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„Zunahme an Psychosen ist sicher“: Psychiater Martin Ohlmeier vom Klinikum Kassel über Cannabis

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Von: Anna-Laura Weyh

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Cannabis soll in Deutschland legalisiert werden: Im Bild zu sehen ist die Droge in Form von Marihuana, das sind getrocknete Blüten und Blätter der Cannabis-Pflanze.
Cannabis soll in Deutschland legalisiert werden: Im Bild zu sehen ist die Droge in Form von Marihuana, das sind getrocknete Blüten und Blätter der Cannabis-Pflanze. © Matthias Balk/dpa

Der Psychiater Prof. Dr. Martin Ohlmeier vom Klinikum Kassel sieht die Legalisierung von Cannabis kritisch und sieht verstärkte Gesundheitsrisiken.

Kassel – Deutschland diskutiert über die Legalisierung von Cannabis. Die Ampel-Koalition will ihren Entwurf durchsetzen, Kritik kommt aber von vielen Seiten. Wir haben mit dem Leiter der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Klinikums Kassel, Prof. Dr. Martin Ohlmeier, über gesundheitliche Risiken gesprochen.

Herr Ohlmeier, Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach begründet die Legalisierung von Cannabis mit dem Gesundheitsschutz und der besseren Qualitätskontrolle des konsumierten Cannabis. Sehen Sie das genauso?

Lauterbach ist Mediziner, was hinsichtlich der Einschätzung grundsätzlich eine gute Voraussetzung ist. Die Psychiaterinnen und Psychiater betrachten die Legalisierung von Cannabis insgesamt jedoch eher skeptisch. Auch unser Berufsverband hat sich entsprechend kritisch zur Legalisierung geäußert. Tatsächlich sehen wir in den Kliniken und Praxen, was Cannabis im negativen Sinne bewirken kann.

Man kann sicher einige auch nachvollziehbare Argumente für die Legalisierung anführen, aber es gibt auch ernst zu nehmende Gegenargumente. Es wird zu viel bagatellisiert und gleichzeitig fehlt es an Fachexpertise. Die cannabisinduzierten Psychosen nehmen in unserer Arbeit schon jetzt einen großen Raum ein. Das wird voraussichtlich nach der Legalisierung noch zunehmen.

Warum?

Eine Psychose kann eine organische Ursache haben, wie etwa eine Hirnentzündung oder einen Hirntumor. Wenn wir das aber durch eine umfangreiche Diagnostik ausschließen können, sprechen wir von einer sogenannten endogenen Psychose. Der Konsum von Cannabis ist nicht selten der Auslöser für eine solche Psychose – und der Konsum wird durch die Legalisierung voraussichtlich deutlich steigen.

Zur Person

Prof. Dr. Martin Ohlmeier (57) ist seit 2008 Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Klinikums Kassel. Im Ludwig-Noll-Krankenhaus leitet der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie sowie für Neurologie unter anderem die Diagnostik für ADHS im Erwachsenenalter, nachdem er zehn Jahre lang an der Medizinischen Hochschule Hannover über die Krankheit geforscht hat. Ohlmeier ist verheiratet und hat vier Kinder. Er lebt in Kassel und geht in seiner Freizeit gerne Bergsteigen.

Das sehen wir ja auch schon bei anderen legalen Suchtmitteln. Wir haben auf unserer Station für Abhängigkeitserkrankungen auch sehr viele alkoholabhängige Patientinnen und Patienten. Aus diesem Grund können wir ziemlich sicher sein, dass wir in der Klinik eine Zunahme insbesondere an jungen Patientinnen und Patienten haben, die psychotisch erkranken.

Warum sind vor allem junge Leute betroffen?

Das Gehirn von Menschen befindet sich bis zum 25. Lebensjahr noch in der Entwicklung. Cannabis greift in diesen Entwicklungsprozess negativ ein. Wenn jemand regelmäßig, also alle zwei bis drei Tage, einen Joint raucht, ist das für ein erhöhtes Psychoserisiko grundsätzlich schon ausreichend.

Martin Ohlmeier Ludwig-Noll-Krankenhaus
Martin Ohlmeier Ludwig-Noll-Krankenhaus © Bernd Schoelzchen

Durch Cannabiskonsum wird das sogenannte Cannabinoid-System im zentralen Nervensystem angekurbelt. In einem zweiten Schritt steigt dann der Dopaminspiegel. Zu einer Erhöhung des Dopaminspiegels kommt es übrigens grundsätzlich bei jedem Suchtmittelgebrauch, bei Nikotin, Alkohol, Kokain und so weiter.

Bei Cannabis ist allerdings das besonders sensible Cannabinoid-System zwischengeschaltet. Die Erhöhung des Dopaminspiegels gilt als Teil des Pathomechanismus für die Entstehung von Psychosen, beziehungsweise der Schizophrenien.

Und wie äußert sich so eine Psychose?

Es handelt sich um eine schwere psychische Erkrankung. Die Kernsymptome einer paranoid-halluzinatorischen Psychose sind Wahnvorstellungen, oft vor allem auch akustische Halluzinationen und einer unter Umständen erheblichen Beeinträchtigung aller psychosozialen Funktionen.

Bleiben die Symptome?

Es gibt die psychotische Episode, die unter Behandlung wieder vollständig abklingt. Nach etwa drei bis vier Wochen ist der behandelte Patient oder die behandelte Patientin bei günstigem Krankheitsverlauf wieder symptomfrei.

Aber nicht selten verlaufen Psychosen schubweise und treten immer wieder auf. Mit jeder Episode steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Erkrankung in eine chronifizierte Psychose wandelt und lebenslang bleibt.

Wie sieht eine Therapie bei Ihnen aus?

Wir behandeln die Menschen in unserer Klinik mit unterschiedlichen Psychotherapieverfahren, begleitend auch mit modernen Neuroleptika. Das sind antipsychotisch wirkende Medikamente, die mittlerweile nur noch relativ geringe Nebenwirkungen haben, also eine deutlich bessere Verträglichkeit aufweisen, als Psychopharmaka früherer Generationen. Das Wichtigste aber für die Menschen, bei denen Cannabis Auslöser für die Psychose war: kompletter Verzicht auf Cannabis.

Wie oft kommt eine Psychose bei Menschen nach Cannabis-Konsum vor?

Man geht davon aus, dass jeder vierte Jugendliche schon Cannabis ausprobiert hat. Die meisten vertragen das gut. Aber ein gewisser Prozentsatz verträgt es eben schlecht und entwickelt eine Psychose.

Tatsächlich konsumieren nicht wenige dieser jungen Patientinnen und Patienten auch nach der ersten psychotischen Episode wieder Cannabis – obwohl wir sie darüber aufklären, wie riskant das für sie ist.

Sind das dann erste Anzeichen einer Sucht?

Ja. Auch die Suchtproblematik von Cannabis im eigentlichen Sinne wird sicher zunehmen. Durch die Legalisierung von Cannabis öffnen wir einer neuen Substanz, die ganz klar Abhängigkeitspotenzial hat, den legalen Rahmen und werden deshalb auch viele Menschen mit einer chronischen Intoxikation sehen.

Diese Menschen sind quasi „dauerbreit“. Sie vergiften ihr Gehirn chronisch mit Cannabis, was eine Minderung der neurokognitiven Leistungsfähigkeit nach sich zieht.

Sie sind quasi dauerhaft am Chillen.

Insbesondere Dauerkonsumenten haben zwar subjektiv den Eindruck, sie seien ganz entspannt und locker. Tatsächlich sind sie aber oft überhaupt nicht mehr leistungsfähig. Menschen, die jeden Tag einen Joint rauchen, haben oft eine erhebliche Antriebsstörung und können schon eine einfache Handlungsplanung nicht mehr entwerfen.

Wenn ich zum Beispiel einkaufen will, muss ich wissen: was brauche ich, wohin fahre ich, und wie komme ich dort hin. Das funktioniert dann nicht mehr. Hinzu kommen noch die klassischen Abhängigkeitssymptome wie Craving – das Verlangen nach dem Suchtmittel – sowie Dosissteigerung und gegebenenfalls Entzugssymptome wie Unruhe, Schwitzen, Bewegungsdrang.

Das Craving und die Entzugssymptome sind sicherlich nicht so ausgeprägt wie etwa bei Opiaten, aber sie sind vorhanden. Und durch die Legalisierung von Cannabis werden Jugendliche ganz ohne Absicht in diese Lage kommen. Denn sie werden denken: Cannabis ist ja legal, dann kann ich ja auch jeden Tag einen Joint rauchen.

Deshalb sollen junge Menschen bis 21 ja auch nur Cannabis mit einem geringeren Tetrahydrocannabinol-Gehalt (THC), also mit schwacherer Wirkung, konsumieren dürfen.

Die Altersfrage ist tatsächlich sehr spannend. Denn eigentlich ist etwas ja ab 18 Jahren frei verfügbar, wenn es legal ist. Hier will die Politik also eine Ausnahme machen – und deutet damit ja auch an, dass die Legalisierung eigentlich ein nicht unerhebliches Risikopotenzial beinhaltet.

Da könnte man jetzt sagen: Warum dann überhaupt legalisieren? Denn das Risiko, eine Psychose oder Suchterkrankung zu entwickeln, ist durch Cannabis einfach deutlich erhöht. Vor allem bei jungen Menschen, weil sich das Gehirn ja noch entwickelt. Tatsächlich ist das Risiko aber auch nach dem 21. Lebensjahr noch erhöht, nämlich bis in die Mitte der 20er eines Menschen.

Das zweite Problem ist: Wir können den Gehalt des Cannabis an wirksamen Substanzen gar nicht verlässlich definieren oder kontrollieren.

Warum nicht?

Wir können nicht prüfen, was tatsächlich konsumiert wird. Das wäre ein riesiger organisatorischer Aufwand, verbunden mit enormen Kosten. Das steht in keinem Verhältnis. Da muss sich die Politik eigentlich entscheiden: Entweder ganz oder gar nicht.

In den 1970er-Jahren war Cannabis ja gang und gäbe bei vielen Menschen.

Das stimmt. Mittlerweile haben wir durch verschiedene Züchtungen aber einen bis zu zehn Mal so hohen THC-Gehalt. Das Potenzial, dass es zu medizinischen Problemen kommt, ist damit viel höher. Denn je mehr THC enthalten ist, desto höher steigt der Dopamin-Spiegel und damit auch das Risiko, eine Psychose oder Suchterkrankung zu entwickeln.

Cannabis wird seit einigen Jahren auch als Medikament eingesetzt. Sehen Sie das auch skeptisch?

Nein, überhaupt nicht. Cannabis als Medikament ist seit 2017 bei Multipler Sklerose zur Behandlung der Spastik, bei Schmerzsyndromen und Appetitstörungen bei HIV und Krebserkrankungen zugelassen. Es gibt keinen Grund, Menschen, die an diesen Krankheiten leiden, kein Cannabis zu verordnen. Aber es ist ein großer Unterschied, ob man es gezielt ärztlich verordnet oder ob man es breit für die gesamte Bevölkerung legalisiert.

Gibt es für Sie auch Argumente, die für die Legalisierung von Cannabis sprechen?

Auf der gesellschafts- oder kulturpolitischen Ebene ist die Diskussion nachvollziehbar. Cannabis gilt ja auch als Genussmittel und ist quasi eine alte Kulturdroge. In der Diskussion geht es natürlich auch um das Recht auf Selbstbestimmung – auch ein sehr wichtiges Thema.

Die medizinischen Probleme, die wir bekommen werden, sind aber nun mal nicht banal. Wir müssen die Fakten anerkennen und kritisch abwägen. Sind die Vorteile der Legalisierung größer als die Nachteile? Ich finde: eher nein. Aber wenn sich die Politik entschließt, Cannabis zu legalisieren mit den damit einhergehenden Risiken, dann sollten wenigstens die in diesem Zusammenhang geplanten steuerlichen Einnahmen genutzt werden, um zum Beispiel suchtpräventive Programme zu etablieren.

Damit es insbesondere bei Jugendlichen erst gar nicht zu einer Suchtentwicklung kommt.

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