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Ex-Linken-Politikerin kritisiert „alte, weiße Männer“ im Stadtparlament

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Von: Matthias Lohr

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War als Parteilose für die Linken im Kasseler Stadtparlament: Nun zieht sich Luisa Sümmermann zurück. Das Foto zeigt sie mit dem Rad in der niederländischen Stadt Utrecht.
War als Parteilose für die Linken im Kasseler Stadtparlament: Nun zieht sich Luisa Sümmermann zurück. Das Foto zeigt sie mit dem Rad in der niederländischen Stadt Utrecht. © Privat/nh

Luisa Sümmermann wollte Kassel beim Radverkehr und Klimaschutz voranbringen. Nun zieht sich die Linken-Stadtverordnete ernüchtert zurück. In der Politik ginge es zu wenig um Inhalte.

Kassel – Luisa Sümmermann zog erst im April vorigen Jahres als parteilose Stadtverordnete für die Linken in das Kasseler Stadtparlament ein, machte sich dort aber schnell einen Namen – unter anderem als streitlustige Rednerin. Ende Juli kündigte die 38-Jährige überraschend ihren Rückzug an und übte erneut Kritik: an der „grün-roten Beton-Koalition“ und dem angeblich schlechten Klima in der Stadtverordnetenversammlung (Stavo). Wir sprachen mit Sümmermann.

Nach eineinhalb Jahren ziehen Sie sich aus dem Stadtparlament zurück. Wie frustriert sind Sie vom „festgefahrenen Gegeneinander“ und „der schlechten Atmosphäre“ dort, wie Sie Ihren Abschied begründet haben?

Ich bin ziemlich frustriert. Es war auch keine spontane Entscheidung. Den Entschluss habe ich schon vor etwa drei Monaten gefasst. Meine Fraktionskollegen baten mich, bis zur Sommerpause weiterzumachen. Das habe ich natürlich getan, weil ich sie sehr schätze und nicht im Stich lassen wollte. Als Mitorganisatorin des Radentscheids hatte ich Kommunalpolitik vorher nur von außen mitbekommen. Nun musste ich feststellen, wie schwerfällig die Entscheidungswege sind. Als Mitglied einer kleineren Oppositionsfraktion hat man kaum Gestaltungsmöglichkeiten. Zudem wird der Umgangston schnell persönlich und fies. Viel zu oft geht es um Egos und darum, sich mit allen Mitteln durchzusetzen, anstatt um gute Inhalte, die Kassel wirklich voranbringen würden. Trotzdem rechne ich allen Stadtverordneten hoch an, dass sie sich ehrenamtlich engagieren.

Haben Sie ein Beispiel, was Sie so frustriert hat?

Ich war Mitglied des Stadtentwicklungsausschusses. Das ist der Bereich, der mich am meisten interessiert. Dort bekommt man unheimlich viele Bebauungspläne auf den Tisch. Die sind aber gar nicht klimafreundlich. Die Grünen reden hier zwar viel von Klimaschutz, aber der findet in der Praxis kaum statt. Es wird weiterhin nach Schema F gebaut. Es gibt zwar teilweise Dachbegrünung oder Solarpanels auf den Dächern, aber das reicht nicht. Weiterhin werden in Kassel auch Gebäude abgerissen, die noch nutzbar wären. Den Investoren lässt man freie Hand, um sie nicht zu vergraulen. Es gibt kaum ökologische Vorgaben, damit Kassel tatsächlich bis 2030 klimaneutral wird. Dieses Ziel wird die Stadt nicht erreichen. Das alles mitzuerleben, ist sehr frustrierend. Wenn wir die Auswirkungen der Klimakrise begrenzen wollen, müssen wir unser Leben drastisch verändern.

Wie haben Sie sich die Kommunalpolitik vorher vorgestellt?

Vielleicht war ich ein bisschen naiv, aber ich dachte: Da sitzen viele Leute zusammen, die die Stadt voranbringen wollen. Ich hatte die Hoffnung, dass es möglich sei, dort gute Ideen für ein zukunftsfähiges Kassel gemeinsam zu erarbeiten, auch über Fraktionsgrenzen hinweg. Leider sind die Inhalte oft zweitrangig, es geht viel um persönliche Egos. Die Fronten sind ziemlich verhärtet. Zudem kommt man in der Opposition nur schlecht an relevante Informationen. Man muss schon intensiv recherchieren und nachfragen.

Warum sind Sie in die Politik gegangen?

Ich wollte dadurch den Radverkehr in Kassel voranbringen, aber auch andere Aspekte des Klimaschutzes. Insgesamt ging es mir um eine ökologischere und sozialere Stadt. Ich finde es total wichtig, dass wir unser Umfeld aktiv gestalten und versuchen, es zu verbessern, auch für andere und kommende Generationen. Kommunalpolitik könnte eine coole Sache sein, weil man hier konkrete Dinge vor Ort beschließt und die Ergebnisse später erleben kann. Aber es wird viel zu viel behindert. Das liegt auch daran, dass im Stadtparlament viele alte Männer sitzen, die nichts mehr verändern wollen.

Ist das nicht total unfair? Ich kenne viele engagierte Kommunalpolitiker – ob alt oder jung, Mann oder Frau. Oft es ist es auch einfach sehr mühsam, angesichts verschiedener Interessen Mehrheiten zu finden.

Die Zusammensetzung der Stavo ist nicht repräsentativ für die Stadtgesellschaft. Sie ist viel älter und weißer. Unter den gewählten Stadtverordneten gibt es sicher auch ältere Männer, die noch etwas verändern wollen. Und dazu, was gut für Kassel ist, gibt es natürlich verschiedene Ansichten. Ich denke halt, dass wir viel mehr politischen Mut bräuchten, um wirkliche sozial-ökologische Veränderungen vorzunehmen. Die Klimakrise lässt uns nicht viel Zeit. Dass es bei jeder Maßnahme, zum Beispiel im Verkehrsbereich, zunächst auch Unzufriedenheit geben wird, müssen wir in Kauf nehmen. Wichtig ist es aber auch, ärmere Menschen mitzudenken bei allen Klimamaßnahmen.

Die Stadt will bis 2030 klimaneutral werden und 66 Millionen Euro in den Radverkehr investieren. Warum ist Ihnen das zu wenig?

Weil ich sehe, was in der Praxis passiert. Gerade bin ich die umgebaute Königinhofstraße nach Bettenhausen gefahren. Der neue Radweg dort ist nett und sinnvoll, aber es muss vor allem dort etwas passieren, wo die allermeisten Radfahrer unterwegs sind und wo sie von Autofahrern weiter an den Rand gedrängt werden. Dafür muss Stadtraum umverteilt werden. Ich bin gerade im niederländischen Utrecht. Hier legt man nicht einfach Radstreifen an, wo gerade noch Platz ist, sondern der Platz für Autofahrer wurde im Lauf der Zeit stark reduziert. Anders funktioniert die Verkehrswende nicht. Da sind sich alle Experten einig. Wir brauchen mehr Tempo. In Utrecht gibt es viel Platz für Fußgänger und Radfahrer. Die Infrastruktur wird sehr gut angenommen, und die Atmosphäre hier ist viel entspannter als in Kassel.

Neben Ihnen haben gerade auch Tabea Mößner und Mirko Düsterdieck die Linken-Fraktion verlassen. Haben die Linken ein Personalproblem?

Für Kassel würde ich das nicht sagen. Mit Jenny Schirmer und Ali Timtik rücken starke Persönlichkeiten nach, die unterschiedliche Perspektiven und Erfahrungen einbringen. Etwas schade finde ich, dass Mirko die Fraktion verlassen und sein Mandat mitgenommen hat. Er hat sehr viel lokales Wissen. In der Linken-Fraktion habe ich mich immer wohlgefühlt. Das Problem war vor allem die Zusammenarbeit mit den anderen Fraktionen, die ich als wenig konstruktiv erlebt habe.

Bundesweit verzeichnen die Linken seit Monaten schlechte Umfragewerte. Laut Kritikern gibt es in der Partei viele Putin-Versteher. Dazu gab es in Hessen Sexismus-Vorwürfe. Wie kann die Partei aus der Krise finden?

Kommunikativ könnte die Bundespartei sicherlich einiges besser machen. Ich denke, es wäre wichtig, dass die Linke wieder als Partei wahrgenommen wird, die sich für die Belange der „kleinen Leute“ einsetzt. Und soziale Fragen müssen mit ökologischen verbunden werden. Aus meiner Sicht ist das heutzutage untrennbar. Ich bin ja kein Parteimitglied, weil ich generell kein Fan von Mitgliedschaften bin. Ich finde es aber ziemlich cool, dass die Kasseler Linke so offen ist und Menschen wie mich ohne Parteizugehörigkeit auf ihrer Liste kandidieren lässt.

Ärgern Sie sich manchmal, dass Sie nicht bei den Grünen Politik gemacht haben? Dann wären Sie nicht in der Opposition gewesen und hätten mehr gestalten können.

Tatsächlich habe ich von Grünen während meiner Zeit beim Radentscheid gehört, dass das eine Perspektive für mich sein könnte. Allerdings habe ich mich ganz schön geärgert über die Grünen. Am Ende unserer Gespräche über die Forderungen des Radentscheids mit SPD und Grünen haben sie ihr Versprechen nicht gehalten. Auch deshalb wollte ich nicht zu den Grünen. Sicherlich wollen sie die Verkehrswende mehr als die SPD. Aber oft ist es bei ihnen auch nur schöne Rhetorik. Zudem sind die Grünen ganz schön elitär. Bestimmt 90 Prozent von ihnen sind Akademiker. Sie vergessen viele gesellschaftliche Gruppen, weil sie selbst einen hohen Lebensstandard haben.

Im Parlament haben Sie „alten, weißen Männern“ Sexismus vorgeworfen. Die wiederum klagten, Sie seien zu sensibel. Zwischenrufe gehörten zur Politik. Sind Sie zu sensibel?

Vielleicht bin ich das deren Ansicht nach. Ich könnte ja ebenfalls auf diese Weise austeilen. Dazu habe ich aber keine Lust. Eigentlich will ich mich mit sinnvollen Inhalten beschäftigen. Sich freiwillig diesen Umgangsformen auszusetzen, weil den anderen die Argumente ausgehen, ist ein hoher Preis für das Ehrenamt. Man braucht leider ein dickes Fell.

Wie viel Zeit haben Sie in die Politik gesteckt?

Am Anfang waren das bestimmt 20 Stunden in der Woche. Es ist wie ein Teilzeitjob. Ich war im Stadtentwicklungsausschuss sowie in der Bau- und Planungskommission. Wenn man sich seriös vorbereiten und eine eigene kritische Meinung zu allen vorgelegten Plänen bilden will, ist das voll viel Arbeit. Erst recht, wenn man wie bei der Linken einziges Ausschussmitglied seiner Fraktion ist.

Was wollen Sie jetzt mit Ihrer freien Zeit machen?

Ich mache gerade noch ein Masterstudium nachhaltige Stadtentwicklung und habe auch einen Job – also genügend zu tun. Aber ich werde mich in Zukunft wieder außerparlamentarisch engagieren. Unter anderem werde ich am 26. August bei der Critical Mass mitfahren und mich dafür einsetzen, dass sie weiter stattfinden kann. Viele Menschen wollen, dass die Stadt endlich klimafreundlicher wird und bessere Bedingungen für den Radverkehr bietet. Kassel hätte alle Möglichkeiten, eine Vorreiterstadt zu werden. Es gibt viele breite Straßen, die Platz für mehr Bäume und Radwege bieten. Es gibt auch eine Menge Unternehmen im Bereich Nachhaltigkeit, an der Uni ist das ein Schwerpunkt. Man muss es nur wollen und sich trauen. (Matthias Lohr)

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