documenta 15: Programm russischer Künstler vom ZK/U wegen Ukraine-Krieg umgeplant

Eigentlich sollten russische Künstler Anti-Kriegs-Kunstwerke auf der documenta 15 nach Präsentationen von ukrainischen Kulturschaffenden zeigen, so war es der ursprüngliche Plan des Zentrums für Kunst und Urbanistik Berlin. Doch der musste wegen des Kriegs in der Ukraine geändert werden.
Evgeniia sitzt im ersten Obergeschoss des Ruruhauses. Die 35-jährige Künstlerin aus Russland sieht sich um. Ihr Nachname soll nicht erwähnt werden, so die Bitte des Zentrums für Kunst und Urbanistik in Berlin (ZK/U), das sie und ihre Kollegin Aleksandra nach Kassel eingeladen hat. Denn die Russinnen positionieren sich in ihrer Arbeit gegen Krieg. Man wolle die Künstlerinnen so gut wie möglich schützen, sagt Barbara Bernsmeier vom ZK/U.
Wo Evgeniia sitzt, waren vergangene Woche Arbeiten ukrainischer Künstler zu sehen. Sie wurden vom ZK/U eingeladen – und konnten ihr Programm „Citizenship Ukraine“ wie geplant umsetzen. Anders als Evgeniia und Aleksandra. Sie sind aus Kaliningrad angereist, ohne ihre Arbeit zeigen zu können und haben deshalb die HNA kontaktiert.
Ukrainische und russische Künstler auf der documenta 15: der Konflikt
Ukrainische und russische Künstler in Kriegszeiten zusammen ausstellen zu lassen – das hat für Unmut bei einigen ukrainischen Künstlern gesorgt. Deshalb hat das ZK/U sich entschieden, die Präsentationen der Russinnen nicht im gleichen Zeitraum stattfinden zu lassen, erklärt Barbara Bernsmeier. „Wir haben uns aber darauf geeinigt, sie in einem anderen Format und mit zeitlichem Abstand zu den Ukraine-Formaten zu zeigen“, sagt die 36-Jährige.
Sie leitet das mehrjährige Projekt Cetka des Zentrums, das bis zum 24. Februar eine Plattform für Kulturschaffende aus Russland, Belarus und der Ukraine war, deren Arbeiten auf der documenta gezeigt werden sollten. „Der eigentliche Plan war, dass wir gemeinsame Arbeiten auf der d15 zeigen, aber das war natürlich seit Kriegsbeginn nicht mehr so möglich. Es war uns trotzdem wichtig, dass wir ein Treffen zwischen den einzelnen Künstlern schaffen“, sagt Bernsmeier.
Der Fokus sollte nun jedoch vor allem auf der Ukraine liegen. Erst während des ukrainischen Programms hat sich das ZK/U entschieden, umzuplanen: „Wir haben während dieser Woche verstanden, dass die zwei Präsentationen mit den russischen Kunstschaffenden zu nah an denen der Ukrainer lagen. Das hat zu viele Emotionen geweckt.“ Die ukrainischen Partner hätten unterschiedliche Meinungen dazu gehabt, wie mit den russischen Kunstschaffenden umgegangen werden soll: „Einige meinten, dass es irgendwann wieder einen Dialog geben müsse, andere wollten nicht mit Künstlern reden, die aus Russland kommen oder dort Steuern zahlen.“ Das ZK/U habe die Situation als simpler eingeschätzt, als sie war, sagt Bernsmeier.
Russische Anti-Kriegs-Künstler auf der documenta 15: Programm umgeplant
Das ZK/U habe nur Kunstschaffende eingeladen, die sich gegen den Krieg positionieren, sagt die Projektleiterin – ein paar von ihnen saßen für ihre Proteste schon im Gefängnis. Aber der Konflikt ist vielschichtig: „Aus ukrainischer Perspektive sind zum Teil alle Russen für den Krieg verantwortlich“, erklärt Bernsmeier, „da wird gerade klare Kante gezeigt: Jede russische Position führt laut den Ukrainern dazu, dass die Ukraine in den deutschen Medien und der Gesellschaft weniger wahrgenommen wird. Die große Angst ist, dass die Waffenlieferungen aufhören.“
Auch Evgeniia und Aleksandra arbeiten gegen den Krieg, sie haben mit anderen russischen Künstlern ein Magazin entwickelt, das verschiedene Werke zeigt. So unter anderem die Videoarbeit „Excuse me, I’m very sorry“, bei der ein Mensch mit Militärstiefeln eine Frühlingswiese mit blauen und gelben Blumen zertritt. Evgeniia selbst hat ein Objekt kreiert: einen Militärschuh, an dessen Sohle ein Schmetterling klebt. Die Künstlerinnen waren keine Projektmitglieder von Cetka, wurden aber von einer teilnehmenden Künstlerin aus Kaliningrad eingeladen, mit ihr an dem Magazin zu arbeiten. Bernsmeier selbst hat nie persönlich mit ihnen zusammengearbeitet – auch hätten die beiden sie nie kontaktiert. Jedoch haben sie versucht, ihre Präsentationen an einem anderen Ort als dem Ruruhaus zu halten. Doch auch das war nicht möglich: „Es ging um die zeitliche Parallelität“, sagt Bernsmeier.
Alle Projektteilnehmer hätten für die Entscheidung vollstes Verständnis gehabt, auch Ruangrupa sei informiert worden. „Die Künstler waren natürlich traurig, aber sie wissen auch, dass gerade Angehörige von unseren ukrainischen Teilnehmern von russischen Soldaten erschossen wurden“, sagt Bernsmeier. Auch Evgeniia akzeptiert das: „Wir verstehen, dass es für die ukrainischen Künstler sehr wichtig ist, gehört zu werden.“
documenta 15: Russisches Magazin soll gedruckt werden
Das entstandene Magazin soll nun durch das Lumbung-Press-Projekt in den Druck gegeben und verbreitet werden. Barbara Bernsmeier kann sich auch vorstellen, das russische Programm im September nachzuholen, wenn das Magazin vorliegt, „vielleicht, wenn die Citizenship endlich da ist“. Das sei auch von dem Budget des Zentrums abhängig.
Evgeniia und Aleksandra haben ihre Performance mit Steinketten mittlerweile privat mit Unterstützung des Kasseler Künstlers Horst Hoh-eisel nachgeholt, das Magazin in den Druck gegeben und in der Kunsthochschule vorgestellt. Vom konkreten Druckdatum wusste Bernsmeier nichts: „Wenn das jetzt gedruckt wurde, dann erstatte ich ihnen gerne das Geld“, sagt sie. Es ist ihr wichtig, zu betonen, dass die Veranstaltung nicht gestrichen wurde: „Ich bin eine große Kämpferin für die russische Kultur und Zivilgesellschaft und die letzte Person, die russische Veranstaltungen canceln würde.“ Statt der Präsentationen hat das ZK/U zwei Podcast-Episoden produziert, die in Kooperation mit der documenta veröffentlicht werden sollen – eine davon auch mit Evgeniia und Aleksandra.