Kassel: Theaterstück über berufliche Überforderung

Premiere von „Super High Resolution“ von Nathan Ellis im Kasseler Theater im Fridericianum wurde mit viel Applaus aufgenommen. Das Stück porträtiert eine junge Ärztin, die von ihrer Arbeit so vereinnahmt wird, dass sie keine Kapazitäten mehr für ihr Privatleben hat.
Kassel – Eine karge Bühne. Fünf Telefonapparate hängen an den Wänden. Im Mittelpunkt die blasse, ungeschminkte Anna im grünen Overall: Ihre Nase blutet. Ein Patient hat ihr ins Gesicht geboxt. Sie muss mal durchatmen. Der leicht schmierige David gesellt sich zu ihr, entschuldigt sich für seinen Freund, den er ins Krankenhaus begleitete. Anna und David rauchen eine Zigarette. Mit ihrer E-Mail-Adresse ausgestattet verschwindet David.
Die deutschsprachige Erstaufführung des Bühnenstücks „Super High Resolution“ des britischen Autors Nathan Ellis hatte am Freitag im Theater im Fridericianum (Tif) in der furiosen Inszenierung von Marion Pfrunder Premiere. Das Schauspiel dreht sich um die Überforderung am Arbeitsplatz. Seitdem Anna (Annalena Haering) ihren Job in der Klinik hat, nimmt sie Schlaftabletten, funktioniert nur noch wie ein Automat. Persönliches hat keinen Millimeter Platz in ihrem Leben.
Mit zehn Szenen blättert das Theaterstück die Situation von Anna auf. In der zweiten Szene trifft Anna ihre übergesprächige Schwester Becca (Laura Lippmann), die als Unternehmensberaterin gut verdient. Anna ist nur genervt. Es interessiert sie nicht, dass Becca und ihr Mann jede Menge Sex haben, dass der 18-jährige, etwas ungelenke Stiefsohn Sammy (Jonathan Stolze) Medizin studieren möchte. Auch ihren Geburtstag kann die Assistenzärztin nicht feiern, weil der Schichtdienst ruft. Ihrer Schwester verrät sie, sich professionelle Hilfe zu suchen, um etwas für sich zu tun.
Obwohl ständig am Limit, versorgt Anna ihre Patienten mit Hingabe und viel Verantwortungsgefühl. Als Janet (Christina Weiser) mit einer Wunde am linken Arm in den Notdienst kommt, weiß Anna sogleich, was zu tun ist und schickt die suizidale Frau zu einem Psychiater der Klinik. Die Gespräche mit der Chefin Meredith Sampson überträgt die Inszenierung einem Chor. Unglaublich eindringlich und stark verkörpern Laura Lippmann, Marcel Jacqueline Gisdol, Jonathan Stolze und Christina Weiser die Vorgesetzte am Telefon. Die meterlangen Schnüre produzieren tolle Bühnenbilder (Bühne und Kostüme: Justus Saretz). Dabei prasseln die Worte wie Eisregen, strengen an. Durcheinander, einzeln, gemeinsam gesprochen: schmeichelnd und suggestiv, kaum auszuhalten. Ziel der Chefin ist es, Anna auch am Wochenende für eine Schicht einzuteilen.
Natürlich taucht David (Marcel Jacqueline Gisdol) wieder auf. Die Schnüre der Telefone umwickeln ihn und Anna. Beide sind jetzt verbandelt, erzählt das Bühnenbild. Endlich kommt auch der überragend gespielte Sammy (Jonathan Stolze) ins Spiel und wünscht „habt Spaß“. Annas Schwester spürt sofort, „du hattest Sex“. Gleichzeitig lässt Becca ihre Schwester wissen, dass sie schwanger ist, was Anna allerdings nicht wirklich spannend findet. Sammy hilft sie leidenschaftslos beim Schreiben einer Bewerbung für das Medizinstudium. Sie ist zu ausgelaugt, um sich zu freuen, ist nicht in der Lage, traurig zu sein, sie fühlt sich taub. Zum Schluss sitzt Anna mit blutigen Händen auf der Bühne.
Mit der genialen Idee, einen Chor einzubauen, bekommt das Theaterstück immense Wucht, um die unerträgliche Arbeitssituation umzusetzen. Zudem wird der Chor zu der Instanz des Allwissenden und Kommentierenden wie im antiken Theater. Eine tolle Inszenierung mit einer sehr glaubwürdigen Anna. Großer Jubel.
Wieder 9., 18. Februar
Von Gesa Esterer