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Bizarre Höllenvisionen

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Der „Freischütz“ im Opernhaus – von links: Filippo Bettoschi (Kaspar), Emma McNairy (Ännchen), Sam Taskinen (Kuno), Margrethe Fredheim (Agathe) und Mirko Roschkowski (Max), im Hintergrund Herren des Opernchors.
Der „Freischütz“ im Opernhaus – von links: Filippo Bettoschi (Kaspar), Emma McNairy (Ännchen), Sam Taskinen (Kuno), Margrethe Fredheim (Agathe) und Mirko Roschkowski (Max), im Hintergrund Herren des Opernchors. © Birgit Hupfeld

Kassel – Schon von der „Magdeburger Hochzeit“ gehört? Das ist der zynische Ausdruck für die Verwüstung der Stadt im Jahr 1631. In Carl Maria von Webers „Der Freischütz“ wird das entsetzliche Massaker kurz erwähnt, was nicht von ungefähr kommt: Die Originalhandlung der romantischen Oper spielt nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges.

Solche Hinweise auf die grausame Vorgeschichte hat Ersan Mondtag sehr ernst genommen. So präsentiert der weithin gefragte Regisseur ein bildgewaltiges Nachkriegs-Panorama. Die Charaktere sind traumatisiert. Allen voran Max, der nichts mehr trifft, aber einen Probeschuss abliefern muss, um seine Braut Agathe heiraten zu können. In der Kasseler Inszenierung ist er ein Psychiatrie-Patient mit Drogenproblemen.

Überhaupt lässt sich die neu gedeutete Handlung als Rauschgift-Fantasie des armen Jägerburschen verstehen. Diese Idee hat Mondtag mit Nina Peller (Bühne) und Teresa Vergho (Kostüme) für bizarre Fantastik genutzt. Wer in der Oper knallbunte Bilder zwischen Horrorfilm und Comic sehen will, liegt hier goldrichtig. Da gibt es riesige Pilze – Magic Mushrooms – ebenso wie rote Wolken, die auch die Flammen der Hölle symbolisieren. Erst recht extravagant ist die Aufmachung der Akteure. Das Ännchen etwa, Agathes Freundin, trägt beachtliche Hörner auf dem Kopf. Sie hat überdies ungeahnte Seiten. Einmal betreut sie als Domina devote Herren.

Neben Trash-Elementen, die zum Schmunzeln animieren, wartet der Opernabend mit literarischer Bildung auf. Schauspieler Jonathan Stolze verkörpert als Teufelsgestalt Samiel einen Pfleger und zitiert beispielsweise die „Gesänge des Maldoror“. Dieser Maldoror, ersonnen vom französischen Dichter Lautréamont, ist ein gefallener Engel, grausam, aber abgestoßen von der Schlechtigkeit der Menschen. So grell sich diese „Freischütz“-Version gibt, so moralisch ist sie im Kern, was mit einer gewissen thematischen Überfrachtung einhergeht.

Das Übel der Welt wird zum Gegenstand umfassender Kritik. Die zielt auch auf den Krieg gegen die Natur im Kapitalismus. Am Beginn der Wolfsschlucht-Szene, sonst der Einbruch des Irrational-Dämonischen, treten Waldarbeiter auf. Sie zersägen Baumstämme, ganz rational, mit lautem Getöse.

Der Abend thematisiert auch den Klimawandel und lässt einen „Alten Nazi“ nicht unerwähnt. Damit ist Agathes Urahn gemeint, dessen Bild als düstere Ahnung herabfällt. Es zeigt Oscar Robert Henschel, der – so das Programmheft – „die Kasseler Maschinenbauwerke Henschel & Sohn im Dritten Reich in einen florierenden Rüstungsbetrieb“ verwandelte.

Ebenso aufregend und vielschichtig, wenn auch im vertrauten romantischen Stil, ist Webers Musik. Dirigent Mario Hartmuth und das Staatsorchester realisieren sie auf souveräne Weise, es gibt planvoll abgestufte Stimmungen und Tempi. Die Gesangssolisten, wie auch der Opernchor, leben das Regie-Konzept mit tollem Einsatz aus.

Mirko Roschkowski singt den Max fein timbriert, wohltönend, im Lyrischen gründend. Margrethe Fredheim verleiht der Agathe innige Herzenstöne, Emma McNairy trumpft als kraftvolles Ännchen auf. Als angemessen rauen Kerl porträtiert Filippo Bettoschi den Ex-Soldaten und Dealer Kaspar. Markant auch Sam Taskinen (Kuno), Magnus Piontek (Eremit) und Ilyeol Park (Kilian, Ottokar).

Lang anhaltender Beifall beschloss die Premiere. Für die Regie gab es sowohl Zustimmung als auch einige Buh-Rufe. Das Opernhaus war ausverkauft, was unter den derzeitigen Bedingungen eine Kapazität bis zu 459 Plätzen bedeutet.

Nächste Aufführungen am 18., 26. Februar, 4., 11., 27. März, Karten: Tel. 0561/1094-222, staatstheater-kassel.de

Von Georg Pepl

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