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Bayreuther Festspiele: Tobias Kratzers "Tannhäuser" ist eine Befreiung

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Von: Werner Fritsch

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Am Ende: Zusammen mit dem Oskar-Matzerath-Darsteller (Manni Laudenbach) wartet Elisabeth (Lise Davidsen) vergeblich auf Tannhäusers Rückkehr. © Enrico NawratH/Bayreuther Festspiele/nh

Eine ganz unerwartete Form von Erlösung hat die „Tannhäuser“-Inszenierung von Tobias Kratzer in petto, mit der am Donnerstag die Bayreuther Festspiele eröffnet wurden.

Und die mit deutlich mehr Jubel als Buhs aufgenommen wurde. Endlich einmal ging es nicht um den Antagonismus von hemmungsloser Sinnenlust in der Venus-Welt und entsagungsvoller, strenger Moral bei den Wartburg-Rittern. Eine Konstellation, die diese Oper ziemlich anachronistisch aussehen lässt.

Stattdessen geht es dem Regisseur „um eine innere Haltung in der heutigen Welt“. Der Sänger Tannhäuser (hier ist er nicht Minne- sondern Opernsänger) ist zum Aussteiger geworden. Mit einem anarchischen Trio aus der Rockröhre Venus (Elena Zhidkova), einem der „Blechtrommel“ entsprungenen Oskar-Matzerath-Darsteller, gespielt vom kleinwüchsigen Schauspieler Manni Laudenbach, und der schrillen Drag-Künstlerin Le Gateau Chocolat ist er ausgebrochen. In einem alten Citroën-Kastenwagen ist man von der Wartburg aus unterwegs durch die Wälder und landet nächtens auf einem gartenzwerg-idyllischen Rastplatz.

Dieses Vorspiel zeigt ein Video während der Ouvertüre. Doch als Venus einen Polizisten überfährt, wird das Unbehagen des in einem Clownskostüm steckenden Tannhäusers (Stephen Gould) zum Überdruss. Er haut ab – und findet sich vor dem Bayreuther Festspielhaus wieder, wo ihn Wolfram von Eschenbach und die Rittergesellschaft, allesamt Bayreuth-Künstler, wieder aufnehmen.

Regie-Willkür? Kratzer nimmt die biografische Situation Richard Wagners bei der Entstehung der Oper nach 1840 in Dresden in den Blick: Noch ist sein Weg unklar: Wird er zum politischen Revolutionär werden oder in der Welt der Künste reüssieren? Es ist diese Situation des Alles-Wollens und überall Scheitern-Könnens, die Kratzer in der Tannhäuser-Figur wiederfindet. Ein überzeugender, ja befreiender Ansatz, der allerdings im dritten Aufzug, wo es um den Tod und die letzten Dinge geht, die spirituell-religiösen Fragen ausblendet.

Virtuose Inszenierungskunst ist es allerdings, wie Kratzer die heutige Welt mit der Bayreuther Szene und mit der „Tannhäuser“-Handlung als Stück im Stück zusammenführt. Eine zentrale Rolle spielen die von Manuel Baum gestalteten Videos, teils vorproduzierte, teils die Handlung kommentierende Live-Sequenzen. So wird der Sängerkrieg auf der Wartburg durch die zugespielte Backstage-Perspektive nicht (allein) als historisierende Inszenierung in alten Kostümen im Wartburgsaal (Bühne und Kostüme: Rainer Sellmaier) gezeigt. Die Video-Perspektive lässt die Szene auch als Konflikt der um die schöne Elisabeth rivalisierenden Darsteller und, darüber hinaus, als Streit um gegensätzliche Lebensentwürfe erscheinen.

Zusätzlich befeuert wird diese angespannte Szenerie durch das Auftreten von Venus und ihren beiden Gefährten, die (zunächst im Video zu sehen) über eine Leiter ins Festspielhaus eindringen, dabei haben sie ihre Pamphlete mit den Wagner-Zitaten „Frei im Wollen. Frei im Thun. Frei im Genießen“.

Derart leibhaftig hin- und hergerissen zwischen der hippen Venus und der strengen Elisabeth, offenbart Tannhäuser in dieser Szene deutlicher denn je seine quasi sekündlich wechselnde Positionierung zwischen den von diesen Frauen verkörperten zwei Welten – Ausdruck einer überbordenden Lebensgier, die man durchaus auch den Komponisten Richard Wagner zuschreiben könnte.

Was macht aber Elisabeth in dieser von religiösen Normen absehenden Inszenierung so attraktiv? Hier kommt, spät, Wagners Musik ins Spiel – und ein Glücksfall für den Regisseur wie auch für alle Bayreuth-Besucher: der umwerfende Gesang und die fantastische Bühnenpräsenz der Elisabeth-Darstellerin Lise Davidsen. Die 32-jährige Norwegerin wird bereits als Jahrhundertstimme gehandelt. Hier ist sie der musikalische Dreh- und Angelpunkt der Oper.

Von höchster Differenziertheit

Mit metallischer Klarheit und fantastischem Stimmvolumen erobert sie – scheinbar unspektakulär – mit ihrer Hallenarie die Bühne. Ihr Gebet im dritten Aufzug ist von höchster Differenziertheit und wirkt dabei wunderbar natürlich in sich ruhend.

Mit agilem Spiel und stimmlich stark überzeugt Elene Zhidkova als ihre Gegenspielerin Venus. Stephen Gould, seit Jahren eine feste Größe in Bayreuth, steht die gefürchtete Tenorpartie als Tannhäuser gut durch, während Markus Eiche als Wolfram von Eschenbach sich auch stimmlich als Asket präsentiert. Immerhin gönnt ihm die Regie im dritten Aufzug einen Quickie mit der angebeteten Elisabeth. Die liegt am Ende, etwas unmotiviert, tot in Tannhäusers Armen. Auf die Wagner’sche Frauenopferung konnte die Regie offenbar nicht verzichten.

Eher enttäuschend verlief das Bayreuth-Debüt von Stardirigent Valery Gergiev. Er beschränkte sich mit einem elegant-flüssigen Dirigat vorwiegend aufs Begleiten. Dramatische Akzente setzte er kaum – was insbesondere den Sängerkrieg zu einer überwiegend szenischen Angelegenheit machte. Kratzers bilderreiche Regie dominierte eindeutig – sogar noch in der ersten Pause, als das Trio infernal um Venus den Teich im Festspielgarten mit einer rockigen Performance bespielte.

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