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Unternehmen schaffen Dresscode ab: Wohlfühlen ist das neue Schönsein

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Von: Matthias Lohr

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So beraten Mitarbeiter der Kasseler Sparkasse die Kunden: Felix Noffke (von links) trägt ein klassisches Outfit, Celina Oehm eine Mischung aus klassisch und Casual-Mode, und René Baftiri ist lässig-schick gekleidet.
So beraten Mitarbeiter der Kasseler Sparkasse die Kunden: Felix Noffke (von links) trägt ein klassisches Outfit, Celina Oehm eine Mischung aus klassisch und Casual-Mode, und René Baftiri ist lässig-schick gekleidet. © Andreas Fischer

Früher trugen Mitarbeiter in Büros Anzug und Krawatte, heute kommen manche im Kapuzenpulli und Turnschuhen. Ohne Dresscode fühlen sie sich wohler. Aber nicht alles ist erlaubt.

Kassel – Für Jörg Lamprecht ist jeder Tag Casual Friday. So nannten modisch aufgeschlossene Unternehmer den Tag, wenn ihre Mitarbeiter statt im Anzug auch in Pullovern ins Büro kommen konnten. Heute geht der Gründer und Aufsichtsrat-Chef des Kasseler Drohnenabwehr-Spezialisten Dedrone jeden Morgen in Jeans und T-Shirt ins Büro.

Lamprecht lebte mit seiner Familie einige Jahre im kalifornischen Silicon Valley, wohin er 2016 den Hauptsitz seines Unternehmens verlegt hatte. „Dort gibt es schon lange keinen Dresscode mehr. Die Leute können auch in Badehose kommen“, sagt der 52-Jährige. In seinem Büro hängen ein Hemd und ein Jackett für den Fall, dass er sich doch mal umziehen muss: „Das war’s.“

Damit ist Lamprecht auch modisch ein Vorreiter. Schon vor der Pandemie, in der viele im Schlabber-Look im Homeoffice arbeiteten, wurde der Dresscode in vielen Unternehmen lockerer oder gleich ganz abgeschafft. Dies hat auch Barbara Rumpf, Trainerin für Moderne Umgangsformen aus Volkmarsen, festgestellt: „Die Menschen tragen nun modischere Sachen und laufen nicht mehr so uniformiert herum wie früher.“ Für sie passt das zum Umgangston, der ebenfalls lockerer geworden ist. So wie das Sie vielerorts durch das Du ersetzt wird, müssen glänzende Lederschuhe lässigen Sneakern weichen.

Es ist nicht weniger als ein Kulturwandel, der sich in der Business-Mode vollzieht. Als Lamprecht in den 90er-Jahren seine Karriere begann, war es Standard, jeden Tag Anzug und Krawatte im Büro zu tragen: „Käme heute ein Software-Entwickler im Anzug zu uns ins Büro, würde er von den anderen ausgelacht.“

Besonders auffällig ist der neue Kleidungsstil in der Welt der Start-ups. So sieht man im Büro des Kasseler Datenspezialisten Eoda „einen bunten Kleidungs-Mix vom Hemd bis zum Hoodie“, wie Personal-Managerin Carina Broer sagt. Weder der Kapuzenpulli noch ein anderes Kleidungsstück ist verboten. Damit habe man positive Erfahrungen gemacht: „Die Lieblingskleidung kann ein Puzzleteil für ein positives Arbeitserlebnis sein.“

Eoda-Gründer Oliver Bracht trägt auch bei wichtigen Terminen zu Hemd, Sakko und Anzughose Sneaker. Für Broer können Turnschuhe „ein Outfit auflockern und einen Eindruck von Agilität und Flexibilität hinterlassen“. Im Büro tragen Eoda-Mitarbeiter auch Sandalen, Flip-Flops oder Hausschuhe.

Das alles bedeutet jedoch nicht, dass es heute keine Kleidungsregeln mehr gäbe. Laut Expertin Rumpf gelten viele Grundsätze weiterhin. Etwa: „Je dunkler das Sakko, desto mehr Kompetenz strahlt jemand aus.“ So trat Grünen-Politiker Robert Habeck im Bundestagswahlkampf nie im Anzug auf. „Seit er Minister in Berlin ist, trägt er nur noch dunkle Anzüge und weiße Hemden“, hat Rumpf festgestellt: „So will er seine Kompetenzwirkung unterstreichen.“

Minister Habeck würde auch als Bankberater eine gute Figur machen. In der Finanzbranche „ist es wichtig, seriös und kompetent aufzutreten“, wie Peter Mühlhaus von der Volksbank Kassel Göttingen sagt. Dort setzt man auf „Business Casual“, also eine „Balance aus eigenen Vorstellungen, aktuellen Trends, bisher gelebten Standards und der Erwartungshaltung der Kunden“. Die Krawatte, die anderswo nur noch im Kleiderschrank hängt, hat hier noch eine Zukunft. „Der eine oder andere Kunde hat es lieber, seinen Bankberater mit Krawatte zu sehen“, sagt Sprecher Mühlhaus.

Auch bei der Kasseler Sparkasse hat man einen Style-Guide entwickelt. „Wir vertrauen darauf, dass sich unsere Mitarbeitenden der Situation entsprechend kleiden“, sagt Sprecherin Katrin Westphal. Auch bei B. Braun, dem Melsunger Hersteller von Medizintechnik, macht man den Mitarbeitern keine Vorgaben und setzt auf Eigenverantwortung. „Bisher hat das gut funktioniert“, heißt es.

Die Menschen wissen offensichtlich um die Bedeutung von Kleidung und deren Wirkung. „Schöne Menschen“, sagt Expertin Rumpf, „haben es leichter. Sie verdienen mehr und sind erfolgreicher.“ Lamprecht wiederum, der einer der Erfolgreichsten ist, sagt: „Schlecht gekleidet ist, wenn man sich unwohl fühlt.“ Insofern gilt: Wohlfühlen ist das neue Schönsein. (Matthias Lohr)

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