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"Operette" im Schauspielhaus: Wenn der Punk-Graf rappt

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Von: Bettina Fraschke

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Bestens aufgestellt: Das große Ensemble auf der Bühne des Kasseler Schauspielhauses. © Foto: N. Klinger

Kassel. Ein bisschen schräg, absurd und abgefahren: Der neue, große Theaterabend am  Schauspielhaus. Philipp Rosendahl inszeniert das Stück "Operette".

Gaga regiert. Man muss schon bereit sein, den eigenen Seelenzustand in eine gewisse Durchgeknalltheit hineintaumeln zu lassen, um den abgefahrenen, coolen, aber eben auch hintergründig-intelligenten Theaterabend „Operette“ am Kasseler Staatstheater voll auszukosten. Philipp Rosendahl inszeniert das absurde Stück von Witold Gombrowicz, das Premierenpublikum am Samstagabend war hingerissen und spendete Applaus im Stehen, wenn auch nach der Pause einige Sitzplätze im Schauspielhaus frei geblieben waren.

Eine übersättigte Feudalgesellschaft beschäftigt sich nur noch mit Oberflächen und Oberflächlichkeiten: Aussehen, Mode, Strategien für erotische Eroberungen, Selbstbespiegelung. „Ich hasse, dass ich meinen Hass so hasse“, bekundet der Professor (Philipp Basener).

Brandaktueller Subtext schwingt stets mit

So gelingt es totalitären Strömungen, in der Gesellschaft geschmeidig Fuß zu fassen. Und als Albertinchen, die wegen ihrer unschuldigen Aura begehrte junge Frau, „Nacktheit“ fordert – das Ende des schönen Scheins –, bricht die von Schminke und Schmäh mühsam zusammengehaltene Welt final auseinander.

Rosendahl lässt den brandaktuellen gesellschaftskritischen Subtext im Hintergrund stets mitschwingen, zelebriert aber zugleich ein aberwitziges Spektakel der Posen und Possen. Und in dem Maß, wie das Publikum sich dem Vergnügen hingibt, gerät es selbst in die im Stück aufgezeigte Falle hinein. 

Die Kostüme sind crazy und opulent

Der Spiegel, der gegen Ende die Ansicht des Parketts auf die Bühne holt, ist dafür das passende Bild. Hier wird in einer geschickten Überblendung dann auch die Zuschauerschar entblößt: Die unter großer Medienaufmerksamkeit gecasteten nacktheits-bereiten Komparsen sind hier einige Sekunden lang zu sehen.

Daniel Roskamps violette Szenerie wirkt wie mit floralen Tapeten ausgekleidet, im Hintergrund scheint sich ein computergenerierter Wasserfall hinabzustürzen. Eine automatisch ausfahrende Rampe ist Laufsteg für das Herrscherpaar Prinz und Prinzessin Himalaj, die Hagen Bähr und Alexandra Lukas spielen wie nur noch semi-funktionstüchtige Aufziehpüppchen in Plateaupumps.

Brigitte Schimas Kostüme im Punk-Rokoko-Stil sind so crazy und opulent, dass es einen Moment dauert, die Schauspieler darin jeweils zu identifizieren. Toll der angedeutete Reifrock von Prinzessin Himalaj, ein wenig unheimlich das bläulich beleuchtete Dekolleté und die Strumpfmaske des Albertinchen (Meret Engelhardt), die jegliche Individualität ausmerzt.

Caroline Dietrich und Konstantin Marsch ragen heraus

Und: Alle singen. Während zum Originalstück keine Musik gehört, hat für Kassel Thorsten Drücker den Abend durchkomponiert – von Operettenopulenz über Mainstreampop bis Rap.

Aus dem großen, bestens aufgestellten Ensemble ragen die unangefochtene Queen of Cool, Caroline Dietrich, als Graf Charme und Konstantin Marsch mit Silbertolle als Baron Firoulett heraus, die sich einen großen Rap-Battle liefern – sensationell: „Impertinenz, was soll der Tort, verbitte mir das, fort, fort fort.“

Bernd Hölscher in Astronautenhose ist als Maestro Fior ein Modeschöpfer, der der Society die neuesten Kreationen liefern soll und sich auf den Rat von Graf Hufnagel (dem irrwitzig gelenkig herumhastenden Lukas Umlauft) einlässt, lieber socialmediamäßig zu schauen, was im Volk getragen wird. Oh-là-là – das ist das Einfalltor für die Umstürzler. Und wenn es dann hart auf hart kommt, flüchtet sich die Gesellschaft am allerliebsten in das Liedchen vom „getupften, kleinen Schmetterling“.

Wieder am 26.1., 10., 14.2., Karten: 0561/ 1094-222,
www.staatstheater-kassel.de

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