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Ein Klangerlebnis: Blitze und andere Lichtereignisse

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Von: Bettina Fraschke

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Staatstheater Kassel Oper „Einbruch mehrerer Dunkelheiten“ Das Foto zeigt Rahel Weiss als „Geldspieler“.
Showdown vor Monitoren: Rahel Weiss als Geldspieler im Labor. © Isabel Machado Rios

Sie sind im Begriff, die Weltherrschaft zu übernehmen: Blitze sind schnell, intelligent, anpassungsfähig, zeigt die Oper „Einbruch mehrerer Dunkelheiten“. Das Kasseler Staatstheater zeigt sie als Uraufführung.

Kassel - Gibt es auf der Bühne zu den Blitzen dann noch eine Figur, die an Elon Musk erinnern soll, sind im Kasseler Opernhaus einige Assoziationswege gebahnt. Die blitzgeschwinde und nicht mehr zu kontrollierende digitale Vernetzung, der wir uns freudig-naiv ausliefern. Die Tech-Industrie, die weiter ein cooles Erneuerungs-Image hat, obwohl sie längst aus unserem Privatesten skrupellos Profit zieht und nach Belieben Wirtschaftskreisläufe implodieren lassen kann. Die Frage nach der Rolle des Staates. Hier auf der Opernbühne stellt sich jedenfalls heraus, dass der Adler, der als Wappentier über der Szenerie thront, seine Klauen wirklich überall im Spiel hat.

Pop-Autor Dietmar Dath hat eine sprachlich brillante, vieldeutige Textvorlage für eine Oper geschrieben, Felix Leuschner hat sie komponiert: „Einbruch mehrerer Dunkelheiten“ feierte am Samstag eine viel beklatschte Uraufführung. Das Kasseler Staatstheater will damit eine Tradition begründen, einmal jährlich brandneues Musiktheater aufzuführen.

Generalmusikdirektor Francesco Angelico dirigierte mit großer Präzision das einzigartige Klanggerüst, bei dem die Instrumente des Orchesters ebenso wie die Gesangsstimmen elektronisch verändert werden – Leuschner selbst sitzt bei allen Aufführungen an der Technik. Tonschichtungen türmen sich, dann entblättert sich alles und legt zum Beispiel gezupfte Streichersaiten frei, das Wischen von Jazzbesen, Bläserakzente, Vorspulgeräusche, Herzschlag-Beats. Fein und ideenreich entwickelt sich das Musikgebilde mal dystopisch-grollend, mal in Richtung Jazz.

Musikalisch überzeugend gelöst ist die Verschiebung der Zeitebenen. Bassbaritonistin Sam Taskinen singt die Blitz-Sounds, die den Raum wie in einer Druckwelle zu verformen scheinen. Tänzer machen das in der Choreografie von Deva Schubert sichtbar.

Demgegenüber wird die Klangwelt ausgerechnet dann ganz zart und klar – Harfe in C-Dur –, wenn ein Monster auftritt: Maren Engelhardts Mezzosopran rutscht per Mischpult eine Etage tiefer – im glitzernden Einteiler streichelt sie lasziv die Läufe der goldenen Maschinengewehre, die um ihren Hals baumeln (Kostüme: Miriam Grimm). Auf den Monitoren ringsum bäumt sich Kult-Monster Godzilla auf.

Florentine Klepper inszeniert einerseits mit Trash-Elementen, andererseits will sie mit Bühnenbildner Sebastian Hannak einen Bilderreigen der Bundesrepublik ablaufen lassen. Beginnend im Gerichtssaal der Nürnberger Prozesse, lässt sie 80er-Jahre-Idole wie Boris Becker und Steffi Graf, DDR-Knuddelfigur Schnatterinchen oder Gegenkultur-Posterboy Rainer Langhans aufmarschieren. Der Text braucht eine solche konkrete Verortung gewiss nicht, davon unabhängig sind die vielen Szenen- und Kostümwechsel sorgfältig ausgearbeitet, gibt es in gut 100 Aufführungsminuten viel zu entdecken.

Als „Ermittlerinnen“ agieren Mengqi Zhang und Clara Soyoung Lee. Ihre Soprane klingen so ähnlich, dass sich zusätzliche Irritation einschleicht, wenn sie einander die Worte mitten in einer Phrase übergeben. Countertenor Bernhard Landauer wechselt als „Doktor Interelektro“ vom hohen Altus ins Gesprochene und blitzschnell zurück. Caroline Melzer kontrastiert den Look einer modernen Amazone mit Zöpfchenfrisur mit ihrem klaren, hohen Sopran als „Bewaffnete“. Schauspielerin Rahel Weiss bringt als „Geldspieler“ eine ganz andere Note rein: Im weißen Anzug mit Kummerbund steuert sie eine Art halbgesprochenen Moritatengesang bei: charismatisch und ebenso verstörend wie das Sandmännchen, das von der Bühne plötzlich huldvoll ins Publikum winkt.

Wieder 11., 17., 25. Juni,

staatstheater-kassel.de

Von Bettina Fraschke

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