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Feuerherdt zu Antisemitismus auf der documenta: „Bin unglücklich darüber, dass Kritik abgetan wurde.“

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Von: Amir Selim

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Publizist Alexander Feuerherdt im Porträt
Publizist Alexander Feuerherdt war mit seinem Vortrag zu „Popkultur & BDS“ beim Festival „Nach dem Rechten sehen“ in Kassel zu Gast. © Privat

Die documenta stand schon seit Jahresbeginn wegen Antisemitismus in der Kritik. Publizist Alexander Feuerherdt erklärt, was falsch lief und warum die BDS-Bewegung antisemitisch ist.

Kassel – Schon im Januar gab es Vorwürfe gegenüber Künstlern der documenta und ihrer Nähe zur BDS-Bewegung (Boykott, Desinvestitionen, Sanktionen). Diese wurden zunächst abgetan. Doch spätestens nach dem antisemitischen Motiven auf Werken des Kollektivs Taring Padi auf dem Friedrichsplatz wird Antisemitismus auf der documenta fifteen bundesweit diskutiert.

Im Rahmen des Projekts „100 Tage“ der HNA-Volontäre steht deshalb diese Woche die Antisemitismus-Debatte im Fokus. Dazu sprachen wir mit Alexander Feuerherdt. Der Publizist war anlässlich des Festival „Nach dem Rechten sehen“ in Kassel und trug zum Thema „Popkultur & BDS“ vor.

Herr Feuerherdt, ist die documenta fifteen antisemitisch?

Es gab lange im Vorfeld deutliche Kritik an bestimmten antisemitischen Aktivitäten und Äußerungen von Mitgliedern der künstlerischen Leitung oder Künstlerkollektiven. Diese wurden heruntergespielt. Herr Geselle und Frau Schormann haben außerdem angekündigt, dass es keinen Antisemitismus zu sehen geben wird. Doch dann ist das Gegenteil passiert.

Halten Sie deshalb den Rücktritt der Generaldirektorin für angemessen?

Die Frage ist: Wer ist verantwortlich? Das lässt sich nicht auf Schormann reduzieren. Dazu gehören auch der Aufsichtsrat, dem der Oberbürgermeister vorsitzt, und Claudia Roth als Kulturstaatsministerin. Geselle hat sich eher eingeigelt und die Kritik heruntergespielt. Frau Roth war lange Zeit zu entspannt. Zudem hatte ich den Eindruck, dass die Verantwortlichkeit ein bisschen hin und her geschoben wurde. Die Abberufung von Frau Schormann war jedenfalls überfällig. Sie ist in erster Linie verantwortlich. Ich hätte es begrüßt, wenn sie etwas Einsicht gezeigt hätte.

Dabei gab es im Vorfeld der documenta schon Kritik.

Ja, und ich bin sehr unglücklich darüber, dass die Kritik abgetan wurde. Es wurde weniger darauf geachtet, ob die Kritik richtig war, sondern wer sie geäußert hat, das Bündnis gegen Antisemitismus. Das sind politische Aktivisten, die auch mal Dinge polemisch überspitzen, aber das ist völlig legitim. Hätte man die Verbindungen einiger Mitglieder der künstlerischen Leitung und von Künstlern zur antisemitischen BDS-Bewegung nicht ignoriert, wären die kritisierten Kunstwerke vielleicht gar nicht ausgestellt worden.

Was ist an der BDS-Bewegung antisemitisch?

Nach der gängigen Antisemitismus-Definition der Internationalen Allianz zum Holocaust-Gedenken ist antisemitisch, wer Israel dämonisiert, delegitimiert und doppelte Standards nutzt. Wenn man die Definition nimmt, ist sie bei BDS klar erfüllt.

Gibt es ein weiteres Kennzeichen für Antisemitismus bei BDS?

Es gibt heute zwei Zentren des jüdischen Lebens: die USA und Israel. 85 Prozent der Juden weltweit leben dort. In den USA spielt jedoch das Judentum im religiösen Verständnis eine immer geringere Rolle. Umso stärker wird die Bedeutung Israels für das Judentum. Es ist das einzige Land, in dem Juden keine Minderheit sind. Auch die allermeisten Juden im Ausland haben eine enge Bindung zu Israel. Das heißt nicht, dass sie immer die Regierung gutheißen. Aber es ist wichtig, dass es dieses Land gibt. Wenn BDS Israel in schlimmsten Tönen kritisiert, verurteilt und verdammt, ist es auch ein Angriff auf ein zentrales Symbol des Judentums. Dann ist diese Kritik auch Hass auf das Judentum. Darin besteht der Antisemitismus von BDS.

Warum gibt es unter den Künstlern der documenta so viele BDS-Anhänger?

Das liegt nicht zuletzt am Postkolonialismus, der in der Kunstszene verbreitet ist. Dort herrscht eine extrem einseitige Sichtweise auf Israel vor. In schrillen Worten wie Unrechtsstaat, Apartheid und Verbrechen gegen die Menschlichkeit wird Israel Kolonialismus vorgeworfen. Israel sei ein rassistischer Staat. Wenn man sich mit BDS beschäftigt, dann ist der Antisemitismus nicht weit. Und es bleibt auch dann Antisemitismus, wenn er von Menschen aus dem „globalen Süden“ vertreten wird.

Das kritisierte palästinensischen Kollektiv, Question of Funding, vermutet antipalästinensischen Rassismus hinter der Kritik.

Es wird behauptet, dass palästinensische Stimmen zum Schweigen gebracht werden sollen. Das ist ein ungerechtfertigter Vorwurf.

Warum?

Wenn man antisemitische Strukturen und Inhalte wahrnimmt, muss man sie thematisieren, egal wer sie äußert. Question of Funding ist nicht kritisiert worden, weil sie Palästinenser sind, sondern wegen ihres Antisemitismus. Natürlich können Palästinenser Israel kritisieren. Aber wie bei jedem anderen, der auf der documenta ausstellt, muss man das Ganze politisch würdigen und kritisieren. Wenn Rassisten stattdessen die palästinensische Herkunft in den Mittelpunkt stellen, ist das natürlich kritikwürdig.

Wie nehmen Sie Kassel bei der Diskussion wahr?

Die documenta prägt Kassel. Man ist stolz, dass die Ausstellung führend in der Kunstszene ist. Dann muss man sich aber auch der Kritik stellen, statt sie herunterzuspielen, oder von Kassel zu entkoppeln. Ich habe nur wenige mitbekommen, die das Thema wirklich kritisch sehen, zum Beispiel Dynamo Windrad oder das Bildungsfestival „Nach dem Rechten sehen“.

Haben Sie die documenta fifteen während ihres Aufenthalts in Kassel besucht?

Zur Documenta habe ich es nicht mehr geschafft. Ich war zwar am Friedrichsplatz, habe dann aber vor allem lange mit den Leuten von der Bildungsstätte Anne Frank gesprochen, die dort nun einen Stand haben. Dabei ging es auch darum, wie die Guides von ihnen geschult wurden und wie die Gespräche mit der Documenta-Leitung verlaufen sind. Am Ende war es dann leider zu spät für mich, um mir noch die Documenta anzuschauen, aber die Gespräche waren sehr ergiebig, deshalb wollte ich da keine Eile walten lassen.

Was hätten Sie sich gerne angesehen?

Am meisten interessiert mich, in welchen Kontext die kritisierten Kunstwerke eingebettet waren, und die Frage, ob der Rest eigentlich inspirierende, gute und starke Kunst ist. (Amir Selim)

Zur Person

Alexander Feuerherdt (53) lebt in Köln und arbeitet als Publizist und Lektor. Davor studierte er Politikwissenschaften, Slawistik und Osteuropäische Geschichte. Heute beschäftigt er sich mit Antisemitismus und Israel. Zu diesen Themen hat er mehrere Bücher veröffentlicht. Zudem betreibt er mit einem Journalisten den Fußball-Podcast „Collinas Erben“. (ams)

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