Spielbergs persönlichster Film: Die Geschichte in den Bildern

Voller Charme: In Steven Spielbergs autobiografischem Film „Die Fabelmans“ erzählt er autobiografisch von einem Hernwachsenden, der die Kraft der bewegten Bilder entdeckt und von ihnen nicht mehr lassen kann, auch wenn der Preis manchmal hoch ist.
Manchmal enthüllt Film eine Realität, die zwar jederzeit da ist, sich aber mit bloßem Auge nicht erkennen lässt. Genau das ist die Magie des Kinos. Und kaum ein anderer beherrscht sie so meisterlich wie Steven Spielberg. Seit Jahrzehnten prägt er die Bilder in Millionen Zuschauerköpfen, erzählt er die großen Geschichten von Familie, Elternsein, Freundschaft, Furcht und Trost. Sie können ins Gewand eines Abenteuerfilms gekleidet sein wie bei „Jurassic Park“ oder von Außerirdischen handeln wie bei „E.T.“ – der Kern ist oft eine Beziehungskonstellation.
Mit „Die Fabelmans“ öffnet Spielberg nun sein familiäres Herz weiter denn je – und beleuchtet seine eigene Lebensgeschichte. Entstanden ist ein großartiges Filmerlebnis, das in jeder biografischen Szene zugleich auch von der Magie des Kinos spricht.
Sammy wächst in den 50ern und 60ern in einer unterstützenden, eng zusammenhaltenden Familie auf – der Vater (ernsthaft, liebenswert, mit innerem Kompass: Paul Dano) ist leidenschaftlicher Pionier der Computertechnik, die Mutter Mitzi (eine wunderbar exzentrische Michelle Williams) Konzertpianistin, die darunter leidet, ihre Karriere für die Familie aufgesteckt zu haben.
Sein erster Kinobesuch beschert dem kleinen Sammy Angstträume – nachts liegt er wach und muss an das Zugunglück denken, das ihn auf der Leinwand verstört hatte. Mit seiner Modelleisenbahn, einem Geschenk zu Chanukka, und Papas Super-8-Kamera stellt er die Szene nach, probiert aus, wie die Waggons aus dem Gleis springen, wie die Illusion entsteht – das heilt nicht nur seine Angst, das entzündet ihn auch für den Film.
Fortan dreht er unentwegt und mit immer raffinierteren Effekten, einen Kriegsfilm mit dem Pfadfinderkumpels, eine Erinnerung an den Campingurlaub mit der Familie. Beim Schneiden der Szenen realisiert Sammy plötzlich, dass seine Mutter eine Liebesaffäre mit Vaters bestem Freund Bennie (Seth Rogen) hat. Erst beim Blick auf den Filmstreifen wird Sammy (eine Entdeckung: Gabriel LaBelle) das deutlich, beim Zelten selbst hatte er es nicht wahrgenommen. Das erzählt viel über Film, über die Kraft der Kunst, eine weitere Wirklichkeitsebene zu sein, und nicht zuletzt auch über Spielbergs eigene Familie, die an der Situation zerbrach.
Onkel Boris (in einem sensationellen Kurzauftritt: Judd Hirsch) bescheinigt dem Jungen, dass er das Künstlergen habe. Er warnt ihn: „Die Kunst wird dir Lorbeeren auf Erden bescheren, aber sie wird dir auch das Herz zerreißen und dich einsam zurücklassen.“
Welche Illusionen Bilder erzeugen können und wie man damit auch Macht ausüben kann, lernt Sammy bald immer gründlicher. Und nutzt das, als er in der neuen Schule von den judenfeindlichen, rauhbeinigen Mitschülern gegängelt wird, über sie dann aber einen Film drehen soll und sich subtil rächt. Wie sagte es Onkel Boris über das Filmemachen? „Er lügt nicht, er erzählt eine Geschichte.“
Von Bettina Fraschke