Karin und Hansjörg Melchior sind seit 1955 mit der documenta verbunden

Das Ehepaar Karin und Hansjörg Melchior hat alle 15 documenta-Ausstellungen besucht.
Kassel – Es gab einen Tipp. Und zwar nach der Berichterstattung über die 91-jährige Helga Seibert aus Kassel, die bislang alle 15 documenta-Ausstellungen gesehen hat. Auch auf das Ehepaar Karin und Hansjörg Melchior treffe das zu. Und in der Tat: Der 85-jährige ehemalige Chefarzt der Urologie am Klinikum und die 80-jährige Galeristin sind von Anfang an dabei. „Wir haben auch diesmal eine Dauerkarte“, sagt Karin Melchior.
Sie kam Anfang der 1950er-Jahre vom Tegernsee nach Kassel. Hier hatte ihr Vater eine neue Stelle als Arzt und die Familie die große Aufgabe, eine im Krieg beschädigte Villa an der Terrasse wieder herzurichten. „Kassel war damals noch eine Ruinenlandschaft“, erinnert sich die gebürtige Münchnerin. Die Aufbauarbeit hat sich gelohnt, sie und ihr Mann wohnen heute noch in dem schönen elterlichen Haus mit toller Aussicht.
Ihre Mutter sei schon früh mit Kunst in Berührung gekommen, habe die Kunstgewerbeschule in München besucht und sich natürlich auch für die documenta interessiert. Die damals 13-jährige Tochter ebenfalls. Schon für die erste Ausstellung hatte die Schülerin des Friedrichsgymnasiums eine Dauerkarte.
Ihren Mann hat sie erst einige Jahre später kennengelernt. Hansjörg Melchior ist in Kassel aufgewachsen und mit den Kindern von documenta-Gründer Arnold Bode in die Schule gegangen. Die Künstlerin Nele und der bereits verstorbene Architekturkritiker Peter sah er fast täglich. Die Eltern waren befreundet. „Ich bin bei Bodes ein- und ausgegangen, andersherum war es genauso,“ sagt Hansjörg Melchior.

Er stand 1955 kurz vor dem Abitur und war oft bei Gesprächen dabei, in denen es unter anderem um die Finanzierung ging. Wen könne man ansprechen, wie das Land Hessen einbinden. Da half es schon mal, dass sein Vater als Kinderarzt auch den Nachwuchs von Ministerpräsident Georg August Zinn betreute. Der arbeitete nach dem Krieg als Jurist in Kassel, die Familie lebte 1955 noch am Mulang. Durch den persönlichen Kontakt sei es leichter gewesen, Überzeugungsarbeit zu leisten.
Die Bundesgartenschau 1955 in Kassel sei die einmalige Chance gewesen, auch eine Ausstellung mit moderner Kunst zu präsentieren. Große Aufbruchstimmung habe damals geherrscht. Für die Vorbereitung der ersten documenta sei die gesamte Familie Bode eingebunden gewesen. Neben Arnold Bode auch dessen Bruder Paul, der als Architekt schon das Hotel Hessenland und das Capitol-Kino wieder aufgebaut hatte. Das immer noch beschädigte Dach des Fridericianums habe der Schreinerbruder Egon Bode repariert.
Bis heute sei er dem Maler Carl Döbel dankbar, der Mitglied in dieser Vorbereitungsrunde war. Der habe ihn immer wieder zum Kasseler Kunstverein mitgenommen und ihn auch mit der modernen Kunst vertraut gemacht, sagt Hansjörg Melchior.

Die Ausstellungen unter anderem noch in und vor der stark beschädigten Orangerie, die Ablösung Arnold Bodes als documenta-Leiter, der Wandel in der Wahrnehmung vom Fremdkörper zu einem Stück von Kassel: Das alles haben Karin und Hansjörg Melchior als Ehepaar gemeinsam erlebt. Von Picassos Mädchen im Spiegel, den Skulpturen vor der Orangerie bis zu Joseph Beuys.
Besonders angetan war und ist Karin Melchior von der Pop-Art. Die aktuelle Ausstellung kennen sie natürlich. Auch über persönliche Kontakte. Seit Mai haben sie die Einliegerwohnung in ihrem Haus für die documenta zur Verfügung gestellt. Es sei schade, dass die sehenswerte Ausstellung völlig von der politischen Diskussion überlagert werde, sind sie sich einig. Und gespannt darauf, wie das mit etwas Abstand in einigen Jahren bewertet wird.