1. Startseite
  2. Kultur

Triumphaler Kasseler „Ring“: Vom Machtwahn zum Weltenbrand

Erstellt: Aktualisiert:

Kommentare

Eine Szene aus „Siegfried“: Egils Silins als Wotan, im Hintergrund Mitglieder des Ensembles sowie Bürgerinnen und Bürger aus Kassel und Umgebung.
Eine Szene aus „Siegfried“: Egils Silins als Wotan, im Hintergrund Mitglieder des Ensembles sowie Bürgerinnen und Bürger aus Kassel und Umgebung. © Nils Klinger

Ein triumphaler Erfolg: „Der Ring des Nibelungen“ in Kassel ist mit der „Götterdämmerung“ abgeschlossen worden. Es gab Beifallsstürme im Opernhaus.

Kassel – Es ist ein treffendes Wort von Thomas Mann: „Stunden voll von Schauern und Wonnen der Nerven und des Intellektes.“ So beschrieb er einst seine Erlebnisse mit dem Werk Richard Wagners.

Genau solche Stunden verspricht dessen Opus magnum „Der Ring des Nibelungen“ am Staatstheater Kassel. Fesselnd auf die Bühne gebracht, wird der monumentale Vierteiler zum denkwürdigen Ereignis. Zu grandiosen Klängen entspinnt sich ein musiktheatralisches Abenteuer sondergleichen. Die gesellschaftliche Parabel bietet viel Stoff zum Nachsinnen, sei es über die Schrecken des Kapitalismus, über Gewaltspiralen oder Tiefenpsychologie.

Zwischen 2018 und 2020 erarbeiteten Regisseur Markus Dietz und Generalmusikdirektor Francesco Angelico die vier Werke: „Das Rheingold“, „Die Walküre“, „Siegfried“ und „Götterdämmerung“. Auch überregional erntete das Großprojekt viel Lob.

In diesem April war es endlich soweit: Der erste der beiden Zyklen mit der kompletten Tetralogie – rund 15 Stunden reine Spielzeit – startete im Opernhaus. Bestens besucht, gerieten alle Aufführungen zu triumphalen Erfolgen. Nicht enden wollten die Beifallsstürme auch am Sonntag. Jubelnder Applaus im Stehen krönte die bewegende „Götterdämmerung“, die so packend wie der gesamte Zyklus war.

Stück für Stück wie in einem Krimi erzählt Dietz die komplexe Geschichte – ohne übergestülptes Konzept. Das Ergebnis ist dennoch alles andere als Stückwerk, sondern einheitlich und stringent. Es gibt sorgfältig komponierte, nie überladene Tableaus. Wiederkehrende Elemente wie das Walhall-Gerüst mit dem leuchtenden Logo W dienen als optische Leitmotive. Abstrakt imposant sind die Bühnenbilder von Ines Nadler und Mayke Hegger, die jeweils zwei Werke gestalteten.

Hinzu kommen tolle Licht-Effekte (Christian Franzen), ein wohldosierter Video-Einsatz (David Worm) und heutige Kostüme (Henrike Bromber). Die göttliche Oberschicht trägt mafiöse Züge.

Was geschieht, wenn Macht an die Stelle von Liebe tritt? Tiefenscharf lotet Dietz das zentrale Thema aus. Schon vor dem ersten Ton von „Rheingold“ beginnt das Verhängnis: Mit seinem Speer erschafft Wotan die Umrahmung aus Neon-Licht – eine Aktion, die den erst viel später enthüllten Baumfrevel des Göttervaters symbolisiert: Wotan schneidet seinen Speer aus der Weltesche und begründet damit seine auf Verträgen basierende Herrschaft.

Ein beklemmend aktueller Gedanke: Die Verstümmelung der Natur setzt eine folgenschwere Dynamik in Gang, die im Weltenbrand enden wird.

Eine prägende Idee der Inszenierung besteht in dem Kollektiv aus Dutzenden von Bürgerinnen und Bürgern der Region. Zuerst als hedonistische Badegäste um die neckischen Rheintöchter eingeführt, verkörpern sie dann den geraubten Schatz.

Sie sind Humankapital, ausgebeutet von Alberich, der sich vom gedemütigten Außenseiter zum brutalen Kapitalisten wandelt. Noch Schrecklicheres widerfährt dem menschlichen Kapital in Fafners Neidhöhle, die einem Lager gleicht: Hustende Menschen in Unterwäsche, Kunstnebel strömt wie Gas auf die Bühne. Das verstörende Bild wirft die Frage auf, ob solche Anspielungen als Theatereffekt statthaft sind.

Psychologisch erhellend ist dagegen die von Andréanne Brosseau getanzte Gestalt des Waldvogels: In einer prä-freudianischen Einsicht nannte Wagner jenen Waldvogel um Siegfried die „mütterliche Seele der Sieglinde“. Anderes kommt augenzwinkernd daher. Zum Beispiel Göttergattin Fricka auf einer Harley. Neben den erzählerischen Qualitäten und der ausgefeilten Personenführung wartet die Regie mit einer weiteren Stärke auf: der souveränen Bespielung des gesamten Raums.

Erst recht begeistert die Wagner-Kompetenz von Francesco Angelico. Der gefeierte Dirigent animiert das großartige Staatsorchester Kassel zu einem eindrucksvoll flexiblen Klang. Beide Aspekte sind mustergültig: die Klarheit der Details und die Kontinuität des sinfonischen Stroms, der sich wie selbstverständlich aus dem Beziehungszauber der Leitmotive entfaltet. Zudem ist Angelicos Wagner vorbildlich sängerfreundlich.

34 Einzelrollen sieht der „Ring“ vor – nahezu alle sind luxuriös besetzt. Leonardo Lee gibt Wotan in „Rheingold“ mit prachtvoller Stimme. Danach imponiert Bassbariton Egils Silins als Göttervater der Top-Klasse. Wotans Gegenspieler Alberich erhält von Thomas Gazheli eine gespannte Expressivität. Während Martin Iliev (Siegmund) kleine Wünsche offen ließ, ist Nadja Stefanoff eine sensationelle, zutiefst anrührende Sieglinde. Wunderbar auch Nancy Weißbach, die klar und klangschön timbrierte Brünnhilde der „Walküre“.

Mit stimmlicher Grandezza glänzt Kelly Cae Hogan als majestätische Brünnhilde in „Siegfried“ und „Götterdämmerung“. Bravourös und mit juvenilem Charme stemmt Daniel Brenna die Partie des kurzbehosten Naturburschen Siegfried. Charaktervolle Eloquenz bietet Arnold Bezuyen, zunächst als Loge, dann als Mime – Siegfrieds karikaturhafter Ziehvater zählt zu den umstrittensten Wagner-Partien. Eine Wucht ist Albert Pesendorfer als eiskalter Intrigant Hagen, sekundiert von stimmgewaltigen Mannen.

Auch Kasseler Opernlieblinge kehren ans Staatstheater zurück: der prächtig klingende Hansung Yoo (Donner, Gunther) und die fulminante Ulrike Schneider, die mit intensiven Rollenporträts brilliert: Sie ist in „Walküre“ eine strenge Fricka und in „Götterdämmerung“ eine aufwühlend besorgte Waltraute. In mehreren Rollen überzeugen auch Ilseyar Khayrullova, Don Lee, Margrethe Fredheim und Clara Soyoung Lee.

Der Kasseler „Ring“ – ein Fest der exzellenten Sängerinnen und Sänger.

Der „Der Ring des Nibelungen“ ist erneut komplett zu sehen. Die Termine:

. Vorabend: Das Rheingold, 5. Juni

. Erster Tag: Die Walküre, 6. Juni

. Zweiter Tag: Siegfried, 8. Juni

. Dritter Tag: Götterdämmerung, 10. Juni (ausverkauft)

Karten: karten.staatstheater-kassel.de/de/platzabos

Tel. 0561/1094-222

Nancy Weißbach in „Walküre“ als Brünnhilde.
Nancy Weißbach in „Walküre“ als Brünnhilde. © Nils Klinger
Luxuriöse Besetzung: Kelly Cae Hogan (in „Götterdämmerung“) als Brünnhilde.
Luxuriöse Besetzung: Kelly Cae Hogan (in „Götterdämmerung“) als Brünnhilde. © Nils Klinger

Auch interessant

Kommentare