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Kasseler Bachchor: Donnerstimmen mit Friedensbotschaft

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Die Welt geht unter, wir müssen zittern: Bachchor und Orchester La Visione in der Martinskirche.
Die Welt geht unter, wir müssen zittern: Bachchor und Orchester La Visione in der Martinskirche. © Andreas Fischer

Einen reichen, klangstarken Telemann-Abend gab es mit dem Oratorium „Der Tag des Gerichts“ in der Kasseler Martinskirche.

Da lohnt ein Blick in die Partitur: Die ersten Takte, das Orchester pocht, da geht es weniger um Tonhöhe oder Melodie, sondern um die pure rhythmische Kraft. Dann der Einsatz der beiden Trompeten: ein gebrochener, aufsteigender Akkord, wie der Sprung eines Tigers, das Orchester schweigt komplett und die Trompeten setzen zu einem mächtigen Triller an.

So hat sich Georg Philipp Telemann den Ruf zum Jüngsten Gericht vorgestellt. Die Welt geht unter, wir alle müssen zittern. Nun gut, spätere Komponisten haben den Effekt maximal und deutlich lauter ausgelebt, Verdi in seinem „Dies irae“, Berlioz noch gigantischer – bei der Uraufführung sind die Damen reihenweise in Ohnmacht gefallen. Telemanns „Tag des Gerichts“ wirkt feiner, ist nicht auf Überwältigung aus. Hier gilt die Sprache der Affekte, die das gelehrte Publikum der Uraufführung im Jahre 1762 wie selbstverständlich kannte. Bach komponierte größer, aufwendiger, in den Passionen werden Themen gestapelt, von Fugen gekrönt. Telemann hat seinen „Tag des Gerichts“ erstaunlich sparsam belassen, es ging ihm um Verständlichkeit. Man spürt die Altersweisheit des immerhin über 80-jährigen Komponisten. Schon der Untertitel ist schlau gewähltes Programm: „Ein Singgedicht in vier Betrachtungen“. Die Apokalypse wird nur angedeutet. Hier und da dürfen Gebirge wanken oder Planeten kreisen. Wichtiger sind die Auftritte der allegorischen Gestalten. Da trifft der Spötter auf die Vernunft und der Unglaube auf den Chor der Seligen. Die Texte von Christian Wilhelm Alers sind einige Qualitätsstufen unter der Musik von Telemann, das geht bis ins Ungeschickte, aber das Gesamtkonzept funktioniert. Wenn noch das entscheidende Glück guter Interpreten hinzukommt.

Das war ein starker Sonntagabend in der Martinskirche. Die mit recht langem Nachhall, aber einem guten Fokus wie für die Musik gebaut zu sein schien. Norbert Ternes hatte sein Barockorchester La Visione im Griff, auch mit kleinen, sparsamen Zeichen – Präzision sollte vor Klangrausch stehen. Wenn es emotional werden durfte, dann übernahm der Kasseler Bachchor diesen Part.

Ternes hatte auch die besten Kontakte bei der Wahl der vier Gesangssolisten (Janina Mae Dettenborn, Paula Meisinger, Florian Brauer, Henryk Böhm). Erstaunlich, auf welch hohem Niveau jedes Pult und jede Stimmgruppe besetzt war. Auch wenn es etwas pathetisch klingt: Man darf Stolz fühlen, dass diese beiden Top-Ensembles in Kassel residieren.

Von Andreas Günther

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