Buh-Rufe und Applaus bei Kunstwerk-Abbau auf Kasseler Friedrichsplatz

Rund 300 Menschen beobachteten am Dienstagabend den Abbau des documenta-Kunstwerks der indonesischen Künstlergruppe Taring Padi. Dabei kam es zu Protesten.
Kassel – Es herrschte eine eigenartige Stimmung am Dienstagabend auf dem Friedrichsplatz. Obwohl sich dort schätzungsweise 300 Menschen zwischen den Pappfiguren der indonesischen Künstlergruppe Taring Padi aufhielten, war es zum Teil gespenstisch still. Fast so wie auf einer Trauerfeier. Alle warteten darauf, dass das umstrittene Wandbild „People’s Justice“ entfernt wird, das judenfeindliche Motive zeigt.
Seit dem späten Nachmittag hatten sich schon Kamerateams, Fotografen und Journalisten auf dem Platz aufgehalten. Bei den Interviews mit den Passanten wurde deutlich, dass die Meinungen zu der Entscheidung der documenta, das Wandbild wieder zu entfernen, weit auseinandergehen. Es gab Stimmen dafür, dagegen, viele waren sich aber auch unschlüssig.
Als kurz nach 20.30 Uhr dann tatsächlich damit begonnen wurde, die einzelnen Teile von dem Gerüst zu nehmen, waren die ersten Buhs und „Free Palestine“-Rufe aus der Menge zu hören.
Diese Buh-Rufe wurden lauter, als alle Teile des Wandbilds etwa 45 Minuten später von dem Gerüst komplett entfernt worden waren. Aber es gab auch Applaus dafür.
Der Protest gegen den Abbau wurde immer lauter. Viele Künstler solidarisierten sich mit ihren Kollegen aus Indonesien, indem sie die Pappfiguren der Gruppe über den Platz trugen. Sie riefen „Shame“ (Schande) und protestierten gegen die „Zensur“. „Art is not a crime“ (Kunst ist kein Verbrechen) wurde skandiert.
Zudem wurde „Palestine will be free from the river to the sea“ (Palästina wird vom Fluss bis zum Meer frei sein) gerufen. Das kann durchaus als Angriff auf Israel verstanden werden, denn zwischen dem Jordan und dem Mittelmeer liegt der Staat Israel.
Eine junge Frau regte sich sehr darüber auf, dass sich die Gruppe um die Künstler jetzt als Opfer darstellen würde. Mit dem antisemitischen Kunstwerk seien ausdrücklich Juden angegriffen worden. Ihre jüdischen Freunde würden sich gar nicht mehr trauen, in die Stadt zu gehen – wo von vielen Menschen offenbar das Wandbild toleriert worden sei.
Was die Unterstützer des Wandbildes mit den Pappfiguren vorhatten, war nicht deutlich zu erkennen. Ein Teil der Figuren wurde kurzzeitig zu einem Art Scheiterhaufen auf der Rasenfläche vor dem Staatstheater gestapelt.

Ein Mann, der schon im Vorfeld durch unverständliche Rufe auf sich aufmerksam gemacht hatte, interpretierte das jedenfalls so. Er zückte ein Feuerzeug und wollte die Figuren anzünden. Hier schritt die Polizei ein und zog ihn von der Fläche. Das hielten einige Personen für übertrieben und schimpften auf die Beamten.
Der 39-jährige Mann aus Kassel habe einen „wirren Eindruck“ auf die Beamten gemacht, teilte Polizeisprecher Matthias Mänz auf Nachfrage unserer Zeitung mit. Gegen ihn werde nun wegen Sachbeschädigung durch Feuer ermittelt.
Anschließend wurden die Pappfiguren von den Künstlern und Mitarbeitern der documenta vom Platz in die documenta-Halle getragen. Auch einige Passanten deckten sich mit den Figuren ein. Eine Frau trieb nur eine Sorge um: „Wie kriege ich die in mein Auto?“ Anschließend war der Friedrichsplatz von der gesamten Kunst befreit. Am Mittwochmorgen stand nur noch das Gerüst. Der Anblick erinnerte irgendwie an einen Friedhof. (use)