„Alita: Battle Angel“: Ein Kampfengel der Fürsorglichkeit
Robert Rodriguez’ „Alita: Battle Angel“ läuft heute bei ProSieben. Begegnungen mit Titeldarstellerin Rosa Salazar, dem etwas anderen Hollywood-Star.
Cyborg Alita (Rosa Salazar): „Ich hoffe, es stört Dich nicht, dass ich nicht vollständig menschlich bin.“ – Mensch Hugo (Keean Johnson): „Du bist das menschlichste Wesen, dem ich je begegnet bin.“
Frankfurt – Man erlebt es als Journalist selten, dass einen eine Schauspielerin der sogenannten „Traumfabrik“ beim zufälligen Wiedersehen spontan umarmt. So geschehen im Berliner Hotel Adlon Ende Januar 2019 einige Stunden nach der Pressekonferenz zum philosophischen Cyberpunk-Action-Spektakel „Alita: Battle Angel“, die mit Hauptdarstellerin Rosa Salazar („CHiPS“, „Bird Box - Schließe deine Augen“), dem zweifachen Oscar-Gewinner Christoph Waltz („Inglorious Basterds“, „Django Unchained“), Regisseur Robert Rodriguez („Planet Terror“, „Machete“) und Produzent John Landau („Titanic“, „Avatar“) im nicht weit entfernten AXICA Kongress- und Tagungszentrum stattgefunden hat.
Die unter Einbeziehung des Performance-Capture-Verfahrens menschliche Idealverkörperung des titelgebenden Cyborg-Manga-Mädchens rauscht mit ihrer Entourage durch die Halle, bleibt aber, als sie mich, der sich nach Vorab-Filmvorführung, Interviews und gemeinsamen Fotos mit den Künstlern gerade in einer bequemen Sitzecke der Luxus-Herberge niederlassen will, erblickt, kurz stehen, um dann wie ein Wirbelwind auf mich zuzurasen und zum Erstaunen der zahlreichen Gäste fest an sich zu drücken. Rosa Salazar ist eben der etwas andere Hollywood-Star! Glamourös und zugleich unprätentiös, sexy, aber stets warmherzig.
„Alita: Battle Angel“ bei ProSieben
„Alita: Battle Angel“ läuft am Freitag (27. Januar) um 20:15 Uhr bei ProSieben (Wiederholung ab 00:51 Uhr).
Auch fast vier Jahre nach der deutschen Premiere des intelligent gemachten Science-Fiction-Blockbusters erinnert sich die mittlerweile 37-jährige kanadisch-US-amerikanische Aktrice mit mütterlicherseits französischen, väterlicherseits peruanischen Wurzeln bei einem Telefonat gern an den Film zurück, der ihr endgültig den internationalen Durchbruch beschert hat: „Ich kam nach Hollywood und dachte, es wäre doch aufgrund meines Temperaments cool für mich, als lustiger Sidekick in einer Komödie aufzuschlagen, doch seit ‚Die Bestimmung - Insurgent‘ und ‚Maze Runner - Die Auserwählten in der Brandwüste‘, bin ich auf Science-Fiction und Mystery-Thriller abonniert“, sagt sie lachend, um dann regelrecht euphorisch fortzufahren, „Meine Mutter war ein großer SciFi-Fan. Ich selbst liebe die Romane von Ray Bradbury und die Filme von James Cameron. Es war für mich eine große Ehre, als 2016 die Hauptrolle für sein Herzensprojekt ‚Alita: Battle Angel‘, dessen Inszenierung er dann wegen der Vorbereitung zur ‚Avatar‘-Fortsetzung Robert Rodriguez überliess, an mich herangetragen wurde.
Aufgrund meiner Abstammung und meines damit wohl verbundenen Aussehens, bin ich nicht so leicht festzulegen und wahrscheinlich richtig für das sensible Cyborg-Mädchen mit den großen Manga-Augen gewesen, das aber aufgrund seiner kämpferischen Fähigkeiten vor allem auch bei Jungen gut ankommt. Mich erinnert die Figur sogar entfernt an den von dem früh verstorbenen River Phoenix verkörperten Chris Chambers aus der Stephen-King-Bearbeitung ‚Stand by Me - Das Geheimnis eines Sommers‘. Obwohl er aus einem schwierigen Umfeld kommt, setzt er sich für Gerechtigkeit ein - wie Alita. Soziales und biologisches Geschlecht sind ohnehin, schwer voneinander zu trennen. Eine der Botschaften, die ich als Alita vermittele, lautet: Gender und Ethnie sind unwichtig. Auf die Persönlichkeit kommt es an!“

„Alita: Battle Angel“: Realverfilmung von Robert Rodriguez ist nicht die erste Adaption
Und die ist sowohl im 1991 erstveröffentlichten, neunbändigen Manga „Battle Angel Alita“ (japanisch: „GUNNM“, ausgesprochen „Ganmu“, was „Waffentraum“ bedeutet) des aus der Präfektur Tokio stammenden Comic-Zeichners Yukito Kishiro, als auch bei ihrer Darstellung vielschichtig: Im Original wird Alita Gally genannt. Ihr Kopf samt Gehirn wird auf einer Müllhalde in Schrottstadt vom Wissenschaftler Ido gefunden, der ihr einen Roboter-Körper spendiert. Im Laufe der Geschichte kommen immer mehr Erinnerungen an ihr früheres Leben als Yoko im Jahr 2548 zurück, einer auf dem Mars in der „Panzerkunst“ ausgebildeten Kriegerin. Das Pinocchio-Motiv ist unverkennbar. Wie dieser, der ein richtiger Junge werden will, fühlt sie als Mischwesen aus biologischem Organismus und programmierter Maschine doch wie ein weiblicher Teenager. Zum Ausleben ihrer Pubertät gehören nicht nur - recht martialische - Mutproben, sondern eben auch erste Verliebtheit. Rosa Salazar legt Alita einerseits burschikos, anderseits auch anrührend an.
Die Realverfilmung von Robert Rodriguez ist übrigens nicht die erste Adaption. In Japan wurden 1993 unter der Regie von Hiroshi Fukutome bereits von Animate Film mit Unterstützung von K.K. Madhouse zwei Folgen einer OVA-Serie (Originalvideo Animation) produziert, die sich aber schlecht verkaufte und deswegen eingestellt wurde. Inhaltlich orientiert sich die Version von Quentin-Tarantino-Buddy Rodriguez, der ihn in seinem völlig abgefahrenen Vampir-Schocker „From Dusk Till Dawn“ (1996) als psychopathischen Sexualmörder einsetzte und bereits mit „Sin City“ (2005) und „Sin City: A Dame to Kill For“ (2014) eindrucksvoll bewiesen hatte, dass er den Comic-Look der Vorlagen auch auf die große Leinwand kongenial übertragen kann, an den ersten vier Büchern von Kishiro. Das Drehbuch schrieb übrigens niemand Geringerer als James Cameron („Aliens - Die Rückkehr“, „Terminator“, „Titanic“ „Avatar - Aufbruch nach Pandora“) in Zusammenarbeit mit Laeta Kalogridis („Alexander“, „Shutter Island“): Im Jahr 2563 rostet die Stadt Iron City samt ihrer desillusionierten Bevölkerung nach dem Krieg gegen den Mars vor sich hin, während wenige Auserwählte in der über ihr thronenden Himmelsstadt Zalem in Saus und Braus leben.
Als Dr. Dyson Ido (Christoph Waltz) hier eines Tages - wie oben bereits skizziert - den Kopf eines weiblichen Cyborgs findet, beschließt der skurrile, aber dennoch einfühlsame Tüftler, ihm neues Leben einzuhauchen. Einmal zusammengebaut, soll seine Schöpfung, die er nach seiner von den Schergen von Zalems Machthabern ermordeten Tochter Alita nennt, für immer rein und unschuldig bleiben. Die Rechnung hat der „Robodoc“ jedoch ohne seine frischgebastelte Ziehtochter gemacht. Denn der Backfisch mit den überdimensionalen Augen möchte nicht nur herausfinden, wer sie früher einmal war, sondern vor allem, wer sie jetzt sein will. Zusammen mit ihrem Schwarm Hugo (Keean Johnson) macht sie sich auf, die große, weite Welt außerhalb von ihrem sicheren Unterschlupf zu erkunden. Eine mehr als gefahrvolle Mission, denn die skrupellosen Herrscher über Iron City machen bald Jagd auf Alita. Sie verfügt nämlich über einzigartige Martial-Arts-Fähigkeiten, die sich die Obrigkeit zunutze machen will. Gleichzeitig könnten Alitas Kampfkünste jedoch auch der Schlüssel sein, um Iron City und somit ihre Freunde und Familie zu retten.

„Alita: Battle Angel“: Geteiltes Echo bei den Kritikern, Kult-Film bei den Zuschauern
Während der Film bei den Kritikern auf geteiltes Echo stieß, ist er bei den Zuschauern in kürzester Zeit zum Kult-Film avanciert. TV-Wiederholungen haben hohe Einschaltquoten und CosplayerInnen verkleiden sich allzu gern als Alita. Als naives Roboter-Mädchen gewinnt Rosa Salazar, deren Spiel vor dem Green Screen mittels Performance Capture digital übertragen wurde, im Sturm alle Zuschauerherzen, obwohl herkömmliche Rollenbilder unterwandert werden. Cameron und Rodriguez wollten unbedingt den visuellen Stil der Manga-Vorlage beibehalten. Dieses kompromisslose Vorgehen, das sich nicht am westlichen Massengeschmack anbiedert, hebt ihren „Kampfengel“ von den allzu geglätteten Marvel- und DC-Adaptionen Hollywoods wohltuend ab: Durch die großen Augen sieht Alita auf bizarre Weise attraktiv aus. Das ist nur konsequent, da sie ja nicht mal ein vollständiger Mensch ist. Dadurch wird das Publikum förmlich dazu gezwungen, über Klischeevorstellungen von Schönheit nachzudenken. Wir entdecken mit dieser irgendwie anderen Alita gemeinsam die Welt, zum Beispiel, wenn sie sich an ihrer ersten Partie Motorball versucht oder mit einer Orange ihre Geschmacksrezeptoren auf die Probe stellt. Durch ihren unbefangene Art, gepaart mit einem nimmer enden wollenden Entdeckergeist und einem schüchternen Lächeln beweist sie, dass sich Gegensätze anziehen. Sie erscheint dadurch humaner als alle menschlichen Charaktere und natürlich auch alle anderen Cyborgs des zweistündigen Films.
Schauspieler:in | Rolle |
---|---|
Rosa Salazar | Alita |
Christoph Waltz | Dr. Dyson Ido |
Keean Johnson | Hugo |
Eiza González | Nyssiana |
Jennifer Connelly | Chiren |
Wenn Rosa Salazar ein weiblicher Pinocchio ist, gefällt Christoph Waltz als einfühlsamer Cyber-Geppetto. Er ist als Ingenieur darüber hinaus ein moderner Victor Frankenstein, der trotz bester Absichten für menschliche, allzu menschliche Allmachtsfantasien steht. Die Gegenspieler Vector (Mahershala Ali) und Chiren (Jennifer Connelly) sind ebenfalls nicht blass. Während der zweifache Oscarpreisträger („Moonlight“, „Green Book - Eine besondere Freundschaft“) hier die Eiseskälte in Person ist, glänzt die Academy-Award-Gewinnerin („Beautiful Mind - Genie und Wahnsinn“) als verführerische Antagonistin, die erst spät auf ihr Gewissen hört. Optisch präsentiert sich die mehrfach für ihre visuellen Effekte ausgezeichnete Cyborg-Coming-of-Age-Fiktion bei der Zurschaustellung der technologischen Zukunftswelten auf der Höhe ihrer Zeit, die bezeichnenderweise tatsächlich so aussehen sollen, als wären sie einem Computer entsprungen. Mit ihren Wechseln zwischen pfeilschnellen Bewegungen und immer wieder eingestreuten Zeitlupen sind die Verfolgungsjagden und Roboter-Fights im Wortsinn atemberaubend. Die FSK-12-Freigabe erstaunt einen, denn das Maß an Brutalität ist für eine Großproduktion dieser Art mehr als ungewöhnlich: Es werden nicht nur Cyborgs zerstückelt und zermalmt, sondern auch ein unschuldiger kleiner Hund, den Alita dann aber in Rage geraten nicht minder grausam rächt. Für Rosa Salazar war trotz so manch anderer tragischen Szene der (Film-)Tod des Vierbeiners „der schlimmste Moment“. Sie selbst hat eine zehnjährige Boston-Terrier-Jacques-Russel-Hündin namens Mindy, die sie als „die Liebe meines Lebens“ bezeichnet.
„Alita: Battle Angel“: Rosa Salazar ist ein Hollywood-Star der anderen Art
Am überzeugendsten ist „Alita: Battle Angel“ in seinen eher ruhigen Momenten. Wenn unsere Heldin ihren neuen Körper erforscht oder soziale Gepflogenheiten studiert, sind die computergenerierten Bilder voll visueller Poesie. Ihre riesigen, staunenden Augen hinterlassen den bleibendsten Eindruck. In diesen Momenten vergißt man die CGI-Technik dahinter. Deus ex machina ist auf einmal auf weiblichste Weise menschlich… Lange stand es nicht gut, um eine Fortsetzung, denn bei Produktionskosten von 170 Millionen US-Dollar spielte „Alita: Battle Angel“ „nur“ 400 Millionen Dollar ein. Doch im vergangenen Dezember bekräftigten Cameron und Rodriguez ihren festen Willen, einen zweiten Teil in die Kinos zu bringen. Vielleicht wird darin auch die Vorgeschichte mit Alitas „früherem Leben“, in dem sie zur Attentäterin ausgebildet wurde, aus Kishiros „Battle Angel Alita: Mars Chronicle“ (2014) erzählt: Als Bestrafung dafür wurde sie von dem Gegen-Ende von Zalem - der Weltraumstadt Jeru - aus in die Erdatmosphäre abgeworfen und sollte darin verglühen. Aus bisher unbekannten Gründen trat dies nicht ein, und so landete Yoko’s Oberkörper auf der Deponie von Schrottstadt auf, wo sie von Ido gefunden wurde, der ihr bekanntlich ein neues Leben gab. Reizvoll wäre in jedem Fall auch ein dritter Filmteil, der sich nach apokalyptischen Schlachten - unter anderem gegen zwölf Gynoidenkopien von ihr selbst - auf das 19-bändige Manga-Sequel „Battle Angel Alita: Last Order“ (in Deutschland 2004 erschienen) bezieht. Es gibt tatsächlich ein Happy End, wenn Alita von ihrer „Operator“-Freundin Lou am Biodrucker einen menschlichen Körper erhält.

Doch so weit sind wir noch nicht. Rosa Salazar würde bei einem Anruf von Cameron und Rodriguez aber wieder zur Verfügung stehen. Bis dahin bleibt sie dem Science-Fiction-Genre treu: Im letzten Jahr hat sie in den USA die zweite Staffel der hochgelobten Amazon-Dramedy „Undone“ präsentiert. Es ist die erste Serie, die im Rotoskopie-Verfahren hergestellt wurde. Bei der bereits 1914 von Max Fleischer entwickelten Rotoskopie werden meist eigens aufgenommene Filmszenen Einzelbild für Einzelbild von hinten so auf eine Mattglasscheibe projiziert, dass der Animator sie abzeichnen kann. Als Alma Winograd-Diaz, die mütterlicherseits einen mexikanisch-indigenen Hintergrund hat und mit drei Jahren einen Gehörverlust erlitt, glänzt sie im Wortsinn ungeschminkt. Die Großmutter ihrer Filmfigur väterlicherseits litt an Schizophrenie und ihr Vater (Bob Odenkirk), ein Professor für Theoretische Physik, der über Zeitreisen geforscht hatte, starb gemeinsam mit einer Studentin bei einem Autounfall, als Alma noch klein war. Nach der Verlobungsfeier ihrer Schwester Becca (Angelique Cabral) baut sie nach einem Streit mit ihr einen Autounfall und landet im Krankenhaus. Nachdem sie aus einem Koma aufwacht, kann sie plötzlich ihren toten Vater sehen und lernt von ihm ihre Fähigkeit, die Zeitachse zu verschieben, um an den Abend seines Todes zu reisen und diesen zu verhindern. Am Ende bleibt offen, ob er dadurch in der Gegenwart wieder zurückkommt und ob alles wirklich passiert ist oder durch Almas psychische Krankheit nur eingebildet war.
In der zweiten Staffel von „Undone“ heißt es: „Alma sieht mehr, sie fühlt mehr.“ Wie verhält es sich damit bei Rosa Salazar? „Was denkst du, Marc?“, erklingt es fröhlich am anderen Ende der Leitung „Ich denke, du siehst und fühlst mehr, als viele andere Zeitgenossen, Rosa.“ Diese wirkt auf einmal nachdenklich: „Ob ich mehr sehe und fühle als andere Menschen weiß ich nicht, aber ich fühle und sehe viel. Wie Alma, die häufig die Probleme der anderen reparieren will, ihren eigenen aber nicht in den Griff bekommt, fiel es mir oft schwer, als diese Eindrücke, die mich beflügelten, manchmal aber auch schwer belasteten, zu verarbeiten. Schon als Kind, als ich im Fernsehen Roman Polanskis Horror-Film ‚Rosemaries Baby‘ mit Mia Farrow sah, wollte ich Schauspielerin werden; vielleicht zuerst sogar aus selbsttherapeutischen Gründen. Ich war regelrecht besessen davon, in die Haut von anderen zu schlüpfen. Ich bin im Sternzeichen Krebs geboren: Die Personen sind sensibel, sinnlich und als Frauen oft mütterlich, aber auch sehr launisch. Es ist nicht immer einfach mit uns, aber wir sind liebenswert.“ Mit ihrer ansteckenden Offenheit ist Rosa Salazar wirklich ein Hollywood-Star der anderen Art. Eben ein echter „Battle Angel“ der Fürsorglichkeit. (Marc Hairapetian)