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Krieg in der Ukraine weckt Erinnerungen bei Senioren

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Von: Sabine Oschmann

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Teil eines zerstörten Panzers auf einer Straße
Szenen eines Krieges: Das Bild zeigt ein Teil eines zerstörten Panzers in einem von den von Russland unterstützten Separatisten kontrollierten Gebiet in Mariupol. © Alexei Alexandrov/AP/dpa

Der krieg in der Ukraine weckt auch bei Menschen hierzulande prägende und teils traumatische Erinnerungen. Vier Senioren blicken 77 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs zurück.

Kassel – Was löst der derzeitige Ukraine-Krieg bei Menschen aus, die selber den Zweiten Weltkrieg erlebt und überlebt haben, wollten wir von Senioren wissen. Vier Bewohner des Stiftsheims an der Ahrensbergstraße waren bereit, uns davon zu erzählen. Sie haben in den Gesprächen Einblick gewährt in ihre intensiven Erinnerungen, traumatischen Erlebnisse, inneren Bilder, die sie zum Teil bis heute bedrücken. Auch 77 Jahre nach Kriegsende noch, zu prägend waren die Ereignisse. Sie haben, frei und offen davon erzählt. Dazu gehört Mut.

Jeder von ihnen hat seine persönliche Einstellung, seine Haltung zu dem gefunden, finden müssen, was der Krieg im Inneren bewirkt hat – und dass er unauslöschlicher Teil des eigenen Lebens wurde. Das hilft ebenso wie persönliche Überlebensstrategien bei der Bewältigung von Todesangst, Entsetzen, Verlusten und Demütigungen. Es hilft dabei, das überstandene Leid mit Not und Verzweiflung in den eigenen Lebenslauf zu integrieren, hinter sich zu lassen und neu zu begingen.

Evelin Zimmermann
Evelin Zimmermann © Sabine Oschmann

Evelin Zimmermann stammt aus Litauen. Die 85-Jährige wirkt ruhig und wählt ihre Worte. „Krieg vergisst man nie“, stellt sie gleich zu Beginn klar, „mein Kopf ist da ziemlich gut, auch nach so langer Zeit, jetzt durch die Ukraine kommt alles wieder hoch“. Ihr Vater, von Beruf Dolmetscher, war im Krieg, die Mutter und Tochter Evelin führte die Flucht nach Kassel. „Sprich nicht Russisch, mahnte meine Mutter, ich musste also meine Sprache, meine Heimat verleugnen, um nicht erkannt zu werden. Da wird man vorsichtig, das ganze weitere Leben.“ Wenn Zimmermann, die in der Verwaltung bei der Industrie- und Handelskammer arbeitete und verwitwet ist, erzählt, beschreibt sie die Ereignisse in klarer unaufgeregter Sprache, sie kommentiert nicht, schürt keine Emotionen. „Man muss die Dinge nach und nach verarbeiten“, erklärt sie. Und fügt hinzu: „Diesen Krieg in der Ukraine nehme ich zur Kenntnis, er kann mich nicht erschüttern.“

Hans-Dieter Witzel
Hans-Dieter Witzel © Sabine Oschmann

Hans-Dieter Witzel geht die Sache anders an. „Diese Zwiebeltürme in Moskau machen mich wütend“, sagt der 82-Jährige zum Einstieg aufgebracht. „Was da in der Ukraine passiert, schockiert mich“, erklärt der gelernte Klaviertechniker. „Die Menschen tun mir leid, ihr Schicksal berührt mich sehr“, fügt er hinzu. „Man ist machtlos und müsste dem Ganzen einen Riegel vorschieben“, erklärt er. „Groß geworden bin ich in Kirchditmold an den Drei Brücken in der Eisenbahnersiedlung, mein Vater war Lokführer“, erzählt der Senior.

„Ich habe meine Kindheit im zerstörten Kassel verbracht, wir haben in Trümmern gespielt, das fanden wir aufregend, eine Art Abenteuer, genau wie die Brandbomben, aber wir waren ja Kinder, verstanden das doch alles gar nicht“, erinnert er sich. „Mir geht das Schicksal der Ukrainer nahe, ich weiß, wie es ist, wir rannten auch in Todesangst in den Bunker, bei uns am Ende der Hohnemannstraße, harrten dort aus, keiner wusste, ob jetzt gleich die Bomben fallen und wir alle tot sind. Die Mutter, die Familie hat uns Sicherheit gegeben. Putin darf nicht das Leben von uns allen bestimmen mit diesem Krieg und dieser Macht“, konstatiert Witzel.

Hanna Thöne
Hanna Thöne © Sabine Oschmann

Bei Hanna Thöne und ihrem Mann Arnold Thöne kommen zum Stichwort Ukraine-Krieg sofort die eigenen Erinnerungen. „Die Toten, die schrecklichen Bomben, alles zerstört, alles verloren, es war grauenhaft“, sagt die 86-jährige Ehefrau. „Und die ständige Angst, die Sorge um die Väter, Brüder, Ehemänner, und es war ja auch nicht so wie heute mit Radio und Fernsehen, man wusste doch gar nichts, wo waren die Angehörigen, war jemand tot, vermisst, jeden Augenblick Bombenalarm, in den Bunker rennen, und trotzdem immer und immer Hoffnung, dass es aufhört“, erzählt sie. „Erst die zwei Jahre Corona, jetzt dieser Krieg nebenan, und es ist ja noch nicht ausgestanden, es ist beängstigend.“

Arnold Thöne (87) sagt nichts, dann sagt er mit leiser Stimme: „Es ist jetzt schon so lange her, ich war zehn Jahre alt, als der Krieg zu Ende war.“ Mehr will er nicht sagen, nur noch: „Es ist vorbei“. Seine Frau Hanna, die eine schwere Krankheit überstanden hat, nimmt seinen Wunsch auf. „Ja, wir beide wollen jetzt nur noch in Ruhe Zeit miteinander verbringen.“ Fotos: Sabine Oschmann

Arnold Thöne
Arnold Thöne © Sabine Oschmann

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