1. Startseite
  2. Kultur
  3. documenta

documenta-Halle: Wajukuu Arts Project schafft für Kinder im Slum eine Perspektive

Erstellt:

Von: Bettina Fraschke

Kommentare

In der documenta-Halle: Shabu Mwangi (links) und Ngugi Waweru (rechts) mit ihren Kollegen vom Wajukuu Art Project.
In der documenta-Halle: Shabu Mwangi (links) und Ngugi Waweru (rechts) mit ihren Kollegen vom Wajukuu Art Project. © pia malmus

Wir stellen das Wajukuu Arts Project der documenta 2022 in Kassel vor. Es beschäftigt sich mit Kindern in Kenia.

Kassel – Wo kann der Mensch einfach Mensch sein? Er braucht einen Ort dazu. Einen Ort, an dem er nicht, wie sonst so oft, Konsument oder Arbeitskraft ist und somit im Dienste des Kapitalismus steht. Dies ist eine Kernerkenntnis für Ngugi Waweru und seine Künstlerkollegen vom Wajukuu Art Project aus Kenia. Sie schöpfen aus eigener Erfahrung. Als sie ganz jung waren, konnten sie sich kaum treffen in ihrer Heimat, dem Slum Mukuru in Nairobi. Die Nachbarschaft ist unsicher, man wird ausgeraubt, oder von der Polizei wegen kleinster Vergehen aufgegriffen. Gewalt war an der Tagesordnung.

Als Heranwachsende schufen sie vor etwa 17 Jahren für sich einen Ort, das Wajukuu Art Project war geboren. Das tragen sie jetzt in die Gemeinschaft, zur nächsten Generation. Bei ihnen kann künstlerisch gearbeitet werden, es gibt Unterricht, neuestes Projekt, so Shabu Mwangi, ist ein kleiner Garten. Eine richtige Oase mit Schatten, in der aber auch Gemüse angebaut werden soll, die Kinder – etwa 100 kommen derzeit – können dann auch mal etwas Frisches essen.

Das ist sonst schwierig, in der extremen Armut des Slums mit 700.000 Einwohnern. „Wir haben heute drei Mahlzeiten – das zeigt mir, was für einen weiten Weg wir gekommen sind“, sagt Mwangi. Sie wollen aber in der Community ringsum auch die Idee verankern, dass sich alle um den Garten kümmern, etwa jetzt, wo sie selbst in Kassel sind.

Wenn die Künstler aus den Fenstern der documenta-Halle schauen, sehen sie Park. Blumen, Grün, einfach für die Schönheit angepflanzt. Welcher Kontrast, sagen sie. Sie erinnern sich noch genau, wie die künstlerische Leitung der documenta, Ruangrupa, mit ihnen Kontakt aufgenommen hat: „Die Einladung nach Kassel hat unseren Blick darauf, was wir tun und wer wir sind stark verändert“, sagt Ngugi Waweru.

Den Spirit von Wajukuu möchten sie gern nach Kassel tragen: Sie wollen Besucher in der documenta-Halle ebenso willkommen heißen, wie in ihr Zuhause. Dafür haben sie Wellbleche befestigt, das allgegenwärtige Baumaterial Mukurus. Durch einen Tunnel gelangt man in ihre Welt, in dieser Schleuse läuft ein Tonband mit Sounds, die sie in ihrer Heimat auf den Straßen aufgenommen haben.

Ziel ist, mit den Besuchern ins Gespräch zu kommen, und ihnen über ihre Raumgestaltung und ihre Kunst zu ermöglichen, ihre Anliegen zu verstehen. Vom „Besuch zuhause“ kommt Ngugi Waweru schnell auf die Frage zu sprechen: „Was repräsentiert uns, wer repräsentiert uns, und wie?“ Afrika sei nur dann ein Entwicklungsland, wenn man es mit anderen Ländern vergleiche, ergänzt Shabu Mwangi. In Europa würde der Kontinent stets mit Armut in Verbindung gebracht, „wir wollen nicht Armut ausstellen, wir wollen zeigen, was unser Weg zu leben ist“.

Nötig sei ein Austausch, der Gedanke, dass beide Seiten einander etwas zu geben haben. „Niemand ist ohne Gaben geboren.“ Das heißt für das Kollektiv auch: „Change the narrative“, die Erzählung zu ändern. Das ist ihr großes Anliegen, so Mwangi. „Wir möchten, dass die Besucher unsere Stärke und Schönheit sehen“, zum Beispiel auch im Wellblech. Es sei der typisch europäische Blick, dies Material mit Armut zu assoziieren.

Das Wajukuu Art Collective hat sich außerdem zum Ziel gesetzt, Wunden des kolonialen Erbes aufzuarbeiten. Die Künstler erleben bis in ihre Generation hinein, dass kulturelle Traditionen, spirituelle Verbindungen verloren gegangen sind. Das Sprichwort „Majuto ni mjukuu huja baadae“ auf Suaheli bedeutet, dass die Taten der Großeltern und Eltern von der nächsten Generation gefühlt werden. In diesem Sinn suchen die Künstler Heilung, wollen sich gegen den „neuen Kolonialismus“ stemmen, den sie im Land erleben. Mit einem generationenübergreifenden Storytelling-Projekt arbeiten sie daran, Geschichten lebendig zu halten.

Dafür sei es nötig, den Begriff der Kunst neu zu definieren, sagen sie. „Früher war es für Menschen ein normaler Teil ihres Lebens, etwas kreativ zu gestalten , sagt Ngugi Waweru. Das gelte für alle Kulturen, auch die europäische. Immer mehr wurde sie zur Ware, zu einem Ding für die Eliten. Wajukuu mit seinem gemeinschaftlichen Ansatz will das ändern, will Kunst wieder zu einer Selbstverständlichkeit machen, zu einer Sprache, in der Menschen sich ausdrücken können. Künstler können hier Vorbilder sein, sagt Shabu Mwangi, „durch unsere Arbeit sind wir eng verbunden mit unseren Emotionen“.

Auch interessant

Kommentare