Band Großstadtgeflüster: "Scheiße ist das Bauhaus-Objekt unter den Schimpfwörtern"

Mit "Fickt-euch-Allee" landeten Großstadtgeflüster einen Überraschungshit. Nun tritt das Berliner Trio beim Baunataler Oben-Festival auf. Hier erklärt die Sängerin, warum Scheiße so ein tolles Wort ist.
Selten hat schlechte Laune so viel Spaß gemacht wie bei der Band Großstadtgeflüster. Im vorigen Jahr landete das Berliner Electropop-Trio mit "Fickt-euch-Allee" seinen bislang größten Hit. Zu scheppernden Beats singt Frontfrau Jen Bender: "Ich hör euch nicht / Ich bin in meinem Wochenendhäuschen in der Fickt-Euch-Allee / Wo ich auf der Veranda meine Eier schaukle / Da hab ich immer recht und ’n Blick aufn See.“ Im Video, das bei Youtube fast sieben Millionen Mal angeklickt wurde, zeigt sie den Mittelfinger. Auch Stars wie Marteria und Andreas Bourani sind zu sehen.
Mit ihrer krawalligen Mischung aus Deichkind und "Rosenstolz auf "Crack", wie ein Kritiker schrieb, treten Großstadtgeflüster am Samstag, 17. Juni, beim Oben-Festival auf der Baunataler Knallhütte auf. Außerdem sind bei der zweiten Auflage tolle Acts wie Clueso, Hundreds, Zugezogen Maskulin, Milliarden und James Hersey dabei. Im Interview freut sich Bender schon auf Nordhessen, weil "die Leute hier trinkfest sind und gute Laune haben".
Ihr habt seit mehr als zehn Jahren regelmäßig Hits gelandet. Die "Fickt-euch-Allee" schlägt nun jedoch alles. Was hat sich durch diesen Mega-Hit für euch verändert?
Jen Bender: Mega-Hit ist vielleicht ein bisschen groß. Derart große Worte sind in unserem Kosmos kaum vorhanden. Es war nicht unsere Absicht, so einen Hit zu landen. Wir machen eigentlich alles wie immer, aber es singen mehr Leute mit. Das finde ich geil. Uns gibt es jetzt seit knapp 14 Jahren, da werden Erwartungen nicht mehr so hoch gehandelt und im nüchternen Zustand wird alles etwas unaufgeregter. Umso überraschter waren wir, als wir festgestellt haben, dass sich scheinbar ein paar Nasen mehr für uns interessieren. Es ist wie Karussell fahren: Es ist geil, macht ein bisschen schwindelig und man weiß nicht so richtig, wie lange das noch gut geht. Aber die Party nehmen wir gerade in vollsten Zügen mit.
Der Song wird als Berlin-Hymne gefeiert, was er für euch aber gar nicht ist. Kann man sagen, dass ihr wie auch schon in "Ich muss gar nix" das Lebensgefühl der Verweigerer einer durchökonomisierten Leistungsgesellschaft in Tocotronic-Slogans perfekt auf den Punkt bringt?
Bender: Die eigenen Songs zu analysieren, das ist, als würde man Witze erklären. Es geht irgendwie immer schief. Aber Tocotronic verstehe ich immer nur zur Hälfte. Ich bin zu faul, um mich ernsthaft damit zu beschäftigen.
Das Schöne ist, dass du in einer Sprache textest, die auch auf der Straße und auf Schulhöfen gesprochen wird. Was ist dein Lieblingsschimpfwort?
Bender: Scheiße. Das ist ein Evergreen, zeitlos, schnörkellos, funktionell und auf das Wesentliche reduziert. Scheiße ist das Bauhaus-Objekt unter den Schimpfwörtern.
Noch öfter verwendet ihr "Ficken". Was ist so geil an diesem Wort?
Bender: Es ist nicht einfach nur ein Wort. Wenn du es 7777 mal aussprichst, erscheint das ganze Universum vor deinen Augen und erklärt dir, warum das alles absolut keinen Sinn ergibt.
Als ihr anfingt, habt ihr gesagt: "Wir machen eigentlich gitarrenlose Rock-Musik." Wie würdet ihr euren Stil zwischen Electropop, Punk und Alternative-Schlager heute beschreiben?
Bender: Ich finde Alternative-Schlager ganz passend. Gangster-Schlager-Rap, Rave-Quatsch, Punk-Hop oder Dingsgedöns könnten auch passen. Keine Ahnung, wir machen halt einfach das, worauf wir Bock haben, und können eigentlich gar nichts dafür, dass am Ende das dabei rauskommt. Aber wir wollen das Rad auch nicht neu erfinden. Im weitesten Sinne ist es wahrscheinlich einfach trashige Spaßpopmusik.
In den vergangenen sechs Jahren habt ihr nur ein richtiges Album herausgebracht, dafür jede Menge Singles. Ist das Album im Streaming-Zeitalter tot?
Bender: Wir haben zwei EPs digital veröffentlicht und sie dann auf Vinyl mit eingelegten CDs geballert. Es war sozusagen ein Album in Etappen. Wir hatten keine Lust, drei Jahre auf irgendwelchen Songs zu sitzen, das große Feuerwerk vorzubereiten, und dann regnet es. Die Scheiße sollte raus, solange sie noch dampft. So bleibt Perfektionismus und Überambitioniertheit einfach aus, das steht uns nicht. Wir selbst kaufen Platten, aber in einigen Fällen ist es wahrscheinlich verschwendete Liebesmüh, ein Album zu produzieren. Das ist so ein Marketingzeug und mir ein bisschen egal.
Hast du dein Grafikdesign-Studium eigentlich beendet? Gibt es immer noch einen Plan B jenseits der Musik?
Bender: Du hast ja echt ein Elefantengedächtnis. Chapeau! Nein und nein. Immer wenn ich plane, kommt es anders. Dann denke ich: Manno, ich hätte statt zu planen auch ein Eis essen können.
Alle Infos zum Oben-Festival am 17. Juni auf der Baunataler Knallhütte gibt es hier.
Zur Band
Mitglieder: Keyboarder Raphael Schalz (von links), Sängerin Jen Bender und Schlagzeuger Chriz Falk.
Gegründet: 2003 in Berlin
Ursprünglicher Bandname: Kaktus und Kaktussi (da waren Bender und Schalz noch ein Duo)
Hits: „Fickt-euch-Allee“, „Ich boykottier dich“, „Ich muss gar nix“, „Keiner fickt mich“
Sonstiges: Bender hat Grafikdesign studiert, das Studium aber nicht beendet