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documenta: „Alles-Brücke“ entsteht auf dem Ahoi-Gelände in Kassel

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Von: Mark-Christian von Busse

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Gebaut wird eine Brücke über das Bootshaus: Kinder der Unterneustädter Grundschule mit (hinten von links) Benjamin Bornmann (stellvertretende Hortleitung) sowie Martina Helmke, Bifu Barroso und Ania Jaca (Recetas Urbanas).
Gebaut wird eine Brücke über das Bootshaus: Kinder der Unterneustädter Grundschule mit (hinten von links) Benjamin Bornmann (stellvertretende Hortleitung) sowie Martina Helmke, Bifu Barroso und Ania Jaca (Recetas Urbanas). © Privat

Am Ahoi-Gelände in Kassel geht der documenta-Aufbau voran: Die Gruppe Recetas Urbanas werkelt zusammen mit Kindern, Ilona Németh bepflanzt schwimmende Gärten.

Kassel – Kerstin Schwabe-Matic schwärmt schon jetzt von der documenta in Kassel. Die Leiterin der Unterneustädter Schule ist heute mit einer Gruppe Dritt- und Viertklässler auf das Areal des Ahoi-Bootsverleihs gekommen. „Wann der Igel Winterschlaf macht, das können die Kinder irgendwann nachlesen“, sagt sie. Was sie hier einüben, „daran werden sie sich noch in Jahrzehnten erinnern.“

Das spanische Architekturkollektiv Recetas Urbanas baut – unter tatkräftiger Unterstützung des Aufbauteams der documenta, das grundlegende Arbeiten vornimmt – eine Brücke mitsamt Aussichtsplattform. Nicht über die Fulda, sondern über das Bootshaus. Und die Kinder machen mit. Bei Martina Helmke, Kulturwissenschaftlerin und Bildungsreferentin, entwerfen sie auf Papier ihre Vorstellung der Brückengestaltung, Bifu Barroso und Ania Jaca zeigen, wo geschraubt werden muss.

Ein Projekt planen, an einem Prozess teilhaben, menschliches Miteinander erleben, sich den Stadtteil erschließen, Kulturangebote kennenlernen, sich verständigen und in Fremdsprachen versuchen – all das macht dieses ganzheitliche Projekt, gerade nach zwei Corona-Jahren, in den Augen von Rektorin Schwabe-Matic ungeheuer wertvoll. Es lasse sich auch gut in den Alltag der Ganztagsschule integrieren.

Ahoi-Gelände in Kassel: documenta-Kunstwerk entsteht am Fulda-Ufer

Nicht nur, weil es nachmittags ausreichend Zeitfenster gebe, sondern weil der Brückenbau in den Klassen einbezogen werde – bis hin zum Mathe-Unterricht. Das Team von Recetas Urbanas sei sehr offen und toll zu den Kindern, beobachtet Schwabe-Matic. Co-Schulleiter Klaus Kurtz ergänzt: „Alle Kinder sollen einmal Hand anlegen und das Gefühl bekommen, mitgebaut zu haben.“

Alle Kinder sollen mal mit Hand anlegen: Bifu Barroso aus Sevilla erklärt, was zu tun ist.
Alle Kinder sollen mal mit Hand anlegen: Bifu Barroso aus Sevilla erklärt, was zu tun ist. © Mark-Christian von Busse

Recetas Urbanas arbeite seit 15 Jahren so, berichtet Martina Helmke, bei der gerade die Dritt- und Viertklässler Ameen, Liya und Jillien ihre Vision einer Brücke aufmalen. Das Kollektiv bietet Workshops zum gemeinsamen Bauen an, manchmal stellt es auch lediglich Baupläne zur Verfügung. In Sevilla, wo die Gruppe zu Hause ist, geht es oft um Schatten spendende Konstruktionen, in Antwerpen ist eine Grünanlage entstanden, in Göteborg ebenfalls ein Spielplatz.

Eingeladen wurde Recetas Urbanas von der Off-Biennale aus Budapest, einer unabhängigen Plattform der ungarischen Kunstszene. Die Off-Biennale gehört zu den 14 Initiativen, die die Künstlerischen Leiter Ruangrupa als „Lumbung-Mitglieder“ ausgewählt haben. In Budapest hat die basisdemokratische Initiative nicht nur inzwischen drei Ausstellungen realisiert, sondern ebenfalls schon Workshops für Kinder organisiert, wie Eszter Lázár von der Off-Biennale berichtet.

Vor der documenta in Kassel: Am Ahoi-Gelände wird an der „Alles-Brücke“ gewerkelt

Vorbild sei die Kinderrepublik „Gaudiopolis“, „Stadt der Freude“, die in den Nachwirkungen des Zweiten Weltkriegs Ende der 1940er-Jahre vom lutherischen Pfarrer Gábor Sztehlo initiiert wurde. Sein Waisenhaus sollte nicht nur Obdach und Versorgung bereitstellen, es ging ihm in seiner „Kinderrepublik“ um demokratische Beteiligung – darum, Kinder zu selbstständigen, selbstbewussten, auch praktisch gut ausgebildeten Menschen zu erziehen.

Für die Off-Biennale ist das heute wieder inspirierend. Das Ziel solle ein „imaginärer Spielplatz“ sein, ein Feld, auf dem die Kinder Ideen einbringen, sich ausprobieren und stolz auf ihre Beteiligung sein können, sagt Eszter Lázár; ohne künstliche 08/15-Spielgeräte wie überall, sondern selbst entworfen, um wirklich Spaß zu haben. Ganz überwiegend sollen Materialien wieder verwendet werden – das Kollektiv hat sich auch aus dem Recycling-Lager der documenta bedient und nutzt beispielsweise alte Schultische als Treppenstufen. Nach dem Ausstellungsende soll die Brücke auch nicht entsorgt werden.

Dabei schafft sie, auch wenn sie nur Schuppen überspannen wird, doch eine Verbundenheit über die Fulda hinweg. Sie verknüpft nämlich die beiden Standorte der Unterneustädter Schule an der Ysenburgstraße und an der Leipziger Straße. Nach dem Ende der documenta wird die Brücke geteilt – jeder Schulhof wird eine Hälfte als Klettergerüst bekommen.

Auch einen Namen haben die Kinder dem Projekt selbst gegeben. Ihr Bauwerk, das mit den Fotos der 240 beteiligten Kinder versehen wird, soll „Alles-Brücke“ heißen. (Mark-Christian von Busse)

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