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documenta-Chefin Schormann in der Zwickmühle - eine Analyse

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Von: Florian Hagemann

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Steht im Zentrum der Kritik: Sabine Schormann, die Generaldirektorin der documenta und Museum Fridericianum gGmbH.
Steht im Zentrum der Kritik: Sabine Schormann, die Generaldirektorin der documenta und Museum Fridericianum gGmbH. © Andreas Fischer

documenta-Generaldirektorin Sabine Schormann steht in der Kritik. Sie hat derzeit einen der schwersten Jobs und steckt in der Zwickmühle. Es gibt aber noch einen Ausweg. Eine Analyse.

Kassel – Als Sabine Schormann während der Eröffnungspressekonferenz der documenta am vergangenen Mittwoch im Auestadion auftrat, verkörperte sie wie niemand anderes das Bunte der Weltkunstausstellung. Die documenta-Generaldirektorin trug einen Mantel in den Farben des documenta-Logos – ein echter Coup.

Schormann zog die Blicke auf sich und brachte gleichzeitig die Verbundenheit mit denen zum Ausdruck, die für das Künstlerische der documenta fifteen verantwortlich sind: mit dem indonesischen Künstlerkollektiv Ruangrupa und mit all den anderen von Ruangrupa engagierten Künstlerkollektiven. Schormann wollte damit auch das in die Welt tragen, was diese documenta bei allen Problemen auf diesem Planeten auszeichnen sollte: eine gewisse Fröhlichkeit, das Gegenteil von Tristesse, das Bunte eben, das auch zu Schormanns Naturell passt.

Keine Woche später ist davon nichts mehr zu spüren. Schormann muss mittlerweile eine der größten, wenn nicht sogar die größte Krise in der Geschichte der documenta moderieren und die Lage irgendwie wieder in den Griff bekommen. Die 60-Jährige steht im Zentrum, wenn es darum geht, wer die Verantwortung trägt für die Situation: für die mangelhafte Aufarbeitung der Antisemitismusvorwürfe gegen die documenta fifteen – und dass trotz aller Beteuerungen nun doch Kunst gezeigt worden ist, die eine antisemitische Bildsprache gebraucht.

Von guter Laune ist spätestens seit Samstag keine Rede mehr. Da kam Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nach Kassel. Anstatt den netten Mann aus Berlin zu geben, übte er Kritik, die in erster Linie auf Schormann zielte. Er sagte: „Ich bedauere, dass es nicht möglich war, eine direkte Diskussion zwischen den Vertretern des globalen Südens, der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland und Israel zu organisieren.“ Das wiederum wäre Aufgabe der documenta gewesen, an deren Spitze Schormann steht. Zwar wird ihr und ihrem Team die Bemühung nicht abgesprochen, eine Diskussionsreihe anbieten zu wollen, festzuhalten aber bleibt: Die geplanten Veranstaltungen wurden abgesagt oder ausgesetzt. Und der Zentralrat der Juden beklagt, dass er in Bezug auf deren Gestaltung nicht eingebunden worden sei.

Schormann nahm die Kritik des Bundespräsidenten mit ernster Miene hin und sprach später davon, die deutsche Verantwortung sehr ernst zu nehmen. Sie verwies aber auch auf den Ansatz der documenta fifteen, der in die Zukunft gerichtet sei. Das Problem ist jetzt, dass ein Kunstwerk mit antisemitischer Bildsprache in den Mittelpunkt gerückt ist, das 20 Jahre alt ist und alte abwertende und antisemitische Klischees bedient.

Schormann steht auch deswegen derzeit nicht gut da, weil zumindest der Eindruck entstehen kann, sie und die anderen Verantwortlichen seien von den Künstlern gelinkt worden. Das Banner auf dem Friedrichsplatz war an den Vorbesichtigungstagen noch nicht aufgestellt, weil – so die Begründung – noch notwendige restauratorische Maßnahmen aufgrund von Lagerschäden vorgenommen werden mussten. Fakt ist: Es hing erst, nachdem die Fachwelt einen ersten Blick auf die Kunstausstellung geworfen hatte.

Wie dem auch sei, Schormann steckt nun schon zu Beginn ihrer ersten documenta, die sie als Generaldirektorin verantwortet, in der Zwickmühle: Auf der einen Seite ist der Druck der Politik und der Gesellschaft hierzulande enorm. Es gibt auch schon Stimmen, die personelle Konsequenzen fordern. Auf der anderen Seite muss sie auf die Künstler des globalen Südens eingehen, die eben auch eine andere Sicht auf die Dinge haben.

Geht sie auf die eine Seite ein, ist die andere aufgebracht – und umgekehrt. Es lässt sich leicht sagen, dass Schormann rechtzeitig hätte klar machen müssen, wo die roten Linien verlaufen. Aber das ist nicht so leicht, wenn zu den aufeinanderprallenden Welten auch noch eine weitere Ebene hinzukommt: die der Kunstfreiheit.

Entsprechend defensiv liest sich Schormanns Aussage zur Abdeckung des Banners am Montagabend: Sie sagt darin nicht, ob das Kunstwerk in ihren Augen antisemitisch ist oder nicht. Erst gestern Abend wird sie in einer Stellungnahme deutlicher.

Aus der Zwickmühle wird Schormann nur herausfinden, wenn es ihr doch noch irgendwie gelingt, beide Seiten an einen Tisch zu bringen und eine sachlich geführte Debatte über das Thema zu ermöglichen. Sie ist dazu in der Lage, aber das Ganze erfordert Präsenz auch dort, wo es zur Sache geht.

Am Montagabend wurde Schormann nicht auf dem Friedrichsplatz gesehen, als ein schwarzes Tuch über dem documenta-Kunstwerk die Schlagzeilen dominierte. Es hat das Farbenfrohe als Symbol der documenta zumindest vorübergehend abgelöst. Ob sich das mit der kompletten Entfernung des Banners gestern Abend nun wieder ändert, liegt auch an Schormann. Sie hat in Kassel nichts anderes als eine Herkulesaufgabe zu bewältigen. (Florian Hagemann)

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