Ein Leben für den Tanz - Tanzpionierin Gret Palucca hatte auch Auftritte in Kassel

Tanz-Pionierin Palucca stemmte sich gegen Ausgrenzung durch die Nazis – Auftritte in Kassel
„Gret Palucca war eine Hochtänzerin“ – vielleicht beschreiben die Worte des Tanzhistorikers Ralf Stabel gut, wie sich die Tänzerin und Tanzpädagogin durchs Leben schlug. Denn als Tochter einer aus Ungarn stammenden jüdischen Mutter war sie im Deutschland der 1930er- und 40er-Jahre als Halbjüdin gebrandmarkt. Doch Paluccas grenzenloser Optimismus und ihre Liebe und Leidenschaft zum Tanz haben sie auch in dieser Zeit zur Pionierin des modernen Ausdruckstanzes gemacht. „Leben und Tanz“ heißt es in einem überlieferten Zitat, „sind für mich nicht voneinander zu trennen.“
Auch in Kassel hat sie mit zahlreichen Auftritten zwischen 1928 und 1948 das tanzbegeisterte Publikum mit ihren berühmten „Palucca-Sprüngen“ fasziniert und das teilweise zu einer Zeit, die das dunkelste Kapitel deutscher Geschichte darstellt. Über diese Zeit und die Geschichte von Gret Palucca und anderen Tänzerinnen und Tänzern, die durch das Nazi-Regime ausgegrenzt, verfolgt und ermordet wurden, hat der Choreograf John Neumeier das Stück „Die Unsichtbaren“ entwickelt, mit dem das Bundesjugendballett in Kooperation mit dem Ernst-Deutsch-Theater bundesweit auf Tour ist.
Geboren wurde die Pionierin des modernen Ausdruckstanzes als Margarethe Paluka am 8. Januar 1902 in München. Ihre Begeisterung für den Tanz fiel schon früh auf und sie erhielt Ballettunterricht beim Solotänzer und Ballettmeister der Dresdener Oper, Heinrich Kröller. Später kam sie in die Schule von Mary Wiegmann in Dresden, die als Wegbereiterin des rhythmisch-expressiven Ausdruckstanzes weltweit gilt.
Die Tanzstile der beiden Tänzerinnen unterschieden sich jedoch stark von einander. Wie Stabel betont, ging der Tanz von Wiegmann eher in die Tiefe, Palucca strebte in die Höhen. Und so trennten sich ihre Wege schon früh – Palucca, wie sie sich als Künstlerin nannte, gründete 1925 ihre erste eigene Schule. Zuvor heiratete sie im Februar 1924 den Industriellen Friedrich Bienert. Über ihre Schwiegermutter hatte sie Kontakt zu zahlreichen Künstlern des Bauhauses.
Palucca erhielt zu keiner Zeit ein Auftrittsverbot des NS-Regimes. Eine Tatsache, die für ihre Person zu einer ambivalenten Deutung führen kann. Ralf Stabel hat dazu eine klare Meinung und betont den enormen Druck, unter welchem jeder ihrer Auftritte stand. „Palucca erhielt eine jederzeit widerrufliche Sondergenehmigung“, beschreibt er ihre Situation- Sie war also von der Willkür der Reichstheaterkammer abhängig. Auftritte durften nur privat veranlasst sein und nicht im Rahmen von Parteiveranstaltungen, des Staates oder kommunaler Behörden stehen. Für Kassel sei bemerkenswert, so Stabel, dass die Stadt „schneller braun wurde, als andere Städte“. Für die Bühne des Staatstheaters ist der letzte Auftritt am 21. Oktober 1934 verzeichnet. Spätere Darbietungen fanden im Stadtparksaal – einem legendären Unterhaltungsetablissement an der heutigen Garde-du-Corps-Straße, das es nicht mehr gibt – sowie in der Stadthalle statt.
Eine weitere Tänzerin, die in dem Stück „Die Unsichtbaren“ vorgestellt wird, ist Hilde Brumof. 1902 in München geboren, erhielt sie Engagements als Solotänzerin unter anderem in Dresden. Von 1929 bis 1932 war sie Ballettmeisterin am Staatstheater Kassel, erhielt 1933 aufgrund ihrer jüdischen Herkunft Berufsverbot und wurde von der Reichstheaterkammer ausgeschlossen. Brumof emigrierte 1938 nach England.
Palucca erlebte die Bombardierung Dresdens am 13. Februar 1945, überlebte und flüchtete nach Neukirchen (Kreis Ziegenhain) zu einer Freundin. Im Alter von 91 starb die Tänzerin am 22. März 1993 in Dresden. Nach einer Trauerfeier in der Semperoper in Dresden wurde sie, ihrem Wunsch entsprechend, auf dem Inselfriedhof auf Hiddensee beigesetzt. Die Palucca Schule Dresden hält das künstlerische Erbe der Tanzpädagogin bis heute hoch.