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Pressekonferenz zum Start der documenta fifteen im Auestadion Kassel

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Von: Mark-Christian von Busse

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Die Pressekonferenz zur documenta fifteen im Kasseler Auestadion am 15. Juni 2022.
Die Pressekonferenz zur documenta fifteen im Kasseler Auestadion am 15. Juni 2022. © Andreas Fischer

Die Pressekonferenz zur documenta fifteen leitete am Mittwoch den Auftakt zur Preview ein. Wir waren bei der Veranstaltung im Kasseler Auestadion dabei.

Kassel – Möge das Kunstfest beginnen: Mit einer fröhlichen, ja fast ausgelassenen Pressekonferenz im Kasseler Auestadion haben am Mittwoch die Preview-Tage der documenta fifteen begonnen – Ausdruck auch der Erleichterung, dass die Ausstellung nach über zwei Jahren Corona-Pandemie tatsächlich stattfinden kann.

Geprägt war die Pressekonferenz (Video hier verfügbar) mit hunderten Besuchern vom Jubel der zahlreichen Teilnehmer an der Weltkunstschau für deren Künstlerische Leitung, das indonesische Künstlerkollektiv Ruangrupa. Am Samstag, 18. Juni, öffnet die Ausstellung, die bis zum 25. September dauert, für das Publikum.

Kassels Oberbürgermeister Christian Geselle nahm auch zu den Antisemitismus-Vorwürfen gegen die documenta fifteen Stellung. Den Ausstellungsmachern war, auch durch die Teilnahme des palästinensischen Künstlerkollektivs The Question of Funding, eine Nähe zur BDS-Bewegung (für Boykott, Desinvestion, Sanktionen) unterstellt worden, die einen wirtschaftlichen und kulturellen Boykott Israels fordert.

Geselle nannte die Diskussion voller vorschneller Urteile „medial aufoktroyiert“. Er appellierte, genau hinzuschauen: Es würden Fragen diskutiert, die bei der Ausstellung überhaupt nicht zur Debatte stünden. An einer ganz klaren Haltung gegen Antisemitismus und am Existenzrecht Israels könne es aus der historischen Verantwortung Deutschlands heraus gar keine Zweifel geben.

Die Pressekonferenz zur documenta fifteen im Kasseler Auestadion am 15. Juni 2022.
Performance des auf Sumatra geborenen Künstlers Agus Nur Amal, der unter dem Namen Pmtoh bekannt wurde. © Andreas Fischer

Geselle, der auch Aufsichtsratsvorsitzender der documenta und Museum Fridericianum gGmbH ist, betonte gleichzeitig die Bedeutung der Kunstfreiheit als eines der wichtigsten Grundrechte. Er stellte sich schützend und voller „Fürsorge“ vor die documenta. Ihre DNA und Besonderheit sei die künstlerische Freiheit: „Dafür streiten und dafür kämpfen wir.“

Hessens Kunst- und Wissenschaftsministerin Angela Dorn sagte, antisemitische Ressentiments dürften auf der documenta ebenso wenig einen Platz haben wie rassistische Anfeindungen und Bedrohungen. Dorn, die stellvertretende documenta-Aufsichtsratsvorsitzende, warb für die Ausstellung als Ort des Dialogs, zwar auch von kontroversen und hitzigen Debatten, aber für Differenzierungen statt Schwarz-Weiß-Malerei.

documenta-Generaldirektorin Sabine Schormann ging mit nur einem Satz auf die Antisemitismus-Vorwürfe ein: Die Debatte gehe von Anfang an „am Kern des Konzepts vorbei“.

Schormann skizzierte dieses Konzept des gemeinschaftlichen Teilens – mit der Metapher der Reisscheune (Lumbung) – und die Entstehung der documenta in einer prägnanten Einführung. Sie beschrieb die documenta fifteen als einen nie abgeschlossenen, vielfältigen und ergebnisoffenen Prozess, der Verbundenheit und Vertrauen schaffen solle. Ruangrupa stehe dem Gedanken des Genies, dem westlichen Kunstmarkt und Institutionen überhaupt skeptisch gegenüber.

Die Pressekonferenz zur documenta fifteen im Kasseler Auestadion am 15. Juni 2022.
Pressekonferenz zur documenta fifteen: Kassels Oberbürgermeister Christian Geselle (von links), Hessens Kunst- und Wissenschaftsministerin Angela Dorn und documenta-Generaldirektorin Sabine Schormann. © Andreas Fischer

Diese Strukturen aufzubrechen, „hierin zeigt sich die Radikalität, von hier aus erschließt sich die documenta fifteen“ – von der Einladung an die Künstler bis zur Infrastruktur, bei der von der Verpflegung bis zur Barrierefreiheit der Nachhaltigkeits- und Solidargedanke immer mitgedacht werde. Es zählten Solidarität, Teilhabe und Gemeinwohlorientierung statt Individualität, Profitgier und Machtstreben.

Im Mittelpunkt stünden nicht Kunstwerke, erläuterte Schormann, sondern kollektives Arbeiten: statt zu kooperieren, um Kunst zu schaffen, gehe es um die „Kunst der Kooperation“. Wie bei einem Schneeball, der zur Lawine werde, gebe es inzwischen mindestens 1500 Beteiligte an der documenta, die sich auf 32 Standorte mit 30 000 Quadratmeter Fläche verteile. Bislang hätten sicher 5000 Menschen am Entstehen der Ausstellung mitgewirkt.

Viel Jubel gab es auch, als Schormann dem Team dankte: für Leidenschaft, Beharrlichkeit, Konsequenz und Kompromissbereitschaft. Und für den nie versiegenden Glauben an das Gelingen. In diesen ständig wachsenden, lernenden und sehr bereichernden Prozess könnten sich nun auch die Besucher einbringen. Das Schiff sei mit der mitgebrachten Ernte erst einmal in den Hafen eingelaufen: „Die Reise wird ab Oktober weitergehen.“

„Wir freuen uns darauf, die Welt in Kassel zu Gast zu haben“, sagte OB Geselle. Er würdigte die Pionierleistung von Ruangrupa, nicht etablierte Pfade zu beschreiten, sondern neue Orte zu entdecken und wiederzubeleben: „Wunderbar, was Ihr Kassel voller Lebensfreude und Begeisterung bereitet habt, wie Ihr Kassel nach vorn gebracht habt.“

Jede documenta stelle infrage, wie wir die Welt sehen, sagte Angela Dorn. Die Ministerin hob ebenfalls hervor, dass Ruangrupa voller Mut und Zuversicht ein radikales Gegenkonzept zum europäischen Verständnis einer Kunstausstellung umsetze: Es gelte nicht das einzelne Werk, sondern der Prozess, die Vision, der Austausch und das Miteinander.

Ruangrupa hätten Möglichkeiten geschaffen, globale Perspektiven lokal zu verwurzeln, sagte Dorn. Und wenn wir uns heute im Westen fragten, ob die Welt aus den Fugen geraten sei, könne man im globalen Süden antworten: „Ist sie das nicht schon immer gewesen?“

Das neunköpfige Team von Ruangrupa und die fünf Mitglieder des Künstlerischen Teams kamen in einem Gespräch mit Pablo Larios, Herausgeber des documenta-Handbuchs, zu Wort. Sie beschrieben ihre Vorgehensweise, wie die documenta Beziehungen schaffen und Wirkungen bis weit über die eigentliche Ausstellung hinaus entfalten soll.

Für beste Stimmung sorgten auch ein Film mit Musik über den Lumbung-Begriff „Harvest“ – die Ernte des gemeinsamen Arbeitsprozesses – und eine umjubelte Performance des indonesischen Künstlers Agus Nur Amal PMTOH, der sich mit Kasseler Schulkindern über die Situation der Fulda in 100 Jahren ausgetauscht hatte und davon im Sprechgesang berichtete, wobei er durch eine Art Papp-TV-Bildschirm schaute und Plastikgegenstände auf Stäbe steckte.

Die düstere Vision der Kinder: Die Fulda könnte vermüllt werden. Die documenta fifteen dagegen will ein Signal der Hoffnung aussenden, dass sich die Welt gemeinsam ändern lässt.

Alle Infos zur Weltkunstausstellung, Terminen, Tickets und Dauer finden Sie in unserem documenta-FAQ.

Alle Standorte der documenta fifteen finden Sie in unserer interaktiven Karte.

Hier gibt es eine Übersicht über die Gastro-Angebote während der documenta in unserer interaktiven Karte.

Wer zur documenta nach Kassel reisen möchte, kann sich hier über die Anfahrt und Parkmöglichkeiten informieren.

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