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Wissenschaftler verteidigen documenta und warnen vor Zensur durch Experten

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Von: Matthias Lohr

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Erst verhüllt, dann abgebaut: Banner „People’s Justice“ von Taring Padi auf dem Friedrichsplatz. Archi
Erst verhüllt, dann abgebaut: Banner „People’s Justice“ von Taring Padi auf dem Friedrichsplatz. © Andreas Fischer

Der Politologe Werner Ruf und andere Wissenschaftler verteidigen die documenta mit einem Offenem Brief vor Vorverurteilungen. Das Expertengremium sehen sie kritisch.

Kassel – Am Montag entdeckte der Politikwissenschaftler Werner Ruf auf der documenta ein Kunstwerk und wunderte sich, dass dies noch keine Schlagzeilen gemacht hat. Im Hallenbad Ost fotografierte der 85-Jährige ein Motiv des indonesischen Kollektivs Taring Padi, das unter anderem Islam, Judentum und Christentum friedlich vereint. „Wenn das keine Völkerverständigung ist. Aber so etwas sehen die Antisemitismusjäger ja nicht“, sagte Ruf der HNA.

Wenige Tage zuvor hatte der langjährige Professor der Kasseler Universität mit dem Ethnologen Ingo Wandelt und dem Sozialwissenschaftler Rainer Werning einen Offenen Brief „an den documenta-Aufsichtsrat, die Bundesregierung und die Medien“ veröffentlicht, der überschrieben war mit der Frage: „Ist die documenta noch zu retten?“ In dem Text verteidigen die Autoren die Kunstschau gegen Kritiker, die die documenta „politisch instrumentalisieren beziehungsweise sie als antisemitisch denunzieren“.

Seinen Brief veröffentlichte das Trio im Blog Nachdenkseiten des ehemaligen SPD-Bundestagsabgeordneten Albrecht Müller. Laut Kritikern erscheinen auf dem Portal seit 2015 auch Verschwörungstheorien, etwa zu Corona und zum Ukraine-Krieg. Der documenta-Brief erhielt viel Lob, wie Ruf sagt, der in Edermünde lebt. Mittlerweile gibt es den Text auch als Petition auf der Plattform Change.org, wo ihn mehr als 400 Menschen unterschrieben haben.

Ruf, Wandelt und Werning sind besorgt, dass die documenta „womöglich das letzte Mal in ihrer gewohnten Art stattfindet“, wie sie schreiben. Wie schon die Kuratoren von Ruangrupa und viele documenta-Künstler kritisieren sie „laute Rufe nach Beschneidung der Kunstfreiheit und Zensur“. Und sie zitieren den israelischen Soziologen Moshe Zuckermann, der angesichts der international unterschiedlichen Reaktionen auf die Antisemitismus-Vorwürfe von einem „rein deutschen Eklat“ spricht.

Für Ruf, Wandelt und Werning ist auch das längst abgebaute Taring-Padi-Banner „People’s Justice“ nicht antisemitisch. So stehe das Schweinsgesicht mit einem Mossad-Helm in einer Reihe von ähnlich behelmten Figuren mit Kürzeln wie KGB und CIA, die „in ihrer Gesamtheit für internationale Geheimdienste stehen“.

Und angesichts des Mannes mit Haifischzähnen und SS-Runen am Hut fragen sie: „Steht das etwa für den ,hassenswerten, raffgierigen Juden’ oder einen gewieften Makler, der symbolhaft das Finanzkapital repräsentiert, das die Reichtümer und Bodenschätze der Länder der ,Dritten Welt’ an der Börse verhökert?“

Dabei sind sich zumindest bei der zweiten Abbildung eigentlich alle einig, dass das Motiv antisemitisch ist. Die Autoren indes sehen in der Kritik an der documenta „einen gefährlichen Cocktail aus Vorverurteilungen, hasserfüllter Ablehnung, zutiefst reaktionären Reaktionen, politischem Opportunismus und Vandalismus gemixt“. Offenbar sei man hierzulande nicht bereit für einen Blick des Globalen Südens auf die Welt.

Den Aufsichtsrat fordern Ruf und Co. auf, alles zu tun, „dass gesittete Umgangsformen und eine den Namen verdienende Dialogkultur die verbleibende Zeit der documenta 15 prägen“. Im gerade vorgestellten Expertengremium vermisst Ruf einen Südostasienwissenschaftler: „Mir erschließt sich das ganze Gremium nicht.“ Wenn es mitentscheiden wolle, wie es gerade noch einmal klargestellt hat, sei das Zensur. (Matthias Lohr)

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