Streit ums Gendern: „Zwang ist der falsche Weg“

An Universitäten und in Verwaltungen soll das Gendern mit Zwang durchgesetzt werden, klagt Normann Günther vom Verein Deutsche Sprache. Alter weißer Mann ist für ihn eine Diskriminierung.
Kassel – Zu Kassel hat der Verein Deutsche Sprache (VDS) eine besondere Beziehung. Bis zum vorigen Jahr vergab der Verein mit Sitz in Dortmund mit der Eberhard-Schöck-Stiftung den Kulturpreis Deutsche Sprache in Nordhessen. Zuletzt war der VDS einer der schärfsten Kritiker der Universität Kassel, wo man der Ansicht ist: Studenten, die nicht gendern, können schlechtere Noten bekommen. Als die Stadt die geschlechtergerechte Sprache einführte sowie das N- und M-Wort ächtete, gab es vom VDS ebenfalls Kritik. Umgekehrt monieren etwa die Grünen angeblich rechtspopulistische Haltungen im VDS. Wir sprachen mit dem Kasseler Normann Günther, der neuer Regionalleiter des VDS ist.
Wie reagieren Sie, wenn Sie einen Brief bekommen, in dem gegendert wird?
Ich beantworte den Brief, schreibe darin aber, dass ich das Gendern nicht gut finde und man es beim nächsten Mal lieber lassen sollte. Meistens wird mein Anliegen ignoriert. Oder es gibt ein Gesprächsangebot. Die Positionen bleiben dabei jedoch in der Regel unverändert. Allerdings wird auch dabei klar, dass viele Personen in einem Zwangsumfeld zum Gendern gezwungen werden.
Der VDS-Vorsitzende Walter Krämer schreibt in solchen Fällen, der Absender solle noch einmal in korrektem Deutsch schreiben. Andernfalls antwortet er nicht. Was ist eigentlich so schlimm am Gendern?
Erstens ist es eine aufoktroyierte Sprache, mit der eine politische Agenda verfolgt werden soll. Mit dem Genderstern sollen etwa auch Transpersonen mit letztlich über 60 verschiedenen Geschlechtlichkeiten berücksichtigt werden, deren Anteil an der Bevölkerung im Promillebereich liegt. Damit wird der Mensch auf seine Sexualität reduziert. Zweitens ist die Grammatik einfach nicht kongruent. Und drittens stört mich die Ästhetik. Wenn bei den Berliner Philharmonikern von Streichenden und Blasenden die Rede ist, entsteht eine unverständliche Kunstsprache.
Die Kasseler Universität hat zunächst angekündigt, dass es Punktabzüge geben kann, wenn Studierende etwa bei Hausarbeiten nicht gendern. Ein Gutachter kam zu dem Schluss, dass dies nur in Ausnahmefällen möglich sei. Die Uni sieht ihr Vorgehen trotzdem bestätigt. Warum halten Sie diese Interpretation für falsch?
Laut des Gutachtens kann nur in bestimmten Fächern und begründeten Situationen jemand dazu gezwungen werden, in dieser Sprache zu schreiben. Es ist mir ein Rätsel, wie sich die Universität durch das Gutachten in ihrer ursprünglichen Aussage bestätigt sehen kann. Ein solches Vorgehen ist Teil der Identitätspolitik, die sich oft auf vermeintliche Rechte oder Belange von Minderheiten konzentriert, ohne soziale und ökonomische Faktoren zu berücksichtigen. Es geht nur noch um Befindlichkeiten. Mit dem Zwangs-Gendern versuchen linke Hochschulen, ihre Gedanken zu verbreiten. Zwang ist einfach der falsche Weg.
Die Stadt hat das N-Wort und das M-Wort geächtet. Würden Sie die Wörter noch verwenden?
Das N-Wort habe ich eh nicht benutzt. Mohr werde ich jederzeit weiter verwenden – allerdings nicht in dem Kontext, in dem ihm eine diskriminierende Wirkung zugeschrieben wird. Wir haben mehrere Menschen in der Familie, die Moritz heißen. Auch ihr Name ist von Mohr abgeleitet. Sollen die sich jetzt umbenennen?
Das hat aber auch niemand gefordert. Warum kritisieren Sie die Entscheidungen der Stadt?
Es geht um die Art und Weise, wie die Beschlüsse durchgebracht wurden. Es gab keine fachliche Diskussion, es wurden keine Gutachten erstellt. Ich kann die Intention der Anträge verstehen. Aber wieso sollen aus persönlichen Befindlichkeiten allgemeine Regeln abgeleitet werden? Es geht hier um gravierende Eingriffe in die Sprache.
Können Sie verstehen, dass sich schwarze Menschen durch die Begriffe diskriminiert fühlen?
Absolut. Gemeinsam gegen Diskriminierung vorzugehen, ist gut und wichtig. Aber nicht jede Zuschreibung wird wahr, nur weil sie wiederholt wird. Das M-Wort hat nichts mit Rassismus zu tun. Auch wenn jemand seine Erfahrung so deutet, ändert dies nichts am Ursprung des Wortes. Andere zu zwingen, in einer bestimmten Art zu kommunizieren, ist undemokratisch. Laut Umfragen ist eine große Mehrheit gegen die Änderungen, über die wir hier gerade reden.
Haben Sie noch das Gefühl, dass man in Deutschland alles sagen kann?
Es wird zunehmend schwieriger. Ein Argument wird häufig als Angriff verstanden. Schnell wird einem Unwissenschaftlichkeit und Rechtspopulismus vorgeworfen, statt sich inhaltlich mit dem Argument auseinanderzusetzen.
Wieso engagieren Sie sich im VDS?
Anlass war für mich das Gender-Gebot der Kasseler Universität. Darum bin ich vorletztes Jahr Mitglied geworden. Neben Deutsch spreche ich Englisch als Arbeitssprache, außerdem Französisch und Esperanto. Zudem verstehe ich große Brocken Spanisch und Arabisch. Ich habe mich viel mit der Funktion von Sprache beschäftigt. Kritisch sehe ich auch die vielen Anglizismen, die sich vor allem durch die Neuen Medien und die Werbung verbreiten. Manchmal versteht man nicht mal mehr, was einem da eigentlich angeboten wird.
Die Schriftstellerin Kirsten Boie wirft dem VDS-Chef Krämer Rechtspopulismus vor und hat deshalb sogar einen Preis abgelehnt. Die Kasseler Grünen kritisieren, dass in Ihren „Sprachnachrichten“ von „Lügenmedien“ die Rede ist. Ist der VDS die AfD der Sprachschützer?
Ihre Frage beinhaltet einen unangebrachten Vergleich. Wir sind eine bunte, überparteiliche und stetig wachsende Vereinigung von Menschen, denen an unserer Sprache gelegen ist. Die „Sprachnachrichten“ geben dabei die Meinungen der jeweiligen Autoren wider. Manche Partei nimmt sich unserer Themen an und bemächtigt sich ungefragt unseres Namens. Das ist nicht immer hilfreich. Der Vorwurf des Rechtspopulismus ist eine Ausrede, um sich nicht mit unseren Argumenten auseinanderzusetzen. Der VDS ist per se konservativ, weil er sich für die Bewahrung der deutschen Sprache einsetzt, derzeit vor allem gegenüber sprachpolitischen Eingriffen. Wir möchten Deutsch aber nicht erhöhen oder über andere Sprachen stellen. Das gilt auch für Walter Krämer, der sicherlich eine eigene Art hat, bestimmte Sachverhalte auf den Punkt zu bringen. Solche Persönlichkeiten hat auch jede Partei. Denken Sie an Tübingens Grünen-Oberbürgermeister Boris Palmer.
Bislang ist eine Mehrheit laut Umfragen gegen das Gendern. Jüngere sind aber aufgeschlossener. Wird das Gendern in Zukunft eine breitere Zustimmung erhalten?
Ich bin mir sicher: Man wird zur Erkenntnis kommen, dass das Gendern ungerecht und grammatikalisch inkonsequent ist. Bislang wird es in erster Linie in öffentlich finanzierten Einrichtungen angewandt wie Universitäten, Verwaltungen und Anstalten wie ARD und ZDF. In Geschäften werden diese Regeln dagegen kaum benutzt. Ich kenne auch keinen Freund oder Verwandten, der gendert. In meinem Berufsleben war ich viel in der Welt unterwegs, vor allem in Afrika und Asien. Nirgends hat man solche Probleme mit der Sprache wie in Deutschland.
Was denken Sie, wenn Ihnen jemand vorwirft, wie ein „alter weißer Mann“ zu reden?
Der Begriff ist gleich dreifach diskriminierend, weil er nur auf Äußerlichkeiten abzielt. Ein Drittel der 37 000 Mitglieder des VDS ist übrigens weiblich. Unser Altersschnitt ist relativ hoch. Aber der VDS besteht nicht nur aus „alten weißen Männern“. Unsere Mitglieder setzen sich aus vielen Berufen aus nahezu allen Ländern, Kulturen und Altersgruppen zusammen. Sie finden auf unserer Homepage neben unseren wissenschaftlichen Beiräten viele bekannte Mitglieder wie den Philosophen Peter Sloterdijk, Autoren, Verfassungsrichter, Sprachwissenschaftler und viele mehr. Auch die Kasseler Brüder-Grimm-Gesellschaft ist Mitglied. Und ich habe dafür gesorgt, dass auch das Deutsche Kulturhaus in Gaborone in Botswana bei uns eingetreten ist. Über Sprache wird auch weiterhin hitzig diskutiert werden, denn sie umgibt uns von morgens bis abends. (Matthias Lohr)