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Politische Statements in Kunst: documenta-15-Projekte in Göttingen sind eröffnet

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Von: Thomas Kopietz

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Dorle Meyer zeigt den Raum Institute to Remember zum Grauen von Auschwitz von Christoph Heubner und Michele Deodat.
Elf Künstler arbeiten und präsentieren im Göttinger Kunsthaus im Projekt Printing Futures: Dorle Meyer zeigt den Raum Institute to Remember zum Grauen von Auschwitz von Christoph Heubner und Michele Deodat. ©  Thomas Kopietz

Erstmals finden in Göttingen Partnerprojekte der Kasseler Weltausstellung documenta statt. Die Projekte im Kunsthaus und im Forum Wissen sind nun eröffnet.

Göttingen – Kassel ist documenta. Aber Göttingen? Auch! Erstmalig und nach zähen Bemühungen gehört auch Göttingen zur Weltkunstausstellung, ist mit zwei Projekten Partner der documenta 15. Beide starteten – parallel zur großen „15“ am Samstag. Der Eintritt zu den Ausstellungen und Arbeitsräumen im Forum Wissen und Göttinger Kunsthaus ist frei. Sie laufen bis zum 25. September.

„Göttingen ist Niedersachsens Kulturhauptstadt“ griff Oberbürgermeisterin Petra Broistedt (SPD) bei der Eröffnung von „printing futures – art for tomorrow“ verbal ins höchste Regal. Die documenta-Projekte fügten nun die Juwelen zum Schmuckstück hinzu. „Wenn es uns gelingt, dass zehn Prozent der documenta-Besucher in Kassel nach Göttingen kommen, dann ist das ein Riesengewinn“, sagte Broistedt.

Partnerprojekte der documenta 15 in Göttingen sind eröffnet

Gerhard Steidl spricht mit der indischen Künstlerin Dayanita Singh.
Kunst: Gerhard Steidl spricht mit der indischen Künstlerin Dayanita Singh (Mitte) – sie stellt besondere Bücher vor - mit 20 verschiedenen Umschlägen. © Thomas Kopietz

Die Göttinger Projekte seien „echte Wirtschaftsförderung“ und „ein Schub für das neue Kunsthaus und Uni Museum Forum Wissen“. Von Kassel sei es nur ein Katzensprung, zumal günstig mit dem Neun-Euro-Ticket zu haben. „Göttingen liegt so nah“, warb denn auch Alfons von Uslar in seiner Begrüßung.

Broistedt verwies auf die Verdienste von Verleger Gerhard Steidl, der die Vision Kunsthaus im Kunstquartier südliche Innenstadt seit Jahrzehnten verfolgt habe. Und Steidl wollte auch die documenta nach Göttingen holen.

Aber nicht die, die Kurator Herald Szeemann 1972 mit der documenta 5 schuf, einen „Vermarktungsapparat“, wie Steidl in der Eröffnungseinleitung sagte. „Die documenta wurde unter Szeemann zum Sprungbrett für Künstler, um die nächste Stufe der Karriereleiter zu erklimmen. Das wollten wir nicht.“

documenta 15: Kunstprojekte im Kunsthaus Göttingen und Forum Wissen

„Wir“ das waren Steidl und Joseph Beuys. Die beiden begehrten auf. Ihre Protestnote erschien als erstes Steidl-Buch, trug die ISBN-Nummer 1. Die jetzige documenta mit ihrer Ausrichtung auf Nachhaltigkeit und die ursprüngliche Idee des als documenta-Erfinder und Visionär geltenden Arnold Bode, Stadt und Besuchern einen Ausblick auf weltweite, junge Kunst zu ermöglichen, ist die documenta des Gerhard Steidl.

Er hat mit dem Kunsthaus-Team um Dorle Meyer elf internationale Künstler ins Haus geholt, die 100 Tage Werke aus Papier entwickeln und präsentieren. „Dieses Konzept hat die documenta-Macher sofort überzeugt“, sagt Petra Broistedt.

Installation von Jim Dine  „Elektrolyte in Blue“.
Kunsthaus Göttingen: Jim Dine, Installation im Nebenhaus zum Gedicht „Elektrolyte in Blue“. © Thomas Kopietez

Dabei ist auch Weltstar Jim Dine (USA), der gegenüber in einem von Steidl gekauften Altbau eine eindrucksvolle Installation zu seinem Gedicht „Elektrolyte in Blue“ geschaffen hat.

Politische Botschaften in der Kunst: Papier-Recycling, Nationalsozialismus und Auschwitz

Die Engländerin Sofia Karim verwendet für ihre politischen Botschaften in Dhaka gesammelte Papiertüten, die in Straßenküchen verwendet werden. Auf ihnen platziert sie Kommentare und Forderungen zur politischen Situation in Bangladesch – und verteilte diese. Papier-Recycling für politische Botschaften.

Theseus Chan aus Singapur verwendet für sein Projekt „Steidl-Werk No.30“ nur das, was in der Druckerei abfällt. „Ich verwende alles, ob scheinbar nutzlos oder zu wertvoll.“ Chan wird 100 Tage in Göttingen sein, unterbrochen von einer kurzen Ausreise, da er nur ein Touristen-Visum hat. Recycling-Material für Kunst. Auch das passt zur documenta 15.

Die wird von Antisemitismus-Vorwürfen getroffen. Im Kunsthaus wirkt eine Ausstellung dagegen: „Institut to Remember“ heißt der Raum von Christoph Heubner und Michèle Déodat. Sie setzen sich mit dem Nationalsozialismus und Auschwitz auseinander – scheinbar in eigenständigen Beiträgen.

Antwort auf Antisemitismus: „Institute to Remember“

Nicht vergessen, aber auch nicht gleichgültig in der Gegenwart sein: Das sind die Botschaften. Heubner ist Vizepräsident des Int. Auschwitz-Kommittees. Für Steidl ist der Raum „Institute to Remember“ eine Antwort auf Fragen und eine Antwort auf Leute, die antisemitisch sind.

An der Wand im Kunsthaus-Foyer prangt passend der Beuys-Spruch „Wer nicht denken will, fliegt raus.“ Kunst sei nicht politisch sagt Steidl. Ist sie doch.

Drastische Fotos zeigt Maya Mercer (USA) im Kunsthaus Göttingen.
Armes, dürres Amerika: Drastische Fotos zeigt Maya Mercer (USA) im Kunsthaus Göttingen – dazu gibt es eine Video-Installation und Verse des deutschen Dichters Albert Ostermeier. © Thomas Kopietz

Das gilt auch für die Ausstellung der US-Fotografin von Maya Mercer, die schlimme Lebens- und Gesellschaftszustände im bitterarmen Yuba County in Nordkalifornien am Beispiel junger Mädchen zwischen Gewalt, Drogen und Perspektivlosigkeit aufzeigt – in mit rotem Skryptol eingefärbten Kunst-Dokumentar-Fotos.

Kunst in der Performance: Foto-Show, Texte, Musik, Gesang und Lyrik

Albert Ostermeier mit Gedichten zu den Fotos von Maya Mercer.
Lyrik: Albert Ostermeier mit Gedichten zu den Fotos von Maya Mercer. © Thomas Kopietz

Bei der Performance „Yuba – Ring of Fire“ mit Foto-Show, Texten, Musik und herausragenden Gesang kam all das mitreißend zur Geltung. Düster. Dokumentarisch. Anklagend. „Politisch bin ich nicht“, sagt Mercer. Ihre Kunst ist es doch. Der Lyriker Albert Ostermeier hat zu mehr als 100 Fotos je ein Gedicht geschrieben.

Politisch ist auch die Ausstellung im Forum Wissen: Es geht um die Ausbeutung von Boden für Ölplantagen in Jambi auf Sumatra. Es geht um das Zusammentreffen von wirtschaftlichen Interessen, Zerstörung der Biodiversität und die Arbeit von Forschern der Uni Göttingen um Prof. Alexander Knohl.

Herausragend geschmückt wird alles von den themenbezogenen Objekten der Künstlergruppe Rumah Budaya Sikukeluang aus Indonesien zum Thema Nachhaltigkeit. „Wir würden nie einen Baum fällen, Früchte ernten ja, aber nicht fällen“, sagt Adhari Donara. Fotos und Filme zeigen kahl geschlagene Flächen. Im Sinne von Adhari Donara ist das nicht.

Das Projekt Saujana Mambumi im Göttinger Forum Wissen.
Forum Wissen: Projekt Saujana Mambumi. © Thomas Kopietz

Alexander Knohl betont, dass die Forscher viel von den Arbeitskreisen mit den indonesischen Künstlern gelernt hätten. Auch das ist im Sinne der Kasseler documenta 15. (Thomas Kopietz)

Partnerprojekte der documenta 15 in Göttingen

Forum Wissen (Berliner Str. 28) und Kunsthaus (Düstere Str. 7) liegen in Bahnhofsnähe. Eintritt frei. Kunsthaus Mittwoch - Sonntag ab 11 Uhr; Forum-Wissen, Dienstag bis Samstag, Sonntag von 10 – 18 Uhr. Umfangreiches Rahmenprogramm. Infos unter kunsthaus-goettingen.de und forum-wissen.de.

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