Zwei Touren durch die documenta fifteen in Kassel: Ersten Eindruck gewinnen

Vielen Besuchern fehlt die Zeit, sich alle Standorte der documenta fifteen in Kassel anzuschauen. Wir zeigen zwei Halbtags-Parcours für den ersten Eindruck.
Unzählige Kunstwerke, über 1500 Künstlerinnen und Künstler, 32 Standorte: Viele Besucher der documenta fifteen haben keine Zeit, um sich alles anzusehen, sie müssen sich entscheiden. Aber wofür in dem riesigen Angebot? Und wie passt das dann am besten in einen oder zwei halbe Tage? Zwei Tourenvorschläge der Redaktion, die beide auch in entgegengesetzter Richtung funktionieren, am komfortabelsten übrigens mit dem Fahrrad:
documenta-Tour 1: Zum Schauen und Sinnen im Kasseler Osten
Die Tour startet bei Hübner, wo man auch documenta-Karten kaufen kann. Zu den Höhepunkten in dem großen Gebäude zählen die Werke des Künstlerkollektivs Fondation Festival sur le Niger aus Mali. Allein die Wand voller ausdrucksstarker Puppen lohnt einen Besuch.
Hier kann man sich ein eigenes Urteil über die umstrittenen palästinensischen Agitprop-Filme von Subversive Film bilden – darunter Propagandamaterial des einstigen Mitglieds der Terrororganisation „Japanische Rote Armee“, Masao Adachi. Mitglieder der Gruppe ermordeten 1972 26 Menschen in Israel.
Im Keller von Hübner faszinieren die meditativen Werke des indischen Künstlers Amol K Patil. War es jemals witziger, geduldig auf Erde zu schauen? Sodann erwartet einen hier die große Videoinstallation von Kira Dalina von den Philippinen. Sie dokumentiert Gespräche armer Menschen vor Essensausgabestellen.
Nur zwei Straßen weiter befindet sich mit der katholischen Kirche Sankt Kunigundis einer der kraftvollsten documenta-Standorte. Hier schuf das haitianische Künstlerkollektiv Atis Rezistans ein Gesamtkunstwerk über Tod, Gewalt, Sex, Frauen, Männer und Geschichte.
Nicht weit, entlang der Leipziger Straße Richtung Innenstadt, findet sich das Hallenbad Ost. Wie in Kunigundis, so trägt auch hier der Raum zur beeindruckenden Gesamtwirkung bei. Das indonesische Künstlerkollektiv Taring Padi zeigt knackigen Agitprop. Ein roter Papp-Panzer in der Mitte des Raumes ist eine Art Kommunikationszentrale. Hier lässt sich gut pausieren. Geheimtipp: gleich neben dem Hallenbad das syrische Straßenrestaurant Al Wali im Kiosk.
Man kann die Tour im WH22 (Werner-Hilpert-Straße 22) abschließen. Dort befindet sich der meditative vietnamesische Einwanderer-Garten des Nhà Sàn Collective. Im Haus finden sich die viel kritisierten Bildcollagen „Guernica Gaza“ des Palästinensers Mohammad Al Hawajri. Der Biergarten im Hof lädt ein zum Nachdenken.

documenta-Tour 2: Zum Weiterdenken und Genießen in Kassel-Mitte
Intellektuell tief ist das Werk des Mexikaners Erick Beltrán im Sepulkralmuseum, eindrucksvoll visualisiert in einer schwebenden Skulptur. Beltrán untersucht Bilder und Geschichten eindringlichst auf die in ihnen wirkende Kraft – und findet: neue Bilder und Geschichten.
Nebenan, in der Grimmwelt, fasziniert der indonesische Geschichtenerzähler Agus Nur Amal PMTOH mit seinen Videos und Installationen. Im Keller lockt das eigentümliche Videoprojekt des karibischen Künstlerkollektivs Alice Yard, ein zarter Animationsfilm mit sonderbarer Aura.
In der Grimmwelt und im Biergarten davor lässt sich sehr gut pausieren. Oder auch in der „Perle“ (Friedrichstraße 25), gleich neben der nächsten Station dieser Tour: Hotel Hessenland. Hier lassen einen die südafrikanischen Künstler von Madeyoulook zwar auf ihrer schwarz-weißen Bodeninstallation unbequem sitzen, was denken machen soll. Ihre Klanginstallation aus traditionellen Liedern ist aber ergreifend schön. Angeblich kommen manche Dauerkartenbesitzer immer wieder hierher, um sie zu genießen.

Die Tour 2 endet in der documenta-Halle, einem der großen Standorte mit vielen sehenswerten Werken. Wir empfehlen als besonderen Knalleffekt zum Schluss den witzigen Actionfilm „Football Kommando“ von dem Filmstudio Wakaliga Uganda. Oder eben zum Auftakt der Tour, wenn man sie umgekehrt gehen will.
Wer wenig Zeit hat, kann die Touren abgespeckt mit einem oder zwei günstigen Abendtickets jeweils zwischen 17 und 20 Uhr packen.