Leiter Szymczyk: documenta 14 findet auch in Athen statt

Kassel. Adam Szymczyk, künstlerischer Leiter der documenta 14 im Jahr 2017, wählte den Hörsaal der Kasseler Kunsthochschule, um wegweisende Neuigkeiten mitzuteilen und sein 15-köpfiges Team vorzustellen.
Die größte Überraschung: Die documenta, die der 44 Jahre alte Pole verantwortet, wird gleichberechtigt in Athen und in Kassel stattfinden. In Athen soll im April, in Kassel im Juni 2017 eröffnet werden.
„Anstelle eines einzigen Spektakels mit einem festen Ort und einer klaren zeitlichen Struktur, wie sie für internationale Großausstellungen charakteristisch sind, wird die documenta 14 zwei Durchläufe umfassen, die sich zeitlich und räumlich in einem dynamischen Gleichgewicht befinden“, heißt es in der Pressemitteilung der documenta.
Szymczyk trug vor den Studierenden und Dozenten der Hochschule - seine Vorgängerin Carolyn Christov-Bakargiev hatte noch die Bühne des Berliner Theaters Hebbel am Ufer für eine vergleichbare Präsentation gewählt - das Konzept vor, mit dem er voriges Jahr die Berufskommission
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überzeugt hatte. Darin verortet Szymczyk „seine“ documenta in der Geschichte der documenta seit 1955 - die erste, Harald Szeemanns documenta 1972 und die von Catherine David 1997 sieht er als entscheidende Weichenstellungen an.
1955, bei der ersten documenta, sei es das dringliche Anliegen von Arnold Bode gewesen, nach dem Krieg an die unterbrochene Entwicklung der Kunst anzuschließen. Damals sei Kassel eine Art Frontstadt im Kalten Krieg gewesen, in dem die Kultur hell habe strahlen sollen. Heute, so Szymczyk scheine es so, „das Leben findet anderswo statt.“
Nun, meint Szymczyk, ist es Zeit für einen Blickwechsel, für eine völlige Transformation der documenta durch einen Ortswechsel. Er glaube sowieso nicht an eine Identität, die sich nur aus einer lokalen Verwurzelung mit einem bestimmten Ort speist: „Das Bild erweitert sich, wenn eine andere Stadt ins Spiel kommt.“
Kassel soll von der reinen Gastgeberrolle wegkommen, sich als Gast dem Fremden stellen, um sich selbst und die Welt besser zu verstehen - und mit Athen zusammenarbeiten. Künstler sollen sowohl in Kassel als auch in Athen tätig sein. So soll die documenta jene Dringlichkeit wiedergewinnen, die das Anliegen Bodes ausgezeichnet habe.
Denn mit Athen wählt Szymczyk eine Stadt, die ein besonderer Schauplatz der anhaltenden ökonomischen Krise Europas ist. Er nennt Athen „Sinnbild für eine sich rapide verändernde globale Situation.“ Die Stadt „verkörpert die wirtschaftlichen, politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Dilemmas, mit denen sich Europa heute konfrontiert sieht - ähnlich wie Kassel 1955 für die Notwendigkeit stand, mit dem Trauma der Zerstörung, das der Nationalsozialismus in Deutschland mit sich gebracht hatte, umzugehen.“
Dabei lautet sein Arbeitstitel für die documenta 14 aber „Von Athen lernen“. Es geht darum, gerade herauszufinden und zu besichtigen, welche Solidarität und Überlebensmechanismen in der Krise helfen. Ihn interessieren alle Anstrengungen, die Krise zu überwinden, also die Graswurzel-Bewegungen und Gemeinschaften, die sich etwa der grassierenden Korruption verweigern, die versuchen, etwas Neues aufzubauen.
Szymczyk machte deutlich, dass seine documenta nicht wie ein Ufo (oder wie etwa die Olympischen Spiele) in der griechischen Hauptstadt einfallen und dann wieder verschwinden soll. Er setzt vielmehr - so wie in Kassel auch - auf die Zusammenarbeit mit bereits bestehenden kulturellen Initiativen und Projekten, „die es schaffen, in schwierigen Zeiten zu überleben“. Diese Institutionen will er unterstützen, ihnen durch die Kollaboration auch Zutrauen vermitteln. Er werde keine leerstehenden Industrieareale nutzen, sie eine Zeitlang mit Kunst bespielen und dann als Ruinen hinterlassen, versicherte er. Er versteht Athen aber als „Labor“, als Raum für Experimente der documenta.
Syzmczyk versteht seine Entscheidung für Athen nicht als grundlegend für künftige Ausstellungen: „Das ist ein Zeichen dieses spezifischen Teams.“ Die documenta solle deshalb nicht immer zur Wanderausstellung werden. Schon 2012 hatte Christov-Bakargiev eine Ausstellung in Kabul präsentiert und in anderen „Außenstellen“ wie Alexandria Symposien organisiert. Gefragt, wie er damit umgehe, dass nicht alle Besucher nach Athen reisen könnten, erwiderte Szymczyk: „Es gehört zum Leben, dass man nicht alles haben und sehen kann.“
Eine andere Frage zielte darauf, dass Szymczyk ausschließlich weiße Europäer und Nordamerikaner in sein Team geholt habe. „Das tut mir leid“, sagte Szymczyk, das habe praktische Gründe, um eine Ausstellung in Athen auf die Beine zu stellen (drei Teammitglieder sind Griechen), alle bemühten sich um ein breites und unterschiedliches Profil. Er habe auch nichts von so einer symbolischen „theatralischen Geste“ gehalten: „Ich muss mir selbst vertrauen. Ich habe mich so weit verbogen, wie ich konnte.“
Bei der Präsentation seines Teams und Konzepts zeigte Szymczyk wieder seinen trockenen Humor. Er sei ja frei gewesen, sein Konzept nach der Berufung zum künstlerischen Leiter noch einmal komplett auf den Kopf zu stellen, sagte er. Dazu habe er aber keine Kapazitäten gehabt. Und: „Es ist herausfordernd genug, um uns alle beschäftigt zu halten.“
Das ist das Team der documenta 14
Diese Kuratoren und Publizisten werden Adam Szymczyk, den künstlerischen Leiter der documenta 14, unterstützen:
• Pierre Bal-Blanc: Der Franzose ist unabhängiger Kurator und Direktor des Contemporary Art Center in Brétigny, s/Orge bei Paris. Im Museion Bozen betreut er als Gastkurator die Themenausstellung 2014, die im September eröffnet wurde. 2012 hatte Rein Wolfs von Kassel aus diese Aufgabe.
• Marina Fokidis: Die Kuratorin und Autorin ist Initiatorin und künstlerische Leiterin der Kunsthalle Athena. Dort werden seit 2010 Ausstellungen, Workshops, Performances und Talks präsentiert. Von 2000 bis 2008 war Fokidis Co-Direktorin von Oxymoron, einer Non-Profit-Organisation, die sich für die Förderung zeitgenössischer bildender Kunst in Griechenland und international einsetzt. 2012 gründete sie das Kunstmagazin South As a State of Mind. Fokidis war eine der Kuratorinnen der 3. Biennale in Thessaloniki (2011), Beauftragte und Kuratorin des Griechischen Pavillons bei der 51. Biennale Venedig (2003) und eine der Kuratorinnen der ersten Tirana Biennale (2001).
• Hendrik Folkerts: Er war bis 2010 Kurator für Performance, Film and Discursive Programs am Stedelijk Museum in Amsterdam.
• Henriette Gallus: Leiterin der Abteilung Kommunikation. Als Pressesprecherin war sie schon bei der documenta 13 dabei. Von 2009 bis 2011 war sie Leiterin der Abteilung Presse und Veranstaltungen des Blumenbar Verlags, wo sie auch im Lektorat tätig war. Sie organisierte die Öffentlichkeitsarbeit des Verlags Rogner & Bernhard und zuletzt für die dritte Ausgabe des Berlin Documentary Forum (2014) am Haus der Kulturen der Welt in Berlin für die internationale Pressearbeit verantwortlich. Außerdem betreute die Redaktion der Veröffentlichungen und das Magazin zur Veranstaltungsreihe.
• Annie-Claire Geisinger: Zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit der The George Economou Collection in Athen, vorher am Centre Pompidou-Metz. Sie arbeitete von 2008 bis 2010 im Bureau des Arts Plastiques der Französischen Botschaft, Berlin.
• Quinn Latimer: amerikanische Autorin und Kritikern, die, so wie Adam Szymczyk, in Basel lebt. Latimer schrieb Rumored Animals (2012), Sarah Lucas: Describe This Distance (2013) und Film as a Form of Writing: Quinn Latimer Talks to Akram Zaatari (2014). Sie veröffentlicht regelmäßig in Artforum und ist mitwirkende Lektorin von frieze, ihre Texte erschienen in Künstlermonografien und kritischen Sammelbänden.
• Andrea Linnenkohl: Assistentin des künstlerischen Leiters, sie war Kuratorin in der Kunsthalle Fridericianum zu Zeiten von Direktor Rein Wolfs und gehörte bereits dem Team der documenta 13 an.
• Hila Peleg: In Berlin lebende Kurator and Filmemacherin. She ist Gründer und künstlerische Leiterin des interdisziplinären Festivals Berlin Documentary Forum am Haus der Kulturen der Welt. Peleg war Kokuratorin der Manifesta 7 (Trentino-Alto Adige/Südtirol 2008) und kuratiert zurzeit das Filmprogramm für die 10. Schanghai Biennale (2014).
• Christoph Platz: Leiter der Ausstellungsabteilung - war auch schon bei der d13 dabei. Der Kunsthistoriker, Projektmanager und Produzent arbeitete für die Kunsthalle Münster, den Westfälischen Kunstverein und die Skulptur Projekte Münster 07. . Er hat über die Entwicklung des Kunstvereins im Nachkriegsdeutschland das Buch Kunstverein im Umbruch (2011) veröffentlicht sowie zu Künstlern wie Franz Erhard Walther, Jeremy Deller, Prinz Gholam, Nedko Solakov, Sofia Hultén und Wade Guyton publiziert.
• Dieter Roelstraete: Dieter Roelstraete ist Manilow Senior Curator am Museum of Contemporary Art in Chicago, wo er zuletzt The Way of the Shovel: Art as Archaeology (2013) und Simon Starling: Metamorphology (2014) kuratierte. Von 2003 bis 2011 war er Kurator am Museum für zeitgenössische Kunst in Antwerpen (MuHKA).
• Fivos Sakalis: Journalist und Kommunikationsberater. Er arbeitete einige Jahre auf dem Gebiet des Konsumentenmarketings, ehe er sich zum Wechsel ins Feld der Kunst entschloss. Von 1998 bis 2002 arbeitete für die DESTE Foundation for Contemporary Art in Athen als Presse- und PR-Beauftragter. Anschließend hat er als Kommunikationsberater für wichtige griechische Kunstinstitutionen gearbeitet, darunter das National Museum of Contemporary Art und die Gagosian Gallery, beide in Athen. Von 2009 bis 2011 leitete er die Presseabteilung der Art-Athina, der Internationalen Kunstmesse Athens.
• Katrin Sauerländer: Die Kunsthistorikerin arbeitet als Redakteurin und Lektorin von Publikationen zur zeitgenössischen Kunst. Wissenschaftliche Assistentin am Museum Ludwig Köln, verantwortlich am Kunstverein in Hamburg für die Bereiche Presse und Publikationen, Mitarbeiterin des Verlags Revolver Archiv für aktuelle Kunst in Frankfurt. 2008/2010 war sie Managing Editor der 5. und 6. Berlin Biennale, von 2010 bis 2012 betreute sie als Managing Editor die Publikationen der documenta 13.
• Monika Szewcyzk kuratiert zurzeit das Visual Arts Program am Reva and David Logan Center for the Arts an der University of Chicago, wo sie auch an den Fachbereichen Visual Arts und Kunstgeschichte lehrt. Zuvor war sie Head of Publications am Witte de With Center for Contemporary Art in Rotterdam (2008 bis 2011), Assistant Curator an der Vancouver Art Gallery (2004 bis 2007) und Ausstellungskoordinatorin an der Morris and Helen Belkin Art Gallery Downtown Satellite der University of British Columbia in Vancouver.
• Katerina Tselou: Von 2007-2008 arbeitete sie als Ausstellungskoordinatorin und zuständig für international Beziehungen sowie Filmdistribution am Argos, Centre for Art and Media in Brüssel. Von 2009-2013 war sie Kuratorin für visuelle Kunst am National Theatre of Greece. Sie war Co-Kuratorin und Koordinatorin des kuratorischen Teams der 4. Athens Biennale im Jahr 2013.
Von Mark-Christian von Busse