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Antisemitismus: Zwiespalt beim Verdecken des documenta-Kunstwerks in Kassel

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Von: Florian Hagemann

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Das documenta-Kunstwerk des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi am Friedrichsplatz ist mit einem schwarzen Tuch bedeckt. Ein denkwürdiger Abend.

Kassel – Es ist lange Zeit unklar, was nun passiert mit dem großflächigen Banner der indonesischen Künstlergruppe Taring Padi vor der documenta-Halle auf dem Friedrichsplatz in Kassel. Den ganzen Tag über wurde über dieses Kunstwerk diskutiert, über die Motive, die erst in den sozialen Netzwerken und dann in Politik und Gesellschaft Empörung auslösten und den Antisemitismusvorwurf gegen die documenta fifteen untermauerten.

Die documenta in Kassel selbst hatte die ganze Zeit geschwiegen. Über das Telefon war lange niemand zu erreichen, Mails blieben unbeantwortet. Am frühen Abend hieß es dann, es gebe noch eine Stellungnahme.

documenta in Kassel: Kunstwerk am Friedrichsplatz wegen Antisemitismus abgedeckt

Die kommt – um 20.19 Uhr. Fast zeitgleich entrollen Hilfskräfte ein erstes schwarzes Tuch über einem Teil des Banners. Im Hintergrund ist da gerade das Martinshorn eines Krankenwagens zu hören und der Applaus Einzelner aus der Menge, die sich rund um das Kunstwerk versammelt haben. Es scheint, als geschehe auf einmal alles gleichzeitig.

Zum Teil schon verdeckt: Am Abend wurde das Banner am Friedrichsplatz unsichtbar gemacht.
Zum Teil schon verdeckt: Am Montagabend (20.Juni) wurde das documenta-Kunstwerk am Friedrichsplatz in Kassel unsichtbar gemacht. © Andreas Fischer

Über den Tag hinweg fanden sich immer wieder Kunstinteressierte, aber auch andere ein, um sich ein Bild zu machen vom Bild, über das an diesem Tag die ganze Kunstwelt spricht. Viele stehen auch nun zwischen den Pappkameraden, die auf der Wiese vor dem Kunstwerk aufgestellt oder bereits vom Winde verweht sind, machen Fotos, diskutieren.

Antisemitismus: Kunstwerk der documenta in Kassel mit schwarzem Tuch überdeckt

Unter ihnen ist auch Hajo Schuy. Der Kasseler Stadtrat sprach von einer Aufgeregtheit und brachte sein Unverständnis zum Ausdruck, als sich die Verhüllung des Banners bereits andeutete. Seinen Namen aber wollte er nicht in der Zeitung lesen. Jetzt kommt er noch einmal und sagt, er würde zu seiner Meinung stehen, auch wenn sie ihm wohl viel Ärger einbrächte.

Schuy sagt über die diskutierten Motive des Bildes: „Ich teile die Auffassung nicht, dass das antisemitisch ist. Ich teile die Auffassung nicht, dass das gegen den Staat Israel gerichtet ist.“ Und weiter: „Den Indonesiern muss es erlaubt sein, gegen die Politik des Staates Israel Stellung zu beziehen.“ Mit seiner Auffassung scheint Schuy nicht allein. Als die Hilfskräfte dabei sind, das zweite Tuch über einen weiteren Teil des Bildes zu hängen, schreit eine Frau: „Zensur.“ Eine andere Frau hält dagegen eine Israel-Flagge in die Luft.

Kassel: Diskussionen um Antisemitismus bei Kunstwerk der documenta

Viele sind unentschlossen oder wissen noch nicht so recht, wie sie sich äußern sollen. Mitglieder der CDU-Fraktion haben die Entwicklung mitbekommen und sich nach ihrer Sitzung entschlossen, mal vorbeizuschauen, um die Situation bewerten zu können.

Eine Frau sagt: „Ich bin noch nicht ganz klar.“ Sie hat die Debatte über das Bild in den Nachrichten gehört und ist dann zum Friedrichsplatz gekommen. Auch der frühere Dechant Harald Fischer ist da. Auch er: zwiegespalten. Er findet, das Kunstwerk dürfe nicht unwidersprochen bleiben – aber es gleich verdecken?

Insgesamt hat er den Eindruck, dass bei dieser documenta zwei Welten aufeinandertreffen, weil sie die Sicht des globalen Südens auf die Welt zeigt. Fischer, der Mann des Dialogs, hofft auf klärende Gespräche.

documenta-Kunst in Kassel: Antisemitismus-Debatte bringt noch viel Gesprächsstoff mit sich

Um kurz vor 21 Uhr ist auch der zweite Teil des Kunstwerks verhüllt, ein dritter wird folgen. Zwei Polizisten beobachten die ganze Szenerie, die Menschen – unter ihnen auch Mitglieder des kuratierenden Künstlerkollektivs Ruangrupa.

Kassel hat schon viel erlebt: einen Treppenabriss im Dunkeln, den Abbau eines Obelisken im Morgengrauen. Und nun also auch das: die Verhüllung eines Bildes und eines Kunstwerks bei Sonnenuntergang am dritten Tag der documenta.

Es kommen eher noch mehr auf den Friedrichsplatz, als dass sich viele wieder verabschieden. Und es kommt der Eindruck auf, dass noch viel Gesprächsbedarf besteht. (Florian Hagemann)

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