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Rückblick: documenta 5 in Kassel (1972) – Kurator Szeemann schafft Gesamtkunstwerk

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Von: Bettina Fraschke

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Harald Szeemann, der Kurator der documenta 5
Harald Szeemann, der Kurator der documenta 5 © KEYSTONE/Walter Bieri, dpa

Die documenta 5 in Kassel gilt als Wendepunkt in der Ausstellungsreihe. Kurator Harald Szeemann habe das Kuratieren auf ein neues Level gehoben, sind sich Fachleute einig.

Kassel – Vor Beginn der documenta fifteen am 18. Juni 2022 blicken wir in einer Serie auf die bisherigen 14 Ausstellungen zurück. Heute: Die fünfte documenta in Kassel im Jahr 1972.

Was ist eigentlich eine Kunstausstellung? Heutzutage oft nicht vorrangig eine Zusammenstellung von Kunstwerken, sondern vielmehr selbst eine Kunstform, ein Gesamtkunstwerk, das die einzelnen Werke durch einen neuen Kontext anders zur Wirkung bringt. Das lässt sich an den großen Schauen der Gegenwartskunst zeigen – begonnen hat die Entwicklung jedoch mit der documenta 5.

Sie gilt als größter Wendepunkt in der Geschichte der Kasseler Ausstellung für Gegenwartskunst. Zwar hat Gründer Arnold Bode in den Ausgaben 1 bis 4 Maßstäbe gesetzt mit einer künstlerisch anspruchsvollen Inszenierung der Werke. Doch Harald Szeemann hat für die documenta das Kuratieren auf ein neues Level gehoben. Mit ihm wendete sich die documenta 5 erstmals vollkommen der Kunst der Gegenwart zu. Und Bazon Brock engagierte sich in seiner „Besucherschule“.

Zahlen zur documenta 5

Vom 30. Juni bis 8. Oktober 1972 lockte die documenta 5 220.000 Besucher ins Museum Fridericianum, auf den Friedrichsplatz und in die Neue Galerie. 222 Künstler stellten aus. Das Budget belief sich auf fast 3,5 Millionen D-Mark. 

documenta 5 als Gesamtkunstwerk: Harald Szeemann lässt wichtige Positionen verschmelzen

Die künstlerische Produktion jener Zeit bewegte sich längst außerhalb konventioneller Formate wie Gemälde oder Plastik. Unter einer kuratorischen Klammer vereinte Szeemann alle ihm wichtig erscheinenden Positionen so, dass sie sich gegenseitig befeuerten, dass sie miteinander verschmolzen zu einem Gesamtkunstwerk – der documenta.

In Kassel gibt es bereits jetzt Mutmaßungen, dass das radikal neue Konzept der Kuratoren der documenta fifteen in vergleichbarer Weise maßstabsetzend werden kann: weltweit vernetzt, partizipativ und prozesshaft. Nach dem bisherigen Kenntnisstand noch weiter von dem bereits mehrfach erweiterten Begriff davon entfernt, was Kunst zu nennen ist.

Die Kasseler documenta ist über die documenta 5 zum Modell für Ausstellungen der Gegenwartskunst geworden, die mit künstlerischen und inszenatorischen Mitteln unsere Gegenwart abbilden wollen. Für das in Kassel gerade entstehende documenta-Institut sagte Gründungsdirektor Heinz Bude in seiner Antrittsrede im August 2020: „Der Forschungsansatz des documenta-Instituts ist dadurch gekennzeichnet, dass es von der Form der Ausstellung ausgehend den Zusammenhang von Kunst, Politik und Gesellschaft in den Blick bringt.“ Die Fragestellung: Wie wird eine Ausstellung zum analytisch-integrativen Blick auf die Gegenwart?

„Befragung der Realtität – Bildwelten heute“: documenta 5 nicht durchweg positiv aufgenommen

Harald Szeemann hat es bei der documenta 5 erstmals in dieser Konsequenz und Strahlkraft ausprobiert. „Befragung der Realität – Bildwelten heute“ hieß entsprechend sein Titel für die Ausstellung, die damals nicht durchweg positiv aufgenommen worden war, weil auch Dinge gezeigt wurden, die man nicht als Kunst empfand. Auch der Schweizer Kurator stand in der Kritik.

Hingucker im Fridericianum: das Luftschiff von Panamarenko im Fridericianum.
Hingucker im Fridericianum: das Luftschiff von Panamarenko im Fridericianum. © documenta Archiv Stadtarchiv Kassel

Zu den prägenden Exponaten gehörte das Fluggerät „The Aeromodeller“ des Belgiers Panamarenko, das ebenso riesig wie filigran wirkte. Eine Installation zeigte sich im Hof des Fridericianums nicht gerade ansehnlich: HA Schults Position „Biokinetische Landschaft“ zur Umweltproblematik bestand unter anderem aus einem Müllberg. Mit „Five Car Stud“ stellte Edward Kienholz die Szenerie eines rassistischen Überfalls in den USA dar.

Auf eine Metaebene hievte Claes Oldenburg das Thema Ausstellung mit seiner Installation Mouse Museum in der Neuen Galerie. Ein Museum im Museum, in dem in einer weißen Box in kleinen Vitrinen teilweise rätselhafte Exponate aufgestellt worden waren – gekaufte oder auf der Straße gefundene.

Happening: Joseph Beuys (Mitte) boxt zum Abschluss der documenta 5 in Kassel gegen Abraham David Christian Moebuss.
Happening: Joseph Beuys (Mitte) boxt zum Abschluss der documenta 5 in Kassel gegen Abraham David Christian Moebuss. © picture-alliance/ dpa

Und dann wirbelte auch ein gewisser Joseph Beuys durch die Schau – mit Happenings und einem Büro für direkte Demokratie. (Bettina Fraschke)

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