Caricatura in Kassel fragte: Wie weit darf Satire gehen?

Ein Podium in der Caricatura in Kassel lotete die Grenzen der Satire aus. Das Fazit: Es kommt auf den Einzelfall und den Kontext an.
Wenn sich Hasnain Kazim in konservativen Kreisen bewegt, gendert er. In der Gesellschaft von Linken lässt er es sein. Er habe Freude an der Provokation, sagte der ehemalige „Spiegel“-Korrespondent und Buchautor („Post von Karlheinz“) am Montagabend auf einem Podium mit dem Titel „Wer sagt denn sowas?!“ vor 80 Besuchern in der Caricatura: „Mir macht das Spaß. Wir brauchen ein dickeres Fell.“
Thema der Runde über Satire und Diskriminierung war, was Moderatorin Amira El Ahl einen „moralischen Klimawandel“ nannte: Die Empfindsamkeit ist gewachsen. Aber was passiert, wenn man der Satire die Zuspitzung nimmt? Und wer legt fest, was erlaubt ist?
Es komme, wie bei Kazims Gendern, auf den Kontext an, machte Karikaturist Til Mette deutlich. Sobald seine Cartoons aus dem „stern“ im Internet kursieren, sind die Reaktionen maßlos – er bekam bereits Morddrohungen. Der 66-Jährige beschrieb eindringlich die Zäsur durch die Mohammed-Karikaturen 2005: „Das hat alles verändert. Damit hat sich der Wind gedreht.“ Zum ersten Mal habe er sich an der Seite der Rechten wiedergefunden, weil sie die dänischen Karikaturen nachdruckten. Er sei nichts und niemandem verpflichtet, auch nicht dem Guten, Wahren und Schönen. Zu viel Vorsicht „macht uns Zeichnern das Leben zur Hölle“. Gute Witze müsse man machen – „volles Rohr“.
Literaturwissenschaftler Holger Kersten widersprach. Der Professor an der Universität Halle-Wittenberg wollte die akademische Satire-Definition retten: Sie solle Übel aufspießen, Mängel bloßstellen, Werte vertreten. Nicht jede flapsige Bemerkung sei Satire. Dass sich Politiker nicht als Satiriker verstehen sollten, unterstrich der Grünen-Bundestagsabgeordnete Boris Mijatovic. Er riet: „Ruhe bewahren. Nicht über jedes Stöckchen springen, nicht auf jeden Tweet reagieren.“
Für seine Einschätzung, dass Satire wirkungslos sei, fand Kersten Zustimmung. Er bediene als „Print-Heini“ ein Nischenpublikum, sagte Mette, ein Comedian wie Mario Barth sei „1000-mal mächtiger“. Der „Titanic“-Humor sei so abgründig und voraussetzungsreich, dass es ebenfalls immer ein Nischendasein führen werde, ergänzte Julia Mateus, erste Chefredakteurin des Magazins: „Man kann keine guten Sachen machen, die so gestrickt sind, dass sie noch der Blödeste versteht.“
Und wo sind nun die Grenzen der Satire? „Man kann das nicht allgemeingültig beantworten“, sagte Kazim. „Wir stellen uns die Frage nicht“, so Julia Mateus. Sorgen um ihre Zukunft machte sich niemand. Sie sei ein „Menschheitsreflex“, so Til Mette. Mateus: „Es gibt immer einen Silberfisch am Horizont.“ Fotos: IMago
