexualität eigentlich nie ein Problem gewesen, sagt Uhlenbrock. In sein Ehrenamt als Pfarrgemeinderatssprecher in Vellmar wurde er mit großer Mehrheit gewählt. Eine einschneidende Negativ-Erfahrung gab es aber doch: Vor einigen Jahren sei seinem Mann in dessen Heimatgemeinde die Kommunion verwehrt worden. Das Bistum habe sich damals aber für sie eingesetzt und die Gabe von Brot und Wein für alle unterstrichen, berichtet Uhlenbrock.

Jan Uhlenbrock ist homosexueller Katholik: „Out in Church“ soll etwas in Bewegung bringen

Nach einer Tätigkeit beim Hospizverein arbeitet der Kasseler seit vergangenem Sommer im Elisabethkrankenhaus. Die Stelle, in der er Menschen seelsorgerisch begleitet und Andachten in der Kapelle hält, sei ein Glücksfall, sagt der 51-Jährige, der in Wolfsanger lebt. Er weiß: Das Bistum hätte ihn nicht mehr angestellt. Der Ordensverbund, der das Krankenhaus trägt, weiß von der Ehe des Klinikseelsorgers. „Ich fühle mich hier sehr angenommen“, sagt er.

Er hofft, dass die Aktion „Out in Church“ etwas in Bewegung bringt in der katholischen Kirche. Nachdem er die Film-Dokumentation geschaut hatte, meldete sich der Kasseler bei den Initiatoren: Auch er ist bereit, sich öffentlich zu outen. Ein Schritt, den er noch vor wenigen Jahren nicht gewagt hätte. Er wünsche sich, sagt Jan Uhlenbrock, dass noch viele weitere Menschen aus der Deckung kommen: „Wir sind alle das Gesicht der Kirche.“

Vanessa Sadura
Vanessa Sadura © Privat

Junge Katholikin ist lesbisch: Sie fand die Liebe und musste ihren Job in Kassel aufgeben

Eine weitere Kasselerin erzählt ihre Geschichte: Vor zwei Jahren wurde Vanessa Sadura klar, warum sie schon so lange Single ist. Nach einem weiteren Date mit einem Mann, das sie im Sande verlaufen ließ, hatte sie erstmals bewusst über ihre sexuelle Orientierung nachgedacht. Und gemerkt: Sie muss nach einer Frau suchen. Die heute 25-Jährige fand ihre Liebe in Paderborn – und verlor damit zugleich ihren bisherigen Traumberuf.

„Ich habe schon als Jugendliche gewusst, dass ich etwas machen möchte, wo Gott direkt vorkommt und wo ich allen Leuten zeigen kann, dass sie von Gott geliebt sind“, sagt Vanessa Sadura, die in Bad Orb aufgewachsen ist. Sie studierte Religionspädagogik mit dem Berufsziel Gemeindereferentin und kam für ihre Assistenzzeit nach Kassel – an die Gemeinde St. Familia.

Homosexuelle Katholikin: „Die haben mich ganz normal weiterbehandelt“

Bei Pfarrer Harald Fischer und den anderen Mitarbeitenden habe sie ihre lesbische Beziehung offen ansprechen können, sagt Sadura. „Die haben mich ganz normal weiterbehandelt.“ Auch ihre Freundin sei bei Besuchen in Kassel herzlich aufgenommen worden.

Dennoch sagt sie: „Mir war klar, dass ich meinen Beruf nicht weiter ausüben kann, wenn ich lesbisch bin.“ Ihre sexuelle Orientierung und ihre Beziehung auf längere Sicht zu verstecken oder gar zu leugnen, kam für sie nicht in Frage. „Dafür war ich mir selbst zu wichtig“, sagt Vanessa Sadura. Für sie sei ihr Coming-out, das in ihrer Familie und ihrem Freundeskreis ganz selbstverständlich aufgenommen worden sei, eine Befreiung gewesen. „Es hat mir so sehr geholfen, endlich ich selbst zu sein.“

„Niemand wollte gegen die offiziellen Regeln verstoßen“: Junge Katholikin kündigt ihre Stelle

Sie bewarb sich bei einer Kita in Paderborn und wandte sich im vergangenen Sommer mit der Jobzusage in der Tasche an ihren Ausbildungsleiter in Fulda und legte ihre private Situation offen. Eine geistliche Vertrauensperson habe sich anonym für sie beim Bistum erkundigt, erzählt die damalige Gemeindeassistentin. „Meine Ausbildung hätte ich wohl beenden können, aber als offen lesbische Gemeindereferentin hätte ich nicht arbeiten dürfen.“ Zwar hätten ihre Ausbildungsbegleiter in Fulda mit Verständnis reagiert und sie keinerlei Ablehnung spüren lassen, sagt Sadura. „Aber es wollte auch niemand gegen die offiziellen Regeln verstoßen.“ Sie kündigte.

Die 25-Jährige arbeitet nun in einem städtischen Kindergarten in Paderborn und qualifiziert sich zur pädagogischen Fachkraft weiter. In einem Gottesdienst sei sie seither nicht mehr gewesen, sagt die Katholikin. Auch wenn sich an ihrer Überzeugung nichts geändert hat, dass Gott alle Menschen liebt, habe sie in der Kirche das Gefühl: Ich bin hier nicht erwünscht.

Initiative „Out in Church“: Junge Katholikin ist stolz auf alle, die sich öffentlich geoutet haben

Die Initiative „Out in Church“ finde sie hervorragend. Sie sei stolz auf alle, die sich öffentlich geoutet hätten, sagt Vanessa Sadura – gerade auch transsexuelle Menschen. „Die existieren für die offizielle Amtskirche ja gar nicht.“ Sie hoffe, dass die Aktion ernst genommen und auch nach Rom getragen werde, sagt die ehemalige Kasselerin. „Es darf nicht bei Worten bleiben, sondern es muss sich wirklich etwas ändern.“

Dafür wäre es wichtig, sagt Sadura, dass die katholische Kirche in Deutschland sich stark positioniert – gerade im Hinblick auf jene Länder der Welt, wo die gesellschaftlichen Realitäten noch anders sind. Sie wünscht sich, „dass der christliche Glaube wieder ein Schutzraum ist, so wie es am Anfang war. Bei Jesus waren alle Menschen willkommen.“ (Katja Rudolph)

Bistum Fulda weicht Fragen aus

Die HNA hat beim Bistum Fulda angefragt, wie man dort damit umgeht, wenn Menschen im Dienst der katholischen Kirche stehen oder in ihn eintreten wollen und sich herausstellt, dass sie queer sind – also eine sexuelle Orientierung jenseits der kirchlichen Norm haben. Konkret wollten wir wissen:

- ob verheiratete homosexuelle Personen für die katholische Kirche (weiter)arbeiten dürften?

- ob es Fälle in Nordhessen gibt, in denen sich das Bistum von Mitarbeitenden mit abweichender sexueller Orientierung getrennt oder ihnen ein Ausscheiden nahe gelegt hat?

- ob es aus Sicht des Bistums Fulda notwendig oder wünschenswert ist, das kirchliche Arbeitsrecht zu ändern, was die Loyalitätspflichten hinsichtlich der persönlichen Lebensführung betrifft?

- wie das Bistum die Aktion Out in Church bewertet?

Als Antwort erhielten wir lediglich einen Verweis auf die Sitzung des Ständigen Rats der Bischöfe in Würzburg in der vergangenen Woche. Dort habe Bischof Helmut Dieser (Aachen) für die Deutsche Bischofskonferenz das Anliegen der Aktion „Out in Church“ ausdrücklich begrüßt, heißt es in der Stellungnahme des Fuldaer Bistums. Zitiert wird darin Bischof Dieser: „Niemand darf wegen seiner sexuellen Orientierung oder seiner geschlechtlichen Identität diskriminiert oder abgewertet oder kriminalisiert werden.“ Die von der Aktion aufgeworfenen Fragen sollten nun auch im Synodalen Weg (...) besprochen werden. Das Bistum Fulda teile diese Auffassung, heißt es in der Antwort aus der Pressestelle.

Das Dekanat Kassel-Hofgeismar hingegen unterstützt die Forderungen der Initiative. „Wir sind uns im Dekanatsteam einig, dass das kirchliche Arbeitsrecht geändert werden muss“, sagt Pastoralreferent Stefan Ahr vom Dekanat Kassel-Hofgeismar. Ausschlaggebend für eine Tätigkeit in der katholischen Kirche müsse der Glaube sein, die sexuelle Orientierung dürfe dabei keine Rolle spielen, fordert Ahr. Das sei auch deshalb wichtig, „um dem Auftrag der Kirche gerecht zu werden, in allen Lebensverhältnissen die frohe Botschaft zu verkünden“. 

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