Holocaust-Gedenken mit VW-Jazzorchester und Lesung im Schlachthof

Das Volkswagen-Soundorchestra trifft Christoph Heubner (int. Auschwitz-Kommittee) beim Konzert mit Lesung anlässlich des internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust.
Kassel – „Die Welt, sie weiß und bleibet, aus grünen Wiesen steiget noch immer Asche mit dem Wind.“ Christoph Heubner versöhnt Unversöhnliches, wenn er diese Zeilen passgenau über das Metrum des wohl bekanntesten deutschen Einschlafliedes „Der Mond ist aufgegangen“ legt. Seit Jahrzehnten leiht er Überlebenden als Schriftsteller und Vorsitzender des internationalen Auschwitzkomitees seine Stimme, auch am Freitagabend im Kulturzentrum Schlachthof zum internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust.
Kulturdezernentin Susanne Völker verwies eingangs mit deutlichen Worten auf die durch Antisemitismus überschattete documenta fifteen und den noch „ausstehenden Dialog“, Stefan Kreher (VW-Vorstand) betonte die Verantwortung der VW-Werke. Die Tinte in Heubners frisch erschienenem Buch „Als wir die Maikäfer waren.“ muss noch feucht gewesen sein, als er es aufschlug und einfühlsam zu lesen begann. Da war die Geschichte eines Juden und einer ungarischen Wirtin, die einen SS-Mann massiv verunsichert haben, allein durch permanentes und demonstratives Hinschauen. Kraftvolle Kontrastbilder für unsere Wegschau-Gesellschaft.
Zu Beginn der ausverkauften Veranstaltung fragte man sich vielleicht, wie das passen soll: Auschwitz-Gedenken und eine Jazz-Performance? Schon rein räumlich verschwand Heubners Tisch auf der Schlachthof-Bühne ja fast zwischen den VW-Musikern und ihren ausladenden Instrumenten. Aber Detlef Landeck, Leiter des 15-köpfigen VW-Soundorchestra, verband Kakofonie und Unterhaltungsmusik zu fein geschmiedetem und schmutzigschönem Experimental-Jazz. Die VW-Hallen Baunatal hämmerten, klirrten, stampften durch die Lautsprecher und dazwischen ertönten Soli, etwa von Kurt Aykuts Geige, Azubi im ersten Lehrjahr, sonst Mechatroniker. In skandierendem Sprechgesang waren verstörende Sätze zu vernehmen wie: „Wenn es Gras gegeben hätte, hätten wir es gegessen“.
Aber immer wieder, auch als die orientalische Laute (Saz) erklang, übertrug sich die Spielfreude der Band auf das Publikum. „Nachdenken, und sich am Leben zu freuen, gehören zusammen“, verriet Heubner.
Der jüngste Zuhörer, der tapfer lauschende zehnjährige Thore, hörte an diesem Abend vielleicht zum ersten Mal dies bemerkenswerte seelische Dur-Moll jüdischer Kultur. Das Publikum applaudierte einem Ensemble, das mutig sowohl an die Schrecken wie an das unerschrocken Menschliche erinnert hatte.
Autor Andreas Erdmann
